© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/15 / 20. März 2015

Final geklärt ist noch lange nichts
Deutsch-griechischer Reparationsstreit: Athen verlangt von Berlin Entschädigungen, droht mit Pfändungen – ein alter Streit geht in eine neue Runde
Mario Jacob

Das Reparationspingpong zwischen Griechenland und Deutschland geht dieses Jahr in eine neue Runde. Bereits im Wahlkampf und folgend in seiner Regierungserklärung forderte der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras Deutschland auf, Zwangskredite aus der Zeit der Besatzung durch die deutsche Wehrmacht zurückzuzahlen.

Zur Untermauerung seiner Politik folgte er nach seiner Vereidigung als Ministerpräsident nicht dem normalen Verfahren, indem er als erste Amtshandlung einen Kranz am Mahnmal des Unbekannten Soldaten ablegte. Tsipras fuhr zum ehemaligen Kesariani-Schießstand und legte dort am Denkmal für die cirka 600 von der deutschen Besatzungsmacht hingerichteten Widerstandskämpfer rote Rosen nieder. Vergangene Woche legte er nach und untermauerte seine Forderungen: „Damit ehren wir alle Opfer des Zweiten Weltkrieges und des Nazismus sowie den griechischen Widerstand.“

Pfändungsdrohungen gab es schon früher

Bereits vor einem Jahr hatte der damalige Staatspräsident Karolos Papoulias bei einem gemeinsamen Presseauftritt mit Bundespräsident Gauck in Athen ebenfalls auf die Zahlung von Reparationen bestanden. Auch das Volk will Geld von Deutschland sehen. So wie Aristomenis Syngelakis. „Sie zeigen mit dem Finger auf uns und sind doch selbst die größten Betrüger“, meint der Zahnarzt aus Athen – mit Anspielung auf Berichte einiger deutscher Zeitschriften über faule und betrügende Griechen.

Die Forderungen drehen sich um zweierlei: Erstens um Entschädigungen für Kriegsverbrechen und -schäden während des Zweiten Weltkrieges sowie zweitens um den 1942 geschlossenen Kreditvertrag zwischen Griechenland und der deutschen Besatzungsmacht. Die zinslos gewährten Darlehen dienten der Finanzierung und Entlohnung der in Griechenland stationierten Wehrmachtssoldaten.

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes vom 12. April 1945 soll die Bank von Griechenland insgesamt 476 Millionen Reichsmark an die deutsche Reichsbank überwiesen haben. Wieviel das heute wäre, ist nicht ganz klar. Schätzungen belaufen sich auf acht bis elf Milliarden Euro – inklusive Zinsen.

Athen hat seine Forderungen bislang nicht konkret beziffert. Auf der Grundlage einer geheimen griechischen Studie, die seit Anfang März 2013 vorliegt, prüft der oberste griechische Gerichtshof, wie mögliche Reparationsforderungen an Deutschland erhoben werden könnten. Doch die Athener Zeitung To Vima veröffentlichte die Studie vorfristig. Die Gesamtforderungen belaufen sich demnach auf eine Summe zwischen 269 und 332 Milliarden Euro.

Die Griechen schaffen dagegen schon einmal vollendete Tatsachen; so versucht die Judikative, den politischen Forderungen seitens der Regierung mit allen Mitteln Geltung zu verschaffen. Seit 1997 versuchten griechische Gerichte, deutsches Staatseigentum auf griechischem Territorium zu beschlagnahmen, um so Ansprüche Privater aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges zu entschädigen. Dieses Vorgehen wurde sowohl durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR; 12.12.2002, Az. 59021/00) als auch durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag (03.02.2012, ICJ Reports 2012, 99ff.) als Verletzung des völkerrechtlichen Grundsatzes der Staatenimmunität qualifiziert und unterbunden.

Griechenlands Justizminister Nikos Paraskevopoulos scheint dies jedoch nicht zu beeindrucken. Er droht damit, deutsche Immobilien in Griechenland zu pfänden. Konkret geht es um den Fall Distomo. In dem Ort erschoß eine in die deutsche Wehrmacht eingegliederte SS-Einheit im Juni 1944 nach einem Kampf mit Partisanen rund 300 Bewohner. Seit Jahren fordern Hinterbliebene Entschädigung. Ein Landgericht in der Provinzstadt Livadia sprach ihnen Ende der 1990er Jahre knapp 29 Millionen Euro Entschädigung zu. Griechenlands oberster Gerichtshof bestätigte das Urteil im Jahr 2000. Deutschland und explizit der Bundesgerichtshof werteten das Urteil aber als Verstoß gegen den Völkerrechtsgrundsatz der Staatenimmunität. Ein anderer Staat dürfe nicht über einen anderen zu Gericht sitzen. Dieser Grundsatz wurde 2002 vom EGMR bestätigt.

Bereits damals gab es Ideen, deutschen Staatsbesitz in Griechenland zu pfänden, zum Beispiel das traditionsreiche Goethe-Institut. Doch die jeweiligen griechischen Justizminister schoben den Forderungen einen Riegel vor, drohten doch durch die Umsetzung erhebliche bilaterale Probleme.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden zahlreiche bi- und multilaterale Verträge geschlossen, um die Reparationsfrage zu klären, Quoten zu vereinbaren und Zahlungsfristen festzulegen. Das Pariser Reparationsabkommen vom 14. Januar 1946 sprach Griechenland 2,7 Prozent der zu zahlenden Gesamtreparationen zu. Damit sollten sämtliche Regierungsansprüche inklusive der Besatzungskosten abgegolten werden. Kreditverträge und Ansprüche gegen die Reichskreditkassen wurden explizit als Besatzungskosten deklariert. Deutschland zahlte daraufhin im Laufe der nächsten Jahre insgesamt 25 Millionen Dollar an Griechenland.

1953 wurde ein Reparationsmoratorium im Rahmen des Londoner Schuldenabkommens vereinbart, wonach die endgültige Lösung der Reparationsfrage „bis zum Abschluß eines förmlichen Friedensvertrages“ aufgeschoben werden sollte.

Sieben Jahre später schlossen dann Deutschland und Griechenland im Rahmen des sogenannten Globalentschädigungsabkommens einen bilateralen Wiedergutmachungsvertrag (siehe Infokasten), in dem Deutschland für die Zahlung von 115 Millionen D-Mark die Zusage Griechenlands erhielt, keine weiteren individuellen Ansprüche griechischer NS-Opfer geltend zu machen.

Entscheidend für die deutsch-griechische Reparationsfrage ist jedoch der Zwei-Plus-Vier-Vertrag aus dem Jahr 1990. Nach dem Willen der Alliierten sollten mit diesem Vertrag jegliche noch offenen Fragen in bezug auf Deutschland endgültig geklärt werden. Doch zur Thematik der Reparationszahlungen findet sich in dem Dokument kein Wort. Dabei kam es den Vertragsparteien damals jedoch gerade darauf an, sämtliche noch ungeklärten Punkte mit dem Vertrag zu erledigen. Nach Auffassung der deutschen Regierung kommt einem Schweigen demnach durchaus Erklärungsgehalt zu – nämlich jener, daß das Londoner Moratorium fortgesetzt werden soll, also keine weiteren Reparationszahlungen mehr ausstehen.

Juristisch problematisch erscheint die fehlende Beteiligung Athens am Zwei-Plus-Vier-Vertrag. Wird der Vertrag als eine Verzichtserklärung aller möglicherweise noch ausstehenden Reparationsansprüche gewertet, so handelt es sich um einen Vertrag zu Lasten Dritter, da Griechenland als Nichtvertragspartei in seinen Rechten beschnitten würde.

Allerdings nahmen die Staaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), darunter auch Griechenland, in der Charta von Paris (1990) „mit großer Genugtuung“ Kenntnis von dem in Moskau unterzeichneten Zwei-Plus-Vier-Vertrag. Dies, so die Meinung einiger Juristen, könne durchaus als Genehmigung des Vertragsinhalts und damit als Zustimmung Griechenlands verstanden werden. Auch lasse sich die sachliche und personelle Kompetenz der alliierten Siegermächte zum Abschluß eines solchen Vertrages aus dem Potsdamer Abkommen herleiten. Darin wurden Großbritannien, die USA und die Sowjetunion mit dem Mandat betraut, den Umgang mit Deutschland zu regeln. Dazu zählten auch die zu entrichtenden Reparationen. Frankreich stimmte dieser Vereinbarung als Siegermacht später ebenfalls zu.

Berlin zeigt sich seiner Verantwortung bewußt

Tsipras sieht das allerdings anders: „Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurden die rechtlichen und politischen Bedingungen geschaffen, um diese Frage zu klären“, sagte er in einer Parlamentsdebatte in Athen. „Aber seitdem haben deutsche Regierungen mit Schweigen, juristischen Tricks und Verzögerung reagiert.“

Um zu verstehen, wie es überhaupt zu einem deutsch-griechischen Reparationsstreit kommen konnte, ist die juristische Einschätzung der griechischen Zwangskredite von entscheidender Bedeutung. Danach können Reparationszahlungen nur für während des Krieges verübtes Unrecht verlangt werden.

Sollte es sich bei den Kreditverträgen jedoch nicht um Unrecht handeln, so gelten die rechtlichen Vereinbarungen des Zwei-Plus-Vier-Vertrages und damit das Londoner Moratorium gerade nicht. Hier gehen die Rechtsauffassungen der deutschen und der griechischen Regierung weit auseinander. So beharrt Athen darauf, daß es sich bei den Kreditverträgen um ein gewöhnliches bilaterales Abkommen zwischen zwei Völkerrechtssubjekten handelt, welche kraft ihrer Souveränität derlei Vereinbarungen treffen können. Danach wäre die Rückzahlung der Kredite eine Frage der Fälligkeit. Folgte man dieser Argumentation, so müßten die 476 Millionen Reichsmark zurückgezahlt werden, allerdings ohne Verzinsung, da dies nicht Bestandteil der Verträge war.

Die rechtliche Argumentation der deutschen Regierung, es handele sich gerade nicht um „normale“ Kreditverträge, begründen Juristen mit Artikel 49 Haager Landkriegsordnung. Danach trägt die Finanzierungslast der Besatzungskosten der besetzte Staat. Die griechisch-deutschen Kredite dienten der Besoldung der Wehrmachtssoldaten, also zweifelsfrei der Finanzierung der Besatzung, so die deutsche Auffassung. Auch spreche gegen einen Vertrag auf Augenhöhe, wie von Athen angeführt, vor allem der Umstand, daß es sich um ein zinslos gewährtes Darlehen handelt und ein besetztes Land für gewöhnlich nicht freiwillig die Kosten der eigenen Besetzung trägt. Nach Meinung der Juristen, die die Argumentation der Bundesregierung bekräftigen, stellen die Vereinbarungen abgenötigte Zwangskredite dar, die zwar mit dem Haager Kriegsrecht vereinbar seien, dennoch klassischerweise unter die Kategorie der reparationsfähigen Kriegshandlungen fallen, wie das Pariser Reparationsabkommen belege. Als solche seien sie mit dem Moratorium sowie dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag bereits erledigt. Auch für Vizekanzler Sigmar Gabriel sind Reparationszahlungen an Griechenland kein Thema: „Die Wahrscheinlichkeit ist gleich Null.“

Unabhängig von der Rechtmäßigkeit von Reparationszahlungen stellt sich die Frage, ob diese wegen des langen Zeitablaufs überhaupt noch geltend gemacht werden können. „Fast 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat die Frage der Reparationen an Legitimität verloren“, erklärte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums. Beinah schon genervt verwies Regierungssprecher Steffen Seibert auf die unveränderte Haltung der Bundesregierung. Deutschland sei sich „seiner historischen Verantwortung für das Leid, das der Nationalsozialismus über viele Länder in Europa gebracht“ habe, „absolut und ständig bewußt“, erklärte er auf der Regierungspressekonferenz. Doch diese Haltung ändere nichts an der „festen Überzeugung, daß die Frage von Reparationen und Entschädigungszahlungen“ rechtlich wie politisch „final geklärt, also abgeschlossen“ sei.

 

Globalentschädigungsabkommen

Zwischen 1959 und 1964 schloß die Bundesrepublik Deutschland mit zwölf westeuropäischen Staaten sogenannte Globalentschädigungsabkommen. Die Vertragspartner erhielten von Deutschland nach Angaben des Bundesfinanzministeriums (BMF) jeweils einen Festbetrag, der von 400 Millionen D-Mark für Frankreich, über 115 Millionen D-Mark für Griechenland bis zu einer Million D-Mark für Schweden reichte. Er diente der Verteilung „zugunsten der aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffenen Staatsangehörigen, die durch diese Verfolgungsmaßnahmen Freiheitsschäden oder Gesundheitsschädigungen erlitten haben, sowie besonders auch zugunsten der Hinterbliebenen der infolge dieser Verfolgungsmaßnahmen Umgekommenen“. In den Globalabkommen wurde laut BMF festgelegt, daß mit der verabredeten Geldzahlung „alle den Gegenstand dieses Vertrages bildenden Fragen im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu (dem anderen Staat) abschließend geregelt“ seien.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen