© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/15 / 20. März 2015

Kriegerische Internationale im Donbass
Ukraine: Spanier, US-Amerikaner, Deutsche oder Italiener fühlen sich von „Neurußland“ angezogen
Billy Six

Die Mädels waren super“, sagt Russell aus den USA freudestrahlend. Schon im russischen Rostow am Don wurde der 54jährige Hüne als Held empfangen. Er, der amerikanische Freiwillige, „der Cowboy aus Texas“ – auf dem Weg zu den ostukrainischen Aufständischen, seinen künftigen Kameraden. „Wir müssen alle sterben“, so Russell pathetisch, „aber gut ist es, für einen guten Zweck zu sterben.“

Mit dem Bus erreicht er Donezk. „Urlaub“, habe er den kritischen Grenzern der Russischen Föderation gesagt. Im ursprünglich für die Fußball-EM 2012 eröffneten „Red Cat Hostel“ erwartet ihn Kontaktmann Christian M., ein italienischer Politaktivist von Anfang 40. In den Kriegsmonaten des Frühjahrs und Sommers 2014 war der Netzwerker und Autor rechte Hand des Briten Graham Phillips, der mit seinen Filmaufnahmen auf dem Videoportal Youtube Hunderttausende Zuschauer erreichte – und Freiwillige wie Russell anlockte.

Freischärler gelten in Rußland als Helden

Phillips und Christian M. stehen seit April auf seiten der rebellischen selbsternannten Donezker Volksrepublik. Ihre Arbeit, die von der ukrainischen Seite als strafbare Agitation und Propaganda eingestuft wird, machte sie aber in den Augen vieler in der russischsprachigen Welt zu Helden.

Westliche Medien werden nicht müde, auf einen Einsatz russischer Kämpfer zu verweisen. Präsident Poroschenko sprach im Januar von 9.000 feindlichen Soldaten aus dem Nachbarland. Generalleutnant Ben Hodges, Kommandeur der US-Streitkräfte in Europa, ließ im März verlauten, es wären sogar 12.000 russische Militärs in der Ostukraine im Einsatz. Freiwillige aus der Russischen Föderation sind tatsächlich regelmäßig anzutreffen, darunter auch frühere oder beurlaubte Militärs. Die Anwesenheit regulärer Kampfverbände konnte bislang nicht dokumentiert werden.

Doch der Zustrom westlicher Ausländer als Rekruten der Donbass-Milizen blieb ausgeblendet. Niemand kennt ihre Zahl. Wie aus dem Nichts jedoch präsentierte die Welt am Sonntag nun die Angabe, 100 Paßdeutsche befänden sich auf seiten der Aufständischen im Einsatz. In den meisten Fällen Aussiedler aus dem Raum der früheren UdSSR.

Auf eine Anfrage der JUNGEN FREIHEIT antwortet das Bundesjustizministerium dagegen: „Dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA) liegen derzeit keine belastbaren Erkenntnisse dazu vor, daß sich aus Deutschland ausgereiste Personen bewaffneten Gruppierungen in der Ukraine angeschlossen haben und sich gegebenenfalls in diesen betätigen oder diese unterstützen.“

Ein Prüfvorgang sei angelegt worden, jedoch noch kein Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach den Paragraphen 129 a und b. Was als „terroristisch“ gilt, bleibt eine politische Frage. Sie ist anders als im Falle des IS noch nicht beantwortet.

Spanien hat als erstes Nato-Land polizeistaatlich reagiert: Ende Februar wurden acht Heimkehrer aus kommunistischen und anarchistischen Kreisen verhaftet. Vorwurf: „Besitz von Waffen und Sprengstoff, Mord, Beteiligung an einem bewaffneten Konflikt gegen die Interessen des Königreichs Spanien, Verletzung der Neutralität Spaniens und Terrorismus“, so einer der Männer nach seinem Verhör. Anklagen sollen in Vorbereitung sein, doch auf eine entsprechende JF-Nachfrage reagieren die Behörden nicht.

„Die USA sind kein Land der Freiheit mehr“

„Auf keinen Fall dürfen die etwas über uns erfahren“, sagt Javier (56) aus Spanien. Er ist über Kiew eingereist, will ebenfalls mitkämpfen. Russell, der Texaner, hat ihn und einen weiteren Amerikaner beim SBU aufgelesen, dem Donezker Geheimdienst-Hauptquartier in der Luxemburg-, Ecke Friedensstraße.

Ihren Namen aus der ukrainischen Zeit hat das massive Gebäude der Staatssicherheit behalten. Doch die Belegschaft hat im Frühjahr die Seiten gewechselt. Heute stehen jeden Tag, trotz Kälte und Schneematsch, Männer aller Altersgruppen aus der Region draußen an, um sich für den Kampf registrieren zu lassen. Russell: „Die vom SBU sind Profis.“

Alles hätten sie abgefragt: persönliche Lebensdaten, politische Überzeugungen. Drei Tage lang. Nun heißt es warten. Am Küchentisch sitzen sie alle zusammen: die zwei Amerikaner, der Spanier und Christian M. aus Italien. Sie eint die Ablehnung des Lebens ihrer Heimatländer. Russell, der das „Ama-gi“, altsumerisch für „Freiheit“, auf seinem Arm tätowiert hat, hält seine eigene Regierung für „faschistisch“. „Terroristen haben Gaddafi ermordet, Kannibalen wüten in Syrien, und in der Ukraine wurde eine demokratisch legitimierte Regierung gestürzt, um mit faschistischen Gruppen gegen die russische Minderheit vorzugehen – alles unterstützt von Obama.“

Sein Vater, ein alter Unternehmer und konservativer Republikaner, dem zuliebe Russell einst in die US-Armee eingetreten war, hatte dem Sohn von der Mission abgeraten – „aber zum Flughafen brachte er mich doch noch, als ich ihm sagte, es seien Obamas Jungs in Kiew“, berichtet der stämmige Texaner mit einem Augenzwinkern. Amerika sei kein Land der Freiheit mehr, überall gebe es Überwachungskameras, sinkende Einkommen bei ständig neuen Steuern und eine „bis zur Vernichtung ausgequetschte Mittelschicht“. „Wenn wir hier siegen“, so Russell, „will ich einen Paß von Neurußland.“ Zurück könne er nicht – für „Obama-Care, die Zwangskrankenversicherung“, welche nur Versicherungs- und Pharmakonzernen nutze, hätten sich unter seinem Namen schon zu viele Forderungen angesammelt.

Christian M. nickt heftig. Er haßt sein Heimatland Italien, „die Oberflächlichkeit, das sinnlose Konsumieren – Schafe, die sich von Verbrechern regieren lassen“. Wörter wie Demokratie und Liberalismus wolle er nicht mehr hören. Geschieden von der Ehefrau, verkaufte er zudem den Familienbetrieb – und brach damit die Beziehung zu seinem Vater.

Seit Jahren lebe er nun als Lehrer in Rußland. Im Hostel tritt er autoritär auf, „um uns vor Spionen zu schützen“. Die Ukraine sei vor dem Maidan ein schönes Land gewesen, doch Amerikaner, Nationalisten und Oligarchen hätten alles kaputtgemacht. Der gelernte Buchdrucker spricht weder Russisch noch gutes Englisch. Dafür jedoch perfektes Deutsch. In der alten Bundesrepublik habe er einst für die Verwaltung eines Automobilverkäufers gearbeitet, außerdem als Fremdenführer in Lateinamerika und Soldat der Spanischen Legion. Als Freiwilliger im Ukraine-Krieg habe er sich gemeldet, „weil ich die ganzen Lügen nicht mehr ertragen kann, den Putsch in Kiew und den gezielten Abschuß der malaysischen Boeing“. Als er das Graham-Phillips-Video der 17jährigen Kämpferin Masha am Flughafen von Donezk sah, die Vater und Freund im Stahlgewitter verloren hatte, sei der Entschluß gefallen: „Wenn sie es kann, kann ich es auch!“

Doch die Bewerbung der Männer führt zur ersten Enttäuschung. Der SBU antwortet nicht. Es scheint, daß das Verteidigungsministerium der Donezker Volksrepublik kein Interesse an westlichen Ausländern in ihren Reihen hat. Abhilfe schafft das autarke „Wostok-Bataillon“. Die militärische Formation habe bereits im Frühjahr 2014 1.000 Mann unter Waffen gehabt, so Alexander Chodakowski, ehemals SBU-Chef in Donezk, gegenüber Reuters.

Im gesamten Aufstandsgebiet sind die Krieger anzutreffen – mit orange-schwarzen Bändern des Heiligen Georg und Jesus-Ikonen sowie Stalin-Bildern und Sowjetflaggen. Ein Widerspruch, den „der Fremde nicht verstehen kann“, so die Rebellen. Dabei ist „Wostok“ zum Sammelbecken für ausländische Kämpfer geworden.

Foto: JF-Reporter Billy Six mit Rebellen; US-Freiwilliger Russell (r.) erreicht sein Quartier in Donezk: Kampfansagen gegen den Westen

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