© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

An der Schwelle zum posthumanen Wesen
Biomedizinische Technologien verändern die Grundkategorien unserer Existenz
Lutz Kleinert

An der Universität Freiburg ist seit 2012 Spitzenforschung in Gestalt eines „Exzellenzclusters“ mit dem gräßlichen Namen „BrainLinks-BrainTools“ zu Hause.

Dahinter verbirgt sich die an „ganz aktuelle Entwicklungen“ in den Lebenswissenschaften anknüpfende Suche nach Schnittstellen zwischen Gehirn und Maschine, um schwerstbehinderten Patienten zu helfen, ihre Prothesen mit Hilfe der „Gedankensteuerung“ zu bewegen.

Zwischen unbedenklich und problematisch nur ein Schritt

Wie im Schwerpunktheft der Freiburger Universitätsblätter (4/14) zum Thema „Bioethik und Dynamik in der Natur“ nachzulesen ist, berühren Neurowissenschaftler hier „die brennendsten Fragen unserer Zeit“. Denn die biomedizinischen Technologien ermöglichen immer tiefer reichende Eingriffe in Körper und Geist des Menschen. Sie erschüttern daher das hergebrachte Verständnis von seiner „Natur“. „Grundkategorien unserer Existenz“, so leiten die Herausgeber Oliver Müller und Günter Schnitzler die Aufsatzfolge ein, verlören ihre Selbstverständlichkeit.

Unsere Begriffe von Krankheit und Altern ändern sich durch das Versprechen der „Optimierung“ menschlicher Leistungsfähigkeit ebenso wie Vorstellungen von Familie, wenn etwa das Kinderkriegen dank „Social Freezing“ weiblicher Karriereplanung gehorcht. Die Medizintechnik eröffne heute, wie die Debatte um menschenwürdiges Sterben zeige, neue Verfügungsräume.

Wenn Kritiker dabei Anmaßung gegenüber dem von Gott oder der Natur Gegebenen befürchten, so hülfen solche kulturpessimistischen Klagen nicht weiter. Es gebe kein Zurück zur ethisch „übersichtlichen Zeit“ und zu fraglosen Ordnungen.

Ohnehin habe zumindest die abendländische Kultur nie über ein fixes Naturverständnis verfügt. Die Dynamik naturwissenschaftlichen Wissens und stetige Perfektionierung der Verfügbarkeit über Naturprozesse hätten vielmehr ständige Aktualisierungen des schillernden Begriffs von der „Natur des Menschen“ sowie Revisionen ethischer Orientierungen erzwungen.

Der Weg von ethisch unbedenklicher zu problematischer Hirnforschung ist oft kurz, wie Carsten Mehrings Beitrag über seine Studien zu Gehirn-Maschine-Schnittstellen zeigt. Schwerstgelähmten Patienten zu helfen, indem man Bewegungskommandos aus motorischen Arealen des Großhirns an ein Computersystem weiterleitet, um den prothetischen Arm zu bewegen, gilt uneingeschränkt als therapeutischer Fortschritt.

Im Vergleich damit erheblich umstrittener ist die elektrische Hirnstimulation. Die Forschung befinde sich hier zwar erst im Anfangsstadium, zeitige aber schon „erste interessante Befunde“. Im Rattenexperiment gelang es, Hirnareale so zu stimulieren, daß die Tiere sich nach links oder rechts bewegen, je nachdem welche Region des somato-sensorischen Cortex stimuliert wurde. Schließlich habe man sie durch einen Parcours regelrecht „navigieren“ können. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie zukünftig Stimulation auch mit der Manipulation menschlichen Verhaltens einhergehen könnte.

Selbst im noch exklusiv therapeutischen Umfeld wie bei der Behandlung von Morbus Parkinson durch „Tiefe Hirnstimulation“ sind Grenzen des ethisch Unbedenklichen im Nu überschritten. Um durch elektrische Reizung den Tremor, das Zittern des Patienten, zu unterdrücken, müssen Elektroden operativ in tiefe Hirnregionen eingeführt werden. Sie verbleiben dort, und der Kranke kann mittels Fernbedienung die Impulsstärke regulieren. Doch diese hochinvasive Technik verursache fast immer Nebenwirkungen, in der Regel leichte Persönlichkeitsveränderungen, Euphoriezustände, bisweilen ernste Depressionen.

Glück ist nicht technisch produzierbar

Wer hier auf die statisch gedachte menschliche Natur rekurriere, müsse solche weitreichenden technischen Interventionen ablehnen. Wer einem „komplexeren“ Naturbegriff huldige, sei überzeugt, mit der Technik im Kopf gewinne der Patient mehr Freiheit und Teilhabe an sozialer Kommunikation.

Müller neigt zur letzteren Ansicht, verhehlt aber nicht die daraus resultierenden „ernstzunehmenden Probleme“. Persönlichkeitsveränderungen durch permanente Hirnstimulationen können die Identität eines Menschen in Frage stellen. Welche Veränderung ist tragbar, welche wollen Angehörige akzeptieren? Zudem handle es sich bei dieser Form der Parkinson-Therapie um klassische Symptom-Behandlung, die nicht die Ursachen der Neurodegeneration behebe, sondern die Krankheit nur verlangsame.

Ein Dilemma, aus dem man nicht herauskomme, wenn man diese Neurotechnologie auf andere Krankheitsbilder wie schwere Depressionen anwende. Im Gegenteil: Falsches Vertrauen in technische Effektivität bei seelischen Erkrankungen drohe etwa die durchaus probate Psychotherapie zu marginalisieren.

Beim „Neuro-Enhancement“, der Optimierung menschlicher Gehirnleistungen primär durch Medikamente, glaubt Müller noch gefährlichere Konsequenzen von Interventionen in Hirnfunktionen auszumachen. Verbesserung kognitiver Leistungen oder Steigerungen der Aufmerksamkeit, wie sie eine mit Glücksversprechen nicht geizende, „wunscherfüllende Medizin“ anbiete, scheine nämlich, in Kombination mit den Innovationsschüben aus Informatik und Robotik, „die Überschreitung des Menschen zu einem trans- oder posthumanen Wesen“ vorzubereiten.

Eine Herausforderung, auf die der Bioethiker Müller freilich ratlos reagiert, wenn er sich zur Technikkritik Hannah Arendts flüchtet, deren Essenz tatsächlich auf ihren Lehrer, den gerade von Freiburger Neurowissenschaftlern vielleicht ungern zitierten Martin Heidegger zurückgeht: Glück ist nicht technisch produzierbar.

www.brainlinks-braintools.uni-freiburg.de

Foto: Suche nach Schnittstellen zwischen Gehirn und Maschine: Patienten soll gelingen, ihre Prothesen mit Hilfe der „Gedankensteuerung“ zu bewegen

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