© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

Kein Bewußtsein für „nationale“ Kulturgüter
Irak: Die Zerstörung antiker Stätten und Skulpturen durch den Islamischen Staat erschüttert die Welt – doch die westliche „Exotik“-Liebe stößt bei vielen Arabern auf Unverständnis
Billy Six

O Muslime!“, leitet ein bärtiger Sprecher des Islamischen Staats seine leidenschaftliche Rede im Antiken-Museum von Mossul ein. „Die Überreste, die ihr hinter mir seht, sind Idole von Völkern vergangener Jahrhunderte, die anstelle von Allah angebetet wurden.“ Zu sehen in einem neuen, fünfminütigen Schockvideo, das die Propaganda-Abteilung des selbsternannten Kalifats im Norden Syriens und Iraks vor zwei Wochen in sozialen Netzwerken veröffentlichte, ist die organisierte Zerstörung von Artefakten – mit Hämmern und Bohrern. Umrahmt von Singsang-Rezitationen des Korans.

Nun schlägt die Antikenverwaltung in Bagdad Alarm: Der Vernichtungsfeldzug gehe unvermindert weiter. In den vergangenen Tagen seien die altmesopotamischen Stätten von Nimrud (13. Jhd. v. Chr.), Hatra (1.-3. Jhd. v. Chr.) und Khorsabad (7. Jhd. v. Chr.) von den Dschihadisten mit Planierraupen, Kriegsgerät und Sprengstoffen zerstört worden. Jahrtausendealtes Erbe der Menschheit – dem Erdboden gleich. Das Ausland: ratlos.

Noch gibt es keine unabhängige Bestätigung – und die schiitische Regierung befindet sich in einem Informationskrieg gegen ihre sunnitischen Aufständischen. Die befinden sich seit Anfang 2014 in der Offensive. Im Januar fiel das Wüstenstädtchen Falludscha, im Juni überraschend auch die Großstadt Mossul. Unter dem schwarzen Banner des islamischen Glaubensbekenntnisses wurde am 29. Juni 2014 die Wiederherstellung des 1923 abgeschafften Kalifats verkündet. Die einst prächtigen Paläste von Nimrud am Tigris, 30 Kilometer südöstlich von Mossul, samt ihrer Tore mit geflügelten Löwen und Stiere mit Menschenköpfen überstanden zu Beginn auch diese Eroberung.

Für Überraschung und ein wenig Hoffnung sorgen Äußerungen des ehemaligen Gouverneurs von Mossul gegenüber dem kurdischen Mediennetzwerk Rudaw: Laut Atheel Nujaifi seien die meisten zerbrochenen Kunstschätze vom Bildersturm-Video aus dem Mossuler Museum Nachbildungen, nur zwei echt. Sieben weitere fehlten in der Halle – „vermutlich Diebstahl“, so der geflohene Provinzchef.

Den westlichen Kunstmarkt in die Pflicht nehmen

Auch in deutschen Medien überwiegt die Vorstellung, der IS betätige sich schlicht als Plünderer und Hehler. Antiken-Exporte zur Devisenbeschaffung für die Kriegskasse. Folglich sei der westliche Kunstmarkt als verantwortlicher Nachfrager in die Pflicht zu nehmen und stärker zu überwachen.

Rückblick. Vor-Ort-Recherche in Syrien 2012, der Krieg ist wenige Monate alt. Während in den historischen Ebla-Ruinen der nord-syrischen Provinz Idlib eine lose Salafistengruppe Schießübungen abhält und das antike Ruweiha als Schafstall dient, sind Einheimische aus den Kleinstädten mit Metalldetektoren auf den ockerfarbenen Äckern unterwegs. Pro Nacht findet ein Schatzsucher spielend eine Handvoll Münzen aus der Zeit der Römer, Byzantiner oder Umayyaden-Kalifen. Als Polizei und Geheimdienst des Präsidenten Assad noch das Sagen hatten, war dies unmöglich. Doch auch die archäologische Arbeit hielt sich in Grenzen. Das Vergangene sei vergangen, und die Zukunft liege in Allahs Händen, heißt es. „Das ist nicht unsere Geschichte“, sagen die Bewohner mit Blick auf ihre Funde. „Sollen sich doch die Italiener das zurückholen – wenn sie zahlen.“ Es gibt keinen Zweifel: Ließen sich entdeckte Goldmünzen nicht direkt verkaufen, würde man sie einschmelzen. Auch vor dem Aufstand gingen zahlreiche Artefakte im geschichtsträchtigen Boden durch Baumaßnahmen und Landwirtschaft verloren.

In der 100.000-Einwohner-Stadt Maarat an-Numan bewachten lokale Milizen das Museum für römische Mosaiken. Mit einem gewissen Stolz ob der zuvor eingetroffenen Touristen bekannten die jungen Kämpfer entschlossen, „unser Museum gegen Plünderer zu verteidigen“. Zwei Monate später, im Oktober 2012: Straßenkämpfe haben viele Tote gefordert. Die Antikenkammer dient als Waffenlager. Die schweren Holztüren sind eingetreten, teils zu Brennholz verarbeitet worden. Bruchstücke römischer Tafeln finden als Umfriedung eines Lagerfeuers Verwendung. Die Moschee im Innenhof ist dagegen nicht angerührt worden. Klare Prioritätenverteilung. Jetzt, unter dem Druck zunehmender Gewalt, bricht der Vorwurf offen heraus: Daß im Westen noch die „abartigste Vielgötterei“ als exotische Bereicherung empfunden werde, während „die simple Wahrheit des Islam“ nur Verachtung erfahre.

Es ist kein Geheimnis, daß selbst die säkulare Regierung Gamal Abdel Nassers in Ägypten die Tempelanlage Abu Simbel in den Fluten des aufgestauten Nils hätte versinken lassen – wenn es 1963 bis 1968 nicht zu einer vom Ausland finanzierten Rettungsaktion gekommen wäre. Der Schweizer Orientreisende Jean Louis Burckhardt hatte den nubischen Tempel einst im Wüstensand wiederentdeckt, ebenso wie die Nabatäerstadt Petra im heutigen Jordanien. Dabei fiel ihm auf, daß die lokalen Muslime jene Orte der alten Kulte weiträumig mieden.

Schon Mohammed rief zum Bildersturm auf

In der islamischen Welt wird jede unislamische Kultur grundsätzlich als fremdartig, im schlimmsten Falle bedrohlich angesehen. Die unausgesprochene Sorge: Reinheit des Glaubens und Einigkeit der Gesellschaft könnten zur Disposition gestellt werden. Die vorislamische Phase eines jeden Landes nennt sich „Al Dschahalija“, die „dunkle Zeit der Unwissenheit“. Die Befreiung antiker Denkmäler aus dem ewigen Sand fand ab dem 19. Jahrhundert unter der Regie europäischer Forscher statt, darunter auch die Deutsche Orient-Gesellschaft. Aus Sicht des Islam haben sie damit ungewollt die „Gemeinschaft der Gläubigen“ herausgefordert.

„Diese Idole und Statuen waren nicht sichtbar in den Tagen des Propheten Mohammed und seiner Kameraden, aber sie wurden von den Verehrern der Teufel ausgegraben“, heißt es im IS-Propagandafilm. Und weiter: „Da Allah uns befahl, diese Statuen, Idole und Überreste zu zerbrechen und zu zerstören, fällt es uns leicht zu gehorchen. Es kümmert uns nicht, selbst wenn es Milliarden von Dollar kosten sollte.“ In westlichen Medien wird von eigensinniger Auslegung des Islam gesprochen. Unbestritten ist die islamische Überlieferung, wonach der Prophet Mohammed im Jahre 630 die Stadt Mekka erobert habe, um anschließend die heidnischen Götzen aus der Kaaba zu verbannen. Die Denkmäler von 359 Göttern sollen von den frühen Muslimen zerstört worden sein. Nur einen ließ man zurück: „den Höchsten“, Allah. Im Koran heißt es in den Versen 57 und 58 der Sure 21: „Und ich werde, bei Allah, Eure Götzen überlisten (…). Und er schlug sie in Stücke, ausgenommen den Größten von ihnen.“

Schon vor dem IS fand Mohammeds Beispiel frömmlerische Nachahmer: Die afghanischen Taliban sprengten 2001 die Buddhastatuen von Bamian in die Luft. 2012 vernichteten Dschihadisten im malischen Timbuktu das Mausoleum des Sidi Mahmoud Ben Amar. Gleichzeitig wurden zahlreiche alte Sufi-Schreine in Libyen plattgewalzt. Selbst Hauptstadt-Museen boten keinen Schutz vor Übergriffen: Nach der US-Invasion 2003 sollen 35.000 Artefakte des Irakischen Nationalmuseums von Bagdad im Chaos verschwunden sein. Im Ägyptischen Museum von Kairo seien es dagegen bei der Revolution von 2011 nur 36 Objekte gewesen. Aufklärung steht aus. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich religiöser Wahn und Habgier gepaart.

Der britische Historiker Tom Holland schreibt nun anläßlich der mutmaßlichen Zerstörung Nimruds im britischen Telegraph: „Es war Mitte des 19. Jahrhunderts, als Archäologen aus Frankreich und Britannien der Welt enthüllten, wie überwältigend die Zivilisation des alten Assyrien tatsächlich gewesen war.“ Dem IS attestiert Holland einen Teilerfolg hinsichtlich der Medienstrategie, „die Weltmeinung zu entrüsten“. Jetzt, da das tägliche Sterben im Orient nur noch wenig Aufmerksamkeit erfährt. Resümee des Geschichtsgelehrten: „Kontrolliere die Vergangenheit und du kontrollierst die Zukunft.“

Foto: Aktivist des islamischen Staates zerstört eine Türwächter-Figur am Eingang des Ninive-Museums von Mossul: Die Antikenverwaltung in Bagdad schlägt Alarm – der Vernichtungsfeldzug gehe unvermindert weiter

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