© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

EZB und Brüssel bestimmen den Dax-Verlauf
Entfesselte Märkte stürzen Volkswirtschaften ins Chaos? Solche Propagandalügen sind entlarvt, die Politik hat die Börse längst gekapert
Ronald Gläser

Lohnhöhe, Miete, Beleuchtungsgrad und Durchschnittstemperatur von Heimarbeitsplätzen, Gehaltsgefüge zwischen den Geschlechtern – alles das regelt inzwischen der Staat. Auf der anderen Seite ist immer wieder zu hören, die Kapitalmärkte müßten gebändigt werden, weil sie Staaten in den Ruin und Völker in Armut trieben. „Entfesselte Finanzmärkte“ sind das Feindbild, das durch jeden neuen Dax-Höchststand neue Nahrung erhält.

Jedoch: Dieses Bild hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Im Gegenteil: Die Börsennotierungen unserer Zeit sind vielmehr Ergebnis der Eurorettungspolitik. Das zeigt ein genauer Blick auf die Geschehnisse an den Aktienmärkten. Die hohen Kurse dort kommen nicht von ungefähr. Sie sind politisch verursacht.

Die Bestandsaufnahme beginnt mit einer kleinen Nachricht für die Redaktion von Börse Online – und einer großen für professionelle und private Anleger in Europa: Das Magazin hat seine Rubrik „Anleihe der Woche“ abgeschafft. In Ausgabe 9/15 teilte Herausgeber Frank-B. Werner seinen Lesern mit: „Die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank hat nun dazu geführt, daß die Zahl der Anleihen mit einem vertretbaren Chance-Risiko-Verhältnis so klein geworden ist, daß wir uns nicht vorstellen können, diese Rubrik in der gewohnten Form auf Dauer fortsetzen zu können.“

Werner hätte auch salopp schreiben können: Wer heute noch in Staatsanleihen investiert, ist selber schuld. Dabei kommt nichts mehr rum. Aus die Maus.

Früher galt die Börsenregel: „Wer gut schlafen will, kauft Anleihen. Wer gut essen will, kauft Aktien.“ Zu deutsch: (Staats-)Anleihen sind die sichere, aber weniger ertragreiche Anlageform. Wer auf Risiko setzt (Aktien), kann mehr Rendite erwirtschaften, muß aber Verluste einkalkulieren. Staaten hingegen – die gehen nicht pleite.

Doch im Zeitalter des Euro und seiner fortwährenden Rettung gelten diese alten Weisheiten nicht länger. Die EZB senkt die Zinsen immer weiter. Dadurch sollen die Ausgaben der verschuldeten Staaten sinken und die Konjunktur angekurbelt werden. Zufriedenstellende Ergebnisse hat die EZB nicht vorzuweisen. Aber mit einer Abkehr von diesem Kurs nach amerikanischem Vorbild – die Federal Reserve plant angeblich ab Mai die Zinsen wieder anzuheben – rechnet in Europa niemand.

Zwei Länder in Europa sind akut vom Staatsbankrot bedroht: Griechenland und die Ukraine. Auch verschuldete Länder wie Italien (Schuldenquote 134 Prozent des BIP) gelten als gefährdet. Sollte eines dieser Länder pleite gehen, droht ein Domino-Effekt. Fazit: Staatsanleihen sind keine sicheren Geldanlagehäfen mehr.

Niedrige Rendite, gestiegenes Risiko – die Schlußfolgerung für Anleger lautet, daß sie in den Aktienmarkt investieren. Wie in einem System kommunizierender Röhren wandert Geld vom Anleihemarkt auf den Aktienmarkt. Der Dax verzeichnet ein neues Allzeithoch nach dem anderen. Allein im letzten halben Jahr war der Anstieg atemberaubend: Von 8.600 Punkten im Oktober ist er bis zum Beginn dieser Woche auf 11.550 Punkte gestiegen. Ein Plus von 35 Prozent.

Das mag zum Teil auch an der guten Konjunktur und der guten Ertragslage der Firmen liegen, im Kern ist diese Hausse aber der Niedrigzinspolitik geschuldet. Wer etwas anderes behauptet, der lügt sich in die eigene Tasche.

Symptomatisch war ein Handelstag in der vergangenen Woche: Am Donnerstag hielt EZB-Chef Mario Draghi eine halbstündige Rede auf Zypern, bei der er das Ankaufprogramm für Staatsanleihen bekräftigte. Der Dax notierte freundlich. Institutionelle Anleger trieben ihn vor der Rede um 14.30 Uhr in drei Schritten hintereinander in die Höhe – sie rechneten offenbar fest mit guten Nachrichten. Zunächst sah es so aus, als würde die Hoffnung enttäuscht. Der Italiener stammelte etwas über nicht erreichte Ziele.

Der Dax rauschte in den Keller. Doch dann gab Draghi ein Versprechen ab: „Wir werden auch Staatsanleihen mit negativer Rendite kaufen.“ Binnen weniger Minuten machte der Dax einen Satz um rund 90 Punkte nach oben. Seither hat er mehrmals neue Allzeithochs erreicht. Draghis Botschaft ist klar: Er wird weiterhin jede Anleihe aufkaufen. Die Renditen am Anleihemarkt werden niedrig bleiben. Noch mehr Geld wird in den Aktienmarkt strömen. Selten war die Börse so sehr von politischen Entscheidungen geprägt wie in dieser Phase.

 

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In JF 2/15 wurden an dieser Stelle die Aktien von Toyota (+25%), Lufthansa (-5,3%), Altria (+20,7%), Microsoft (+4,1%) und Tata (+29%) empfohlen. Sie haben sich mit einer Ausnahme prächtig entwickelt. Es ist nun an der Zeit, einen Teil der Gewinne zu realisieren, zum Beispiel um den Steuerfreibetrag (800/1.600 Euro) auszuschöpfen.

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