© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/15 / 13. März 2015

Offener Schlagabtausch
Große Koalition: Zwischen Union und SPD in Berlin wird die Stimmung immer gereizter
Paul Rosen

Zufrieden räkelt sich der Vizekanzler auf seiner Bank im Bundestag. Er träumt: Einen Sitz weiter nach links rücken zu können, das wäre doch schön. Der nervende „Vize“ im Titel wäre weg, und SPD-Chef Sigmar Gabriel wäre am Ziel des Traums. Endlich Kanzler. Derweil marschiert am Rednerpult des Bundestages ein sozialdemokratischer Redner nach dem anderen auf, um in einer „Aktuellen Stunde“ zur energetischen Gebäudesanierung gegen die Energiepolitik des Koalitionspartners CDU/CSU zu wettern. Das ist inzwischen Realität im Bundestag: An die Stelle der heimlichen und anonymen Sticheleien zwischen den Regierungspartnern ist Anfang März 2015, keine anderthalb Jahre nach Bildung der Großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU), ein offener Schlagabtausch getreten.

Die Sozialdemokraten schielen offen nach links

Die Frauenquote in Aufsichtsräten von Unternehmen, am vergangenen Freitag vom Parlament beschlossen, ist auch so ein Fall. „Bundestag beschließt Frauenquote ohne Gegenstimmen“, wunderte sich nicht nur die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Möglich war dies aber nur, weil rund 200 der 311 Unionsabgeordneten der Abstimmung fernblieben. Das heißt: Während die Sozialdemokraten immer häufiger nach links schielen und in Ausschußsitzungen und im Plenum bekennen, am liebsten würden sie ja mit Linken und Grünen stimmen, fällt das bürgerliche Lager (das im Bundestag nur aus CDU und CSU besteht) auseinander.

Den CDU/CSU-Abgeordneten wurde seit Beginn der Großen Koalition einiges zugemutet: Es begann mit der Rente mit 63, ging weiter über die Reform des rot-grünen Lieblingsprojekts Erneuerbare Energien bis hin zum Mindestlohn. Und 2015 gab es bereits SPD-Leibspeisen wie Mietpreisbremse und Frauenquote in Aufsichtsräten zu verdauen. Auf der Positivbilanzseite der Union stehen nur die Mütterrente und die „schwarze Null“ im Haushalt von Finanzminister Wolfgang Schäuble.

Sparsame Haushaltsführung gilt als bürgerliche Tugend. Da fällt es den Christdemokraten schwer, die Daueraufgabe Griechenland-Rettung noch mitzutragen. Ein Beispiel ist der frühere Verkehrsminister Peter Ramsauer, der stellvertretende CSU-Vorsitzende. Er stimmte im Bundestag gegen die Verlängerung der Griechenland-Hilfen: „Wenn Volksvertreter gegen den klaren Willen der Bürger stimmen, dann richten sie die Staatsgewalt gegen das Volk.“ In der Union brodelt es, während sich die SPD im Fall Griechenland und auch in der ganzen Euro-Rettungspolitik still verhält.

Mit dieser Bilanz, da ist sich die Unionsführung inzwischen einig, wird es bei der Bundestagswahl 2017 schwierig. Schon 2016 könnte es Probleme geben. Gewählt wird in Baden-Württemberg, wo die CDU unbedingt die grün-rote Koalition ablösen will. Außerdem wird der Landtag von Rheinland-Pfalz gewählt, wo CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner Rückenwind aus Berlin braucht, wenn sie den negativen Unionstrend in den Ländern stoppen soll. Weitere Wahlen stehen in Sachsen-Anhalt und Berlin an. Das vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann vorgeschlagene Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild verstimmte die Union (siehe Seite 7). Der SPD-Fraktionschef verstand es, aus seiner Kanadareise eine Medienkampagne zu machen.

Behend änderte Merkel ihre Position und ließ Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf einmal für eine Steuersenkung eintreten. Ab 2020 soll der Solidaritätszuschlag schrittweise abgebaut werden. Der 15 Milliarden Euro pro Jahr in die Kasse des Bundes spülende Zuschlag zur Einkommensteuer ist vielen Bürgern seit langem ein Dorn im Auge. Nicht vergessen sind CDU-Versprechen, den Zuschlag wieder abzuschaffen. Jetzt kam auch noch die verfassungsrechtliche Frage auf, ob der mit den Kosten der deutschen Einheit begründete Zuschlag sich noch rechtfertigen läßt, wenn 2019 die Sonderzahlungen an die neuen Länder wegfallen werden.

Die SPD stand kopf. Eine „180-Grad-Wende“ machte SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi aus und versicherte, ihre Partei werde „um jeden Zentimeter Handlungsfähigkeit für Länder, Städte und Gemeinden“ kämpfen. Während Gabriel sich zurückhielt, donnerte es aus der zweiten SPD-Reihe gegen den Koalitionspartner: „Wir brauchen mehr Mittel für Bildung und Infrastruktur und keine Steuersenkungen“, erklärte SPD-Vize Ralf Stegner. Und Thorsten Schäfer-Gümbel (Hessen) legte nach: „Einfach mal eben den Soli abschaffen, ohne einen Vorschlag, wie marode Straßen und Schulen saniert werden können, ist mit der SPD nicht zu machen.“ Die SPD-Finanzpolitiker Carsten Sieling und Lothar Binding, die Steuerzahler für rupfbare Gänse halten, legten zum Ärger der Union einen weiteren Vorschlag für Einnahmeverbesserungen vor: Sie wollen 45 Milliarden Euro mit einer Finanztransaktionssteuer einnehmen, was vor allem zu Lasten von Fondssparern und Lebensversicherten gehen würde.

Der mit der CSU abgestimmte CDU-Vorstoß zur Soli-Senkung bringt im übrigen nicht besonders viel: Bis zum Jahre 2030 soll das Abschmelzen dauern, also höchstens 1,5 Milliarden pro Jahr entlasten. Dabei verlieren die Bürger allein durch die kalte Progression schon 2,5 Milliarden Euro im Jahr (laut Sachverständigenratsgutachten). Verloren hat letztlich die Große Koalition. Wenn sich deren Partner schon wegen einer minimalen Steuersenkung so in die Haare kriegen, ist das Ende in Sicht. Dazu paßt, daß SPD-Linke, Grüne und Linkspartei-Politiker bereits über Details eines Koalitionsvertrages reden. Vielleicht werden die Ergebnisse schon vor 2017 gebraucht, und Gabriel kann einen Platz nach links auf der Regierungsbank aufrücken.

Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel: Die SPD stand kopf

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