© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/15 / 06. März 2015

Kräftig expandierender Opfer-Nationalismus in der Gedächtniskultur
Den Helden ausmustern
(dg)

Die Erinnerungskultur ist seit geraumer Zeit einem heftigen Wandel unterworfen. Der Trend gehe, so pointiert der polnische Historiker Jan M. Piskorski (Universität Stettin) seine Beobachtungen zur Gedächtnispolitik, vom Helden- zum Opferkult. Als Nebenphänomen falle dabei die „Globalisierung des Holocaust“ auf. Dabei umfasse der Begriff im globalisierten Englisch eine immer breitere Bedeutung. So habe die US-Historikerin Anne Applebaum bereits die Unterwerfung der Pruzzen durch den Deutschen Orden als „ersten Holocaust in Ostmitteleu-ropa“ bezeichnet. Gleichzeitig mit solchen begrifflichen „Aufwertungen“ von Gewaltopfern expandiere der „Opfer-Nationalismus“. Extreme Beispiele solchem „Größenwahn“ entspringender nationaler Selbsterhöhung böten Israel und Polen (Blätter für deutsche und internationale Politik, 1/2015). Wobei die „polnische nationale Megalomanie“ einen „recht besonderen Fall“ darstelle. Hier sei der machtpolitische Größenwahn der Frühen Neuzeit spätestens 1939 in die Vorstellung von der exklusiv leidenden Nation umgeschlagen. Ungeachtet dieser Identität habe man nach 1990 aber Verständnis für das deutsche Leiden an Vertreibung und Heimatverlust gezeigt und sei zur Versöhnung bereit gewesen, obwohl es ohne „den von den Deutschen ausgelösten Krieg“ und ihre „großen Vertreibungsaktionen“ kein deutsches Leid gegeben hätte.

www.blaetter.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen