© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/15 / 06. März 2015

Kompromiß beim Tarifkampf in der Metall- und Elektroindustrie
Dreiklassengesellschaft
Jörg Fischer

Im Januar begannen die Warnstreiks der Metall- und Elektroindustrie. 5,5 Prozent mehr Lohn, Zeit und Geld für Weiterbildung sowie eine flexiblere Altersteilzeit forderte die IG Metall. Die Arbeitgeber wollten nur 2,2 Prozent mehr zahlen, die Bildungsteilzeit und den Vorruhestand lehnten sie ab.

Vorige Woche verkündeten die Kontrahenten dann die Einigung: Ab April gibt es 3,4 Prozent mehr, für Januar bis März wurde eine Einmalzahlung von 150 Euro vereinbart. Bei der Altersteilzeit bleibt es bei der Quote von vier Prozent. Ein „fettes Lohnplus“, wie Bild titelte, ist das nicht. Einen „fairen Kompromiß für alle“ nennt es der Arbeitgeberverband Südwestmetall und kommt damit der Wahrheit näher. Den tarifgebundenen Beschäftigten sei ihr Erfolg gegönnt, doch vergessen wird dabei: Seit den rot-grünen Regierungsjahren wächst die Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse.

Wer mit Zeitvertragsmodellen sein Geld verdienen muß, kann von regelmäßigen Gehaltserhöhungen, Bildungsurlaub oder komfortablem Ruhestand nur träumen. Und betroffen davon sind nicht nur scheinselbständige Paketausfahrer oder das akademische Proletariat mit geisteswissenschaftlichem Studienabschluß. Auch in der boomenden deutschen Metallindustrie gibt es längst eine Spaltung der Belegschaft und eine unterprivilegierte „dritte Klasse“. Selbst bei BMW, Daimler oder VW, wo Gewerkschafter mit im Aufsichtsrat sitzen, sind Leiharbeit oder noch niedriger bezahlte Werksverträge alltäglich.

Die neue Dreiklassengesellschaft läßt sich so auf den Punkt bringen: In den siebziger Jahren waren die Managergehälter etwa dreißigmal so hoch wie die Löhne. Heute beziehen Dax-Vorstände das Dreihundertfache. Die Tariflöhne waren 2014 preisbereinigt um 10,9 Prozent höher als im Jahr 2000. Die Durchschnittslöhne aller Beschäftigten sind in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten real nur um 1,4 Prozent geklettert.

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