© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/15 / 06. März 2015

Ringen um Macht und Einfluß
Argentinien: Der Tod eines Staatsanwalts erschüttert das Land und kratzt weiter am Image der Präsidentin
Michael Ludwig

Ich möchte diese Rolle unbedingt spielen – sie könnte die Rolle meines Lebens werden.“ Ricardo Darin, Argentinier und in der spanischsprechenden Welt ein bekannter Schauspieler, ist ganz versessen darauf, an der Seite seiner französischen Kollegin Juliette Binoche den argentinischen Staatsanwalt Alberto Nisman zu verkörpern. Dessen mysteriöser Tod läßt die Wellen am Rio de la Plata so hoch schlagen, daß sie die amtierende Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner aus dem Amt zu spülen drohen. Regisseur des politisch hochexplosiven Streifens ist der Israeli Amos Gitai, und die Dreharbeiten sollen im September dieses Jahres im benachbarten Uruguay beginnen.

Attentat auf jüdisches Zentrum birgt Zündstoff

Das Schicksal von Alberto Nisman ist in der Tat wie geschaffen für einen Superthriller. Der 51jährige Jurist wurde am 18. Januar tot in der Badewanne seines Appartements im Luxusviertel Puerto Madero von Buenos Aires aufgefunden. Fest steht – er wurde erschossen, unklar ist, ob es Mord oder Selbstmord war.

Da Argentiniens Gesellschaft tief gespalten ist, nutzte die Opposition die Gelegenheit, sich in Szene zu setzen. In der Hauptstadt organisierten fünf ehemalige Kollegen Nismans einen Schweigemarsch, an dem 400.000 Menschen teilnahmen. Auch in anderen Städten gingen Regierungsgegner auf die Straße. Insgesamt waren es rund eine halbe Million. In den sozialen Netzwerken wurde die Regierungschefin als Mörderin beschimpft.

Kirchner tat derweil alles, um den Graben zwischen sich und ihren innenpolitischen Gegnern zu vertiefen. In einer Fernsehansprache qualifizierte sie den Schweigemarsch ab: „Wir bleiben beim Gesang, bei der Freude, wir rufen: Es lebe das Vaterland! Und den anderen überlassen wir das Schweigen.“

Hintergrund dieser tiefgreifenden politischen Krise bildet das Attentat auf das jüdische Gemeindezentrum Amia 1994 in Buenos Aires. Damals starben 85 Menschen, rund 300 wurden verletzt. Um den Bombenanschlag aufzuklären, setzte der damalige Präsident Nestor Kirchner, verstorbener Ehemann der jetzigen Regierungschefin, Alberto Nisman als Sonderstaatsanwalt ein. Nisman, der selbst jüdischen Glaubens war, machte es sich zur Lebensaufgabe, die Terroristen zur Strecke zu bringen und ihre Hintermänner zu entlarven.

Im Rahmen seiner Nachforschungen stieß er auf ein weitverzweigtes Netz islamistischer Terrorzellen. Er zeigte sich fest davon überzeugt, daß das radikale Regime im Iran „die Länder Lateinamerikas infiltriert und dort geheime Kommandozentralen eingerichtet hat, um internationale Terroranschläge vorzubereiten und zu verüben“. Deshalb sei der damals 21 Jahre alte Libanese und Hisbollah-Kämpfer, der sich unmittelbar vor dem Amia-Zentrum mit einer gewaltigen Ladung Dynamit in die Luft gesprengt hatte, nicht als Einzeltäter zu sehen. Man müsse das Attentat „als Segment einer längeren Kette von Entwicklungen untersuchen“.

Konkret beschuldigte der Sonderstaatsanwalt sieben ranghohe Funktionäre des iranischen Regimes – unter ihnen der frühere Präsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani und der Brigadegeneral Ahmad Vahidi – den Terroranschlag gegen Amia organisiert zu haben. Interpol setzte die Politiker auf die „rote Liste“ der international meistgesuchten Verdächtigen.

Rund 500 Seiten an Beweisen und Indizien trug Nisman zusammen, die er 2013 dem US-Kongreß in Washington vorlegen wollte, um so auf die wachsende Bedrohung eines sich radikalisierenden Islam aufmerksam zu machen. Doch Generalstaatsanwältin Alejandra Gils Carbo, die Ende August 2012 von Präsidentin Kirchner in ihr Amt eingesetzt worden war, untersagte die Reise. Ihre Begründung: Aussagen vor einem Parlament im Ausland gehörten nicht zu den Aufgaben eines argentinischen Strafverfolgers. Möglicherweise ist hier der Beginn des Endes von Alberto Nisman zu sehen.

Unmittelbar vor seinem Tod legte Nisman die politische Bombe, deren Explosion das ohnehin fragile Gleichgewicht der argentinischen Gesellschaft in seinen Grundfesten erschüttern sollte. In einer 290 Seiten langen Anklageschrift beschuldigte er die Präsidentin, Außenminister Hector Timerman sowie weitere ranghohe Funktionäre der Regierung, die Ermittlungen gegen die Terroristen behindert und sich so der Strafvereitelung schuldig gemacht zu haben. Ziel der Regierung sei es gewesen, das Verhältnis zu Teheran, das nach dem blutigen Attentat abgekühlt sei, wiederzubeleben und daraus wirtschaftliches Kapital zu schlagen. Buenos Aires habe es darauf abgesehen, vor allem Soja, Weizen und Fleisch zu exportieren und im Gegenzug iranisches Erdöl zu importieren. Am 19. Januar sollte Nisman seine Anschuldigen vor dem argentinischen Parlament vortragen, doch dazu kam es nicht mehr.

Bundesrichter Daniel Rafecas hat jedoch entschieden, die von Nismans Nachfolger Gerardo Pollicita eingereichte Anklageschrift vor Gericht nicht zuzulassen. Sie sei, so begründete er sein Veto, nicht stichhaltig genug. In Justizkreisen wird damit gerechnet, daß Pollicita die Entscheidung des Bundesrichters anfechten wird, um so doch noch ein Verfahren gegen die Präsidentin zu erzwingen.

Schon seit langem ist die Justiz Schauplatz erbitterter Kämpfe der politischen Parteien um Macht und Einfluß, und es gibt wohl wenige Institutionen, die von den Argentiniern mit mehr Mißtrauen und Verachtung gestraft werden als die Gerichte. Wie alle Vorgängerregierungen auch, hatten Nestor Kirchner und seine Frau versucht, Staatsanwälte und Richter auf ihre Seite zu ziehen, was ihnen jedoch nur teilweise gelang.

Die Folge ist, daß Argentiniens Justitia keineswegs blind ist, um ohne Ansehen der Person gerechte Urteile zu fällen, sondern mit dem einen Auge nach der Regierung und mit dem anderen nach der Opposition schielt. Dadurch werden Urteile und juristische Entscheidungen unkalkulierbar. Während bürgerliche Parteien von einer regierungshörigen Justiz sprechen, nannte die amtierende, linksstehende Regierungschefin Teile des eigenen Rechtssystems „putschistisch“.

Die Todeskugel wird den Wahlkampf beherrschen

Für den Politikwissenschaftler Jorge Arias gehören derartige Widersprüche zum argentinischen Alltag. Diese Situation zeige, „daß in unserem Land alles möglich“ sei, erklärte er. Das Schicksal Nismans ist, was seine Undurchschaubarkeit betrifft, kein Einzelfall. Allein zwischen 1990 und 2003 kamen sieben Persönlichkeiten unter mysteriösen Umständen ums Leben. So soll der Sohn von Expräsident Carlos Menem, Carlos Facundo Menem, 1995 angeblich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sein, und dessen ehemalige Geliebte Marta Meza schluckte – offiziell – Rattengift.

Im Fall Nisman schießen nun allerlei Verschwörungstheorien ins Kraut. Einmal ist es der argentinische Geheimdienst SI, der außer Kontrolle geraten und für den Mord verantwortlich sein soll. Er wurde in der vergangenen Woche offiziell aufgelöst und wird durch einen neuen ersetzt, der unter Aufsicht eines, wie könnte es auch anders sein, engen Beraters der Präsidentin steht. Ein andermal sind es Agenten Teherans, die weitere Ermittlungen verhindern wollen.

Im Oktober wählen die Argentinier ein neues Parlament. Kirchner kann nicht zur Wiederwahl antreten, denn eine dritte Amtszeit als Präsidentin ist nicht möglich. Wer ihr Nachfolger wird, ist völlig offen, und die weitere Entwicklung in der Frage, wie Nisman tatsächlich zu Tode kam, wird Einfluß darauf nehmen. „Die Kugel, die Alberto Nisman getötet hat, hat sich auch im Rennen um die Präsidentschaft festgesetzt – mit unvorhersehbaren Auswirkungen“, hieß es dazu in der spanischen Tageszeitung El Pais.

Foto: Präsidentin Cristina Kirchner: Wäscht ihre Hände in Unschuld

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