© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/15 / 27. Februar 2015

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Wenn die Zeitung der griechischen Regierungspartei Schäuble in Wehrmachtsuniform zeigt und ihm die Worte in den Mund legt: „Wir bestehen darauf, Seife aus eurem Fett zu machen. Wir diskutieren nur über Düngemittel aus eurer Asche“, dann ist das ein Paradebeispiel für die Fernwirkung von Greuelpropaganda, denn die Vorstellung von den Deutschen als Leichenverwertern geht nicht auf den Zweiten, sondern auf den Ersten Weltkrieg zurück.

Die neue Schärfe, mit der der Innenminister gegen das sogenannte Kirchenasyl spricht, ist wohlbegründet. Denn diejenigen, die da bei massivem Wohlwollen der veröffentlichten Meinung abgelehnte Asylbewerber unterbringen oder verstecken, haben selbstverständlich keine rechtliche Grundlage für ihr Tun. Sie verlassen sich bloß auf die Angst der Obrigkeit vor dem Skandal, wenn eine Familie durch Ordnungskräfte aus einer Wohnung oder einer Kapelle gezerrt werden muß, während drumherum die engagierten Gemeindemitglieder „We shall overcome“ singen. Die Vorstellung von Kirchenasyl kann man entweder als typischen Fall von linkem Klerikalismus betrachten oder als Wiederaufbrechen des uralten Konflikts zwischen Tempel und Palast, und wer halbwegs bei Trost ist, sollte wissen, für welche Seite er sich da entscheidet.

Die Rolle des rechten Phraseurs wäre noch einmal genauer zu untersuchen und auch die Frage, inwieweit die Rechte ihr regelmäßiges Scheitern der Tatsache verdankt, daß manche Leute ihren Mund nicht halten können oder bei dem, was sie tun, eigentlich nichts anderes im Sinn haben, als einen Lautsprecher, ein Mikrofon, irgendein Publikum zu finden, das sie bemerkt.

Francis Fukuyama hat sich wieder zu Wort gemeldet. Dieses Mal prophezeit er eine „Rezession“ der Demokratie. Das ist unter allen seinen Stellungnahmen die mit der geringsten Originalität. Nach dem „Ende der Geschichte“ und dem „Ende des Menschen“, so wie wir ihn kannten, nur noch der Hinweis darauf, daß die Blütenträume von 1989ff. nicht verwirklicht werden. Darin mag man eine Zunahme an Weisheit und Einsicht bei dem Mann sehen oder es geht einfach darum, daß das Aufstellen möglichst steiler Thesen nur Resonanz findet, wenn einem die historische Realität nicht allzu dicht auf den Leib rückt.

So unverschämt das Gebaren der griechischen Führung gegenüber Deutschland im Hinblick auf angeblich ausstehende Reparationszahlungen ist, es erinnert an ein Gespräch mit einem klugen und den Deutschen sehr wohlgesonnenen Griechen, Panajotis Kondylis, der auf die verzweifelte Bemerkung über die fortdauernde Erpressung mit der Vergangenheit kurz bemerkte: „Sie glauben doch nicht im Ernst, daß sich für Deutschlands Schuld jemand interessieren würde, wenn Deutschland kein Geld hätte.“

Der Psychologe Siegbert Warwitz hat sich mit der bemerkenswerten Auffassung zu Wort gemeldet, daß Kriegsspiele an sich kein Problem darstellten, Friedensspiele aber schon. Kriegsspiele seien global verbreitet, man treffe sie in praktisch jeder menschlichen Kultur an. Sie gingen auf ein kindliches Bedürfnis des Kräftemessens zurück, das man zwar von seiten der Erzieher unterdrücken, aber nicht beseitigen könne. Demgegenüber seien Friedensspiele ein Ergebnis der großen pazifistischen Welle der 1980er Jahre, von Erwachsenen erfunden, um nicht nur Gewalt, sondern auch jede Form des Wettstreits zu denunzieren. Die Heranwachsenden durchschauten den manipulativen Charakter, was die geringe Akzeptanz solcher Spiele erkläre, vor allem aber seien sie ungeeignet als adäquate Vorbereitung auf die Wirklichkeit.

Sowenig es bei den Anschlägen in Paris um die „Freiheit“ ging, sowenig bei den Anschlägen in Kopenhagen um die „Demokratie“. Es ging im einen wie im anderen Fall um den „Staat“ und dessen Vernachlässigung im Namen von „Freiheit“ und „Demokratie“, die derartige Attacken überhaupt erst möglich machte.

Der von Arte ausgestrahlte Bismarck-Film läßt ein wenig hoffen angesichts des bevorstehenden Jubiläums: keine Frau als Hauptdarstellerin (wie bei dem Friedrich-Machwerk mit Katharina Thalbach), keine altbundesrepublikanische „Dämonen“-Beschwörung (wie in dem Bismarck-Zweiteiler von Christoph Weiner und Johannes Willms), insgesamt nur eine kleine Zahl von Ausstattungsfehlern (Kriegsminister „Ruhn“ und ein Eisernes Kreuz von 1870 am schwarz-weiß-roten Band zum Beispiel).

Der gemeinsame Nenner des linken und des rechten Flügels der Regierung in Athen ist ganz einfach zu bestimmen: das, was man einmal offen sacro egoismo nannte, seit geraumer Zeit sorgfältig hinter wohltönenden Phrasen verbirgt, aber jenseits der deutschen Grenzen immer als selbstverständliche Leitlinie der Politik betrachtet hat.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 13. März in der JF-Ausgabe 12/15.

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