© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/15 / 27. Februar 2015

Stammwurzel ist die Religion
Antisemitismus in Europa: Die Hauptursache liegt im Islam, wird aber nicht beim Namen genannt
Jürgen Liminski

Tausende französischer Juden tragen sich mit dem Gedanken, nach Israel auszuwandern. Sie zweifeln an ihrer Sicherheit, die Terroranschläge der letzten Monate und Jahre haben die Zweifel trotz der Versicherungen etlicher Politiker verstärkt. Israels Premier Netanjahu schürt die Zweifel noch, indem er offen zur Einwanderung nach Israel aufruft, weil der Antisemitismus in Europa wachse. Aufruf und Zweifel dürften einige Wirkung entfalten. Man rechnet dieses Jahr mit 15.000 Einwanderern aus Frankreich, mehr als doppelt soviel wie im vergangenen Jahr und viermal soviel wie 2013. Das entspricht auch dem Anstieg der antisemitischen Anschläge und Übergriffe.

Auch unter britischen Juden wachsen die Zweifel. Mehr als die Hälfte sieht laut Umfragen keine Zukunft für Juden in Eu-ropa. Ähnlich ist es in Spanien, in den Niederlanden, in Osteuropa. Nicht immer sind es Sicherheitsgründe, viele Auswanderer gehen aus wirtschaftlichen Gründen in das boomende Israel, vor allem aus Süd- und Osteuropa. Israel bleibt für die Juden ein Land der Verheißung. Aber das ändert nichts am generellen Befund: Der Antisemitismus in Europa ist kein Nischenphänomen, er ist eine wachsende Strömung.

Der Antisemitismus ist älter als Israel. Die Deutschen, aber auch die Franzosen hatten schon früh einen Anteil an seiner Entstehung. Symptomatisch: Das Wort Antisemitismus stammt von dem jüdischen Gelehrten Moritz Steinschneider, der es 1860 in einer polemischen Auseinandersetzung mit dem französischen Orientalisten und Patrioten Ernest Renan prägte. Aber es war bezeichnenderweise ein deutscher Publizist namens Willhelm Marr, der das Wort zuerst als politischen Kampfbegriff verwendete. Das war 1879, keine zwanzig Jahre später entstand Theodor Herzls Schrift „Der Judenstaat“, eine Art gedankliche Grundsteinlegung Israels. Herzl hatte es unter dem Eindruck der Dreyfus-Affäre und der antisemitischen Ausschreitungen in Paris geschrieben. Es wurde Grundlage für den sogenannten Zionismus, in Anlehnung an den Hügel Zion, und für die Besinnung auf die eigenen nationalen Wurzeln der Juden.

Diese Wurzeln sind historisch und religiös. Das ist bei den islamischen Völkern in diesem Raum nicht anders. Insofern ist der Antisemitismus die Gegenseite zum Zionismus, man kann ihn auch als Schatten identitärer Bewegungen der letzten Jahrhunderte sehen. Vor allem der Islam offenbart und identifiziert sich als Haß-Reaktion auf die Juden und, in geringerem Ausmaß, auch auf Christen und Ungläubige. Schon die jüdischen Einwanderungswellen zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts stießen in Palästina auf blanke Feindschaft, geschürt von den Briten aus politischen Gründen, verwandelt in Terror von den Arabern aus religiösen Motiven.

Der Islam muß, ähnlich wie vor vierzig Jahren der ägyptische Präsident Sadat, über den religiösen Schatten springen. Sadat hat bewiesen, daß es geht. Der jordanische König tut es diskret auch. Dasselbe gilt aber auch für die radikalen israelischen Siedler. Sie nähren mit ihrer religiösen Radikalität den Antisemitismus.

Gewiß, der Antisemitismus, der sich in Europa vor allem im späten 19. Jahrhundert als breite Strömung entwickelt hat, hat nicht nur religiöse Wurzeln, aber seine Stammwurzel ist die Religion. Insofern ist Antisemitismus auch eine Frage der interkulturellen Toleranz. Es ist eine Frage, die sich heute vor allem an den Islam und die Islamophilen in Eu-ropa richtet. Hier geht man über Beteuerungen und emotionale Bekundungen der Solidarität kaum hinaus. Henryk M. Broder stellt deshalb sogar die These auf: „Was wir derzeit erleben, ist keine Renaissance des jüdischen Lebens in Deutschland und in Europa, sondern das Ende eines Experiments (…) Über den Antisemitismus diskutiert es sich besser, wenn keine Juden mit am Tisch sitzen.“

Was Broder weniger deutlich sagt: Der Antisemitismus in Deutschland und Europa ist mit und wegen der Islamophilie in Deutschland und Europa gewachsen. Die Versicherungen der politischen und medialen Eliten klingen hohl, solange man nicht die wirklichen Hauptursachen offen beim Namen nennt. Es mag in rechten Kreisen, auch in gebildeten und auch in Deutschland, antisemitische Ressentiments geben, die sich vor allem in linksliberalen Medien gegen Israel austoben und Terrororganisationen wie die Hamas und die Hisbollah verklären. Der offene und gewaltbereite Antisemitismus ist bei Demonstrationen auf deutschen Straßen gegen Israel zu sehen.

Der im Islam tief verwurzelte Judenhaß ist die Hauptursache des wachsenden Antisemitismus in Deutschland, Frankreich und Europa. Diese Verankerung ist nachweisbar. Der amerikanische Autor Andrew Bostom bietet die bislang umfassendste Kompilation judenbezogener Islamquellen an. Sie basieren sämtlich auf den Grundlagen des Islam, angefangen beim Koran und den Sprüchen des Propheten bis hin zu theologischen Kommentaren bis in die Gegenwart. Sie geben authentisch Auskunft über das Judentum als Minderheit unter islamischer Herrschaft. Sie dokumentieren auf mehr als 700 Seiten plus Anmerkungen das Wissen über den lehrhaft befohlenen Judenhaß. Es ist ein Wissen, das in Europa offenbar nicht gebraucht wird.

Es wundert also nicht, daß Andrew Bostom mit seiner „Legacy of Islamic Antisemitism – From Sacred Texts to Solemn History“ nur einen Verlag im meinungsfreudigen Amerika gefunden hat, nicht jedoch in Europa, geschweige denn in Deutschland, wo sich, wie der vom Mainstream sorgsam gemiedene Orientalist Hans Peter Raddatz bemerkt, „der islamfreudige Antisemitismus eine lebendige Tradition bewahrt hat“.

Die umfangreichen Originalquellen der Islamliteratur, die in Bostoms „Legacy“ versammelt sind, belegen einen antijüdischen Rassismus, dessen historische Kontinuität keine Parallele hat. Europas Judengeschichte ist dagegen von Wechseln geprägt. Und es sind dieselben Politiker, die mit ihren die ursprüngliche Ambivalenz des Islam verneinenden Reden seit Jahren einen heimlichen Antisemitismus schüren.

Besonders auffallend ist das in Frankreich. Die Vertretung der rund 600.000 Juden in Frankreich hat oft auf den wachsenden Antisemitismus hingewiesen und davor gewarnt, daß diese Saat eines Tages aufgehen könnte. Der Terror entsteht zuerst in den Köpfen. Hier ist die Sicherheit zuerst zu organisieren, dann kommen Mauern um Schulen oder Wachposten vor Geschäften. Man kann nicht hinter jeden Juden einen Polizisten stellen. Man sollte aber aufhören, freundlich über tote Juden zu reden und feindlich über lebende. Die Worte von Mächtigen haben Folgen. Sie versöhnen oder spalten, sie langweilen oder machen Stimmung. Das gilt beim Antisemitismus auch für das nichtgesprochene Wort über die Hauptursache, den wachsenden Islamismus in Europa.

Foto: Juden in Paris: Viele sorgen sich um ihre Sicherheit und tragen sich mit dem Gedanken, nach Israel auszuwandern

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