© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/15 / 27. Februar 2015

Eine Armee sucht ihren Weg
Bundeswehr: Unter dem Eindruck der Ukraine-Krise arbeiten Politiker und Militärs an einem neuen Konzept für die deutsche Sicherheitspolitik
Christian Schreiber

Es sind 149 Seiten Papier, von denen in Berlin viele sagen, daß den Inhalt bis heute kaum jemand kennt. Mit dem „Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“ wollte die Bundesregierung 2006 eine breite gesellschaftliche Debatte über die Rolle der Armee anregen. Herausgekommen ist dabei wenig, was auch daran gelegen haben mag, daß das Papier in einen internen Kreis diskutiert wurde. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) versicherte nun, man habe aus diesem Fehler gelernt. In der vergangenen Woche lud sie nach Berlin, um über ein neues „Weißbuch“ zu sprechen. Ein Jahr lang möchte sie nun über die Neuauflage des sicherheitspolitischen Grundsatzpapiers für Deutschland diskutieren lassen, zur Auftaktveranstaltung hatte sie 270 Experten aus Militär und Verteidigungspolitik eingeladen.

Warnung vor einem Kompromißpapier

Am Ende soll eine Positionierung der Bundeswehr als „moderne Armee der Mitte“ stehen, was angesichts der Meldungen, daß Elitesoldaten mit Besenstielen üben müssen, fast schon zynisch wirkt. Doch es soll bei der Erstellung des Papiers nicht nur um Struktur und Ausstattung der Bundeswehr gehen, auch ihre Rolle in einer veränderten Sicherheitslage soll diskutiert und formuliert werden. Rußlands Vorgehen in der Ukraine verändere die Sicherheitsarchitektur in Europa grundlegend, sagte von der Leyen währen der Auftaktveranstaltung. Deutschland müsse eine angemessene Antwort auf die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin finden und dürfe sich dabei keinen Illusionen hingeben: „Die neue Politik des Kreml hat schon lange vor der Ukraine-Krise begonnen und wird uns noch sehr, sehr lange beschäftigen.“

Doch was am Ende der Diskussion herauskommen wird, weiß niemand so recht. Am Rande der Veranstaltung wurde bereits die Befürchtung geäußert, viele Köche könnten den Brei verderben, die Einbindung externer Experten würde am Ende in einem schwammigen Kompromiß-Papier enden. „Wichtig ist, daß wir hier nicht ein Konvolut unterschiedlichster Strömungen haben, sondern daß kurz und knapp nüchtern dargestellt wird, was Interessen, Aufgaben, Instrumente, relevante Regionen und strategische Kommunikation angeht“, erklärte der Vorsitzende des Reservistenverbandes Roderich Kiesewetter, der für die CDU im Bundestag sitzt.

Zu Wort meldete sich auch der Initiator der Ausgabe des Jahres 2006, der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU): „Die Frage, wo etwa ist die Bundeswehr einsetzbar und wann ist sie einsetzbar, die bedarf einer Antwort“, sagte er und fügte hinzu: „Wir sind keine Weltpolizei. Wir haben Verpflichtungen innerhalb der Nato, wir haben Verpflichtungen innerhalb Europas, aber es gilt auch, unsere Interessen zu berücksichtigen.“

Doch die Antworten auf diese Fragen haben es in sich. Derzeit diskutieren Politiker und Militärs über die Situation in Libyen oder den Ukraine-Konflikt. Doch die Entwicklung dieser Auseinandersetzungen ist völlig unvorhersehbar, die Lage könnte sich bis zum Erscheinen des Buches im kommenden Jahr schon wieder gänzlich geändert haben. Ob das „Weißbuch“ 2016 ein Meilenstein der deutschen Verteidigungspolitik wird, dürfte entscheidend davon abhängen, ob es gelingt, realistische Perspektiven zu entwickeln.

Um die Ausrüstung der Armee ist es schlecht bestellt, hochrangige Militärs fordern daher auch eine ordentliche Aufstockung des Wehretats. Vom Nachkriegsselbstverständnis einer Verteidigungsarmee hat die Politik die Truppe längst entfernt, von der Leyen erklärte doppeldeutig, „daß unsere Interessen keine unverrückbare Grenze haben, weder geographisch noch qualitativ.“ Doch um die Qualität der Bundeswehr gibt es seit Monaten Auseinandersetzungen, im unlängst veröffentlichten Bericht des Wehrbeauftragten, beklagten sich viele Soldaten über den maroden Zustand ihrer Kasernen. Von der Leyen mußte daher in Berlin auch einräumen, „daß wir an der Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber dringend arbeiten müssen“.

Innerhalb der nächsten zwölf Monate will die Verteidigungsministerin die Vorlage für das „Weißbuch“ erstellt haben, für die Verabschiedung durch das Kabinett ist vor allem das Einvernehmen mit dem Außenministerium unter Frank-Walter Steinmeier (SPD) nötig. Es ist daher davon auszugehen, daß das Papier neben einer militärischen auch eine starke politische Note enthalten wird. Außenminister Steinmeier hatte auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Maßstäbe und Grenzen der neuen deutschen Verantwortungspolitik wie folgt beschrieben: „Proaktiv, aber ohne Selbstüberschätzung“ und immer in die Bündnisverpflichtungen eingebettet. Doch vor allem den Nato-Partnern bereitet der Zustand der Armee Sorgen. Die Bundeswehr spielt in den amerikanischen Strategien im Verhältnis zu Rußland eine tragende Rolle. Schon jetzt sichern Flugzeuge der Luftwaffe die Außengrenzen der Nato. „Wenn Deutschland innerhalb seiner Bündnisse verläßlich agieren will, dann gehört eine angemessene Rüstungsbeschaffung dazu“, sagte die Verteidigungsministerin. Ob sie das „Weißbuch“ für schonungslose Wahrheiten in Sachen Ausstattung nutzen will, ließ sie allerdings offen.

Foto: Ein Generalleutnant verfolgt die Auftaktveranstaltung in Berlin: Mehr Geld für die Truppe

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