© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/15 / 27. Februar 2015

An der Realität vorbei
Die Insolvenz der Griechen wird weiter verschleppt / Daß Athen in der Eurozone bleibt, ist jedoch nicht gewiß
Bruno Bandulet

Schwachsinn ist, immer wieder dasselbe zu tun und jedesmal ein anderes Ergebnis zu erwarten. Kaum zu glauben: Die schier unendliche Geschichte der griechischen Insolvenzverschleppung geht in diesem Frühjahr ins sechste Jahr.

Als im Mai 2010 das erste Rettungspaket geschnürt wurde, sollte es laut Bundesregierung das einzige bleiben. Das glaubte offenbar auch Ex-Finanzminister Hans Eichel (SPD), der sich damals gegenüber dem Handelsblatt brüstete: „Ich kaufe zum erstenmal in meinem Leben Staatsanleihen – und zwar griechische.“ Falls Eichel nicht clever genug war, die Papiere bald wieder abzustoßen, verlor er eine Menge Geld. Schon 2012 wurde der Regierung in Athen ein Schuldenschnitt gewährt. Die privaten Gläubiger des bankrotten Staates verloren 107 Milliarden Euro. Ebenfalls 2012 folgte auf das erste Kreditpaket ein zweites – und bei Redaktionsschluß sah es so aus, als werde das aktuelle Hilfsprogramm, das Ende Februar ablaufen sollte, bis Ende Juni verlängert. Dann fließen noch einmal 7,2 Milliarden.

Während mit einer Konsequenz von seltener Stupidität gutes Geld schlechtem hinterhergeworfen wurde, wuchs der griechische Schuldenberg unkontrolliert weiter. Zuletzt auf gut 320 Milliarden Euro, dies bei einer jährlichen Wirtschaftsleistung von lediglich 182 Milliarden und einer Einwohnerzahl von knapp elf Millionen. Der deutsche Anteil an den Krediten beläuft sich auf 63,5 Milliarden – Tendenz steigend, Rückzahlung praktisch ausgeschlossen. Da fällt kaum noch ins Gewicht, daß Ministerpräsident Alexis Tsipras in seiner Regierungserklärung die Unverschämtheit besaß, von Berlin elf Milliarden Euro an Weltkriegsreparationen zu verlangen. Nebenbei bemerkt: die „normalen“ Subventionen, die Athen seit Eintritt in die EU auch noch kassiert hat und weiterhin kassiert, summieren sich inzwischen auf 180 Milliarden Euro. Auch davon spendierte der deutsche Steuerzahler den größten Anteil.

Noch am vergangenen Donnerstag, als Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) den Brief aus Athen barsch zurückwies, sah es so aus, als werde er hart bleiben. Einen Tag später trat die mächtige IWF-Chefin Christine La-garde, flankiert von den Eurokraten Pierre Moscovici und Jeroen Dijsselbloem, vor die Presse und verkündete die Einigung mit der Regierung Tsipras. Da war Deutschland schon nicht mehr Herr des Verfahrens. Die angebliche europäische Vormacht hatte abgedankt. Wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am vergangenen Wochenende enthüllte, war der vermeintlich in Athen verfaßte Brief in Brüssel geschrieben worden. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte Formulierungshilfe geleistet. Das Ergebnis: ein dünner Formelkompromiß, der den Zweck hat, Zeit zu gewinnen und frisches Geld locker zu machen; und der intransparent genug ist, um den Bundestagsabgeordneten wieder einmal die Zustimmung zu einem Papier zu erleichtern, dessen Lektüre sie sich gerne ersparen werden.

Spätestens in diesem Februar hätte die Bundesregierung die Realität akzeptieren können, daß die deutsche und die griechische Volkswirtschaft nicht in eine gemeinsame Währungsunion passen. Daß sie es nicht wagte, das böse Spiel zu beenden, hatte auch übergeordnete politische Gründe. Nachdem Athen damit gedroht hatte, sich notfalls Geld aus Moskau zu besorgen, übte Washington Druck hinter den Kulissen aus. Das lief vor fünf Jahren ähnlich. Als die Bundesregierung noch zögerte, sich auf das ganz große Euro-Rettungspaket einzulassen, telefonierte Präsident Obama am 9. Mai mit Angela Merkel und forderte massive Hilfskredite. Damals stand die Sorge um das Finanzsystem im Vordergrund. Diesmal spielten geopolitische Faktoren eine Rolle: der Erpressungsversuch aus Athen und Machtinteressen in Washington, wo die EU immer noch als Hilfsorgan der amerikanischen Eurasienpolitik gesehen wird.

Trotz allem besteht immer noch eine Chance, daß die zur Schmierenkomödie verkommene griechische Tragödie 2015 in einem letzten hochspannenden Akt endet. Nicht etwa in Paris und Brüssel, aber in den nord- und südeuropäischen Regierungszentralen ist die Bereitschaft, weiterhin das Faß ohne Boden zu bedienen, deutlich begrenzt. In Berlin fürchtet das Parteienkartell den Vormarsch der AfD. Und in Griechenland selbst haben sich Banken und Unternehmen bereits auf Kapitalverkehrskontrollen und auf die Einführung einer „Neuen Drachme“ als Parallelwährung vorbereitet.

In Athen ist seit den Wahlen vom 25. Januar viel von der Würde des griechischen Volkes die Rede. Wenn das ernst gemeint ist, sollten die Griechen das Währungsgefängnis verlassen und den unrühmlichen Status eines Euro-Protektorats aus eigenem Entschluß beenden. Dann könnten sie ihr Geld selbst drucken und ihre Volkswirtschaft und ihre Gesellschaft so organisieren, wie sie es für richtig halten. Ob die Drachme dann nach der anfänglichen Abwertung mehr oder weniger schwach bliebe, hätten sie selbst in der Hand. Modernisiert werden kann das Land nur von den Griechen selbst, vorhersehbar jedoch nicht von einer Regierung, in der Linksextremisten, Kommunisten und wirre Nationalisten sitzen mit einem talentierten Demagogen an der Spitze.

Die Vorstellung, daß die Tsipras-Regierung ihre Reformzusagen an die Geldgeber nicht unterläuft und daß sie die Voraussetzungen mitbringt, das Land zu sanieren, ist äußerst naiv. Für den Euro selbst wäre der Bruch eine gute Nachricht. Mit dem „Grexit“ würde er an den Devisenmärkten steigen, auf ein Ende mit Schrecken haben sich die Finanzmärkte längst eingestellt.

 

Dr. Bruno Bandulet ist Publizist und Herausgeber des DeutschlandBriefs (erscheint in eigentümlich frei). Als Journalist war er unter anderem bei der Welt tätig.

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