© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/15 / 20. Februar 2015

Auf plattdeutsch grölen
Stolz auf das Eigene und Sehnsucht nach Heimat: Black Metal zu Ehren von Westfalia, Bavaria und Frisia
Heiko Urbanzyk

Jetzt kommen die Westfalen“ – diese klare Ansage eröffnete vor genau zehn Jahren das Debütalbum „Westfälischer Schlachtenlärm“ der heidnisch orientierten Black-Metal-Gruppe Heimdalls Wacht. Es war der Auftakt zu einer musikalischen Laufbahn, deren Texte und Außendarstellung die alten Attribute des Black Metal (Leder, Nieten, Gesichtsbemalung) mit Heimatliebe verbinden. Statt der szeneüblichen umgedrehten Kreuze und Pentagramme bildete das Trio westfälische Landschaften sowie Sehenswürdigkeiten wie Burg Vischering (Lüdinghausen) und den Münsterländer Kiepenkerl ab. Anstelle okkulter Standardwerke wie der „Satanischen Bibel“ und des „Necronomicon“ beriefen die Bands sich auf Heimatdichter wie Annette von Droste-Hülshoff, Hedwig Kiesekamp, Maria Kahle und Augustin Wibbelt.

Aus Norwegen kam der Trend zur Muttersprache

Westfälische Fahnen schmücken das Bühnenbild auf Konzerten. Gesungen, besser: geschrieen und gekeift wird prinzipiell auf deutsch – und plattdeutsch. Westfälische Titel wie „Ekte Westfäölske Svatte Metal“, „Unselige Kiär“, „Niewelkraien“ und „Ut de graute olle Tied“ krönen das metallische Bekenntnis zu den westfälischen Wurzeln. In den Furor des Black Metal senkte sich die Flamme der Liebe zur eigenen Abstammung.

Im Jahr 2015 werden Heimdalls Wacht „Ut de graute olle Tied – Deel Twe“ veröffentlichen. „Plattdeutsche Textpassagen sind zwar diesmal nicht zu finden, werden aber in Zukunft immer wieder Einzug finden“, erklärt Gitarrist „Saruman“ aktuell auf Anfrage der JF. Aus den Reaktionen der Hörer schließen die Musiker, „daß wir durch die Verwendung des münsterländisch-westfälischen Dialekts ein bis dahin nicht artikuliertes und vielen wahrscheinlich sogar nicht bewußtes Grundbedürfnis ansprechen“. Oft hörten sie dabei eine Sehnsucht nach Heimat heraus: „Den Wunsch, in einer multikulturellen Gesellschaft auch der eigenen (und sei es einer Regional-) Kultur Bedeutung beimessen zu können.“

Texte auf limburgisch nicht so einfach in der Aussprache

Die Amtssprache der Metalszene ist bis heute Englisch. Die Besinnung auf das Eigene kam Anfang der 1990er Jahre mit dem Black Metal aus Norwegen. Morde, Grabschändungen und Kirchenbrände waren die eine, teuflische Seite einer Revolte junger, langhaariger Männer aus bürgerlichen Verhältnissen. Die andere Seite bestand darin, ausdrücklich die eigene Sprache für die Texte zu wählen. Englisch als Sprache kommerziell erfolgreicher Death/Thrash-Metal-Kombos wurde bewußt durch Norwegisch ersetzt. Ein Trend, der umgehend Deutschland erreichte. Fortan betonten junge Musiker und „Musiker“ in Interviews regelmäßig, für sie sei es selbstverständlich, ihre Texte am besten in ihrer Muttersprache zu verfassen. Das führte freilich nicht immer zu großer Lyrik ...

Die Verwendung eigener regionaler Mundarten im deutschen Untergrund dieser Musikszene blieb bis heute selten, doch sichtbar. Vor allem bei Akteuren, denen ein gewisser Kultstatus anhaftet und deren intellektuelle und musikalische Überdurchschnittlichkeit anerkannt ist.

Lunar Aurora aus Rosenheim vertonten 2012 mit „Hoagascht“ gleich ein ganzes Album im oberbairischen Dialekt ihrer Region. Dem Szenemagazin metal1.info erklärte die Gruppe zu einem früheren bairischen Text: „Es erschien nur mehr als natürlich, einmal einen Text in der eigenen Mundart zu verfassen. Zumal die bairische Sprache viel derber ist als das normale Deutsch und somit gut paßt.“ In Ostfriesland vertonte 2005 die Gruppe Heidenblut das „Freesenleed“, während ihre Stammesbrüder von Nordisk Velde auf hochdeutsch „Friesland ‘Heil’ für alle Zeit“ wünschten.

Für Szeneverhältnisse geradezu berühmt sind die 1989 gegründeten Falkenbach aus Düsseldorf. Anfangs sang Gründer Markus Tümmers neben Englisch auf altisländisch – der Sprache der Edda. Das Album „Asa“ von 2013 hingegen wartet mit einigen Texten auf limburgisch auf, der Mundart von Tümmers Großeltern. Keine einfache Sache. Dem Hammerheart-Magazin sagte Tümmers: „Das Verstehen war nie ein Problem, das Sprechen schon.“ Das teilweise Fehlen von Wörtern und die Verschriftlichung habe wohl Fehler. „Aber es ging mir auch nicht um eine wissenschaftlich korrekte Wiedergabe, sondern darum, dem, was für mich persönlich immer die Sprache meiner Familie war, meinem Zuhause, einen Klang zu geben.“

Die genannten Gruppen gelten innerhalb ihrer Szene als musikalisch und intellektuell überdurchschnittlich. Sie sind als unpolitisch oder zumindest „nicht rechts“ anerkannt. Lokalpatriotismus hat hier nichts Anrüchiges. Diesem identitären Aufbäumen, der Besinnung auf die eigene Herkunft haftet die Tragik an, die dem Lebensgefühl des Black Metal seit jeher innewohnte: die Gewißheit, sich im Abwärtsstrudel der eigenen Kultur zu befinden. Denn ihre regionalen Mundarten sind für die meisten dieser Künstler weder Alltags- noch Haussprache, sondern ein leises Echo aus alter Zeit.

Fotos: Logo der Black-Metal-Band Heimdalls Wacht aus Ahlen im Münsterland: Metallisches Bekenntnis zu den westfälischen Wurzeln; Plattencover von Falkenbach sowie Heimdalls Wacht: Düstere Weltsicht, regional verortet, eigene Mundart

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