© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/15 / 20. Februar 2015

Der Spaziergang nach Istanbul fiel ins Wasser
Die Schlacht um Gallipoli 1915, Teil 1: Im Frühjahr versuchten die Marineeinheiten der Entente vergeblich, die Dardanellen-Meerenge zu durchstoßen
Matthias Schneider

Die Meerengen zwischen Ägäis und Schwarzem Meer waren seit Jahrhunderten Ziel russischer Expansionsbestrebungen. Im November 1914, nach Kriegs-eintritt der Türkei auf seiten der Mittelmächte schien dieses Kriegsziel aus dem Nebel der Geheimdiplomatie in greifbare Nähe zu rücken. Vorerst jedoch nicht für Rußland selbst, welches wegen neuer Bedrängnisse an der Kaukasusfront Anfang Januar 1915 einen Hilferuf an seine Verbündeten richtete.

So gerieten die Dardanellen in den Fokus Englands und erschienen als Schlüssel zur Lösung der festgefahrenen Kriegslage. Den schwächelnden Russen könnte die dringend benötigte Hilfe zuteil und die noch neutralen Balkanstaaten zum Kriegseintritt auf seiten der Entente bewogen werden. Gleichzeitig wäre die Türkei von Deutschland abgeschnitten, ihrer Hauptstadt Konstantinopel beraubt und fiele als Kriegsteilnehmer aus.

Da vom britischen Kriegsminister Herbert Lord Kitchener vorerst keine Truppen in Aussicht gestellt wurden, reifte bei Winston Churchill, dem ersten Lord der Admiralität, der Entschluß, die Dardanellen durch eine reine Flottenaktion zu bezwingen. Der Plan von Admiral Sackville Carden, dem Oberkommandierenden im östlichen Mittelmeer, sah eine schrittweise Niederkämpfung der Festungswerke vor und wurde am 28. Januar 1915 vom Kriegsrat genehmigt. Bereits im November 1914, zwei Tage nach Kriegserklärung an die Türkei, hatten britische Kriegsschiffe die Außenforts der Dardanellen beschossen. Das war aber eher eine kleine Machtdemonstration.

Nun hatte man mit Gallipoli ein konkretes strategisches Ziel. Nach zweimaligem intensivem Bombardement nach dem 19. Februar 1915 und dem Einsatz von Landungstrupps gelang es die vier äußeren Forts bis Ende Februar auszuschalten, womit die erste Stufe des Plans umgesetzt war. Jedoch gestaltete sich die zweite Phase, die Niederkämpfung der inneren Forts und Räumung der Minensperren, weitaus schwieriger und zeitigte auch nach mehreren Wochen wenig Erfolg. Statt leistungsfähige Minenräumboote einzusetzen, behalf man sich mit Fischkuttern, welche zu schwach motorisiert waren, um gegen die starke Strömung ihrer Aufgabe nachzukommen. Bei Tag waren die langsamen Schiffe lohnende Ziele für die türkische Artillerie, weshalb das Minensuchen nachts im Schutze der Dunkelheit erfolgen sollte; ein Versuch, der ebenfalls scheiterte.

Den türkischen Feind im Handstreich ausschalten

Diese ineffektive und verlustreiche Räummethode führte dazu, daß Mitte März ein Drittel der Minensuchflottille nicht mehr einsatzfähig und die Moral der Besatzungen am Boden war. Ebensowenig gelang es, mittels direkter oder indirekter Beschießung die Festungsartillerie und die beweglichen Feldhaubitzen entlang der Küste auszuschalten. Erstere war zwar hinsichtlich Bauausführung und Geschützmaterial veraltet, erwies sich aber als extrem widerstandsfähig. Letztere waren sehr gut getarnt, ihre Standorte durch Scheinbatterien verschleiert, und wegen nächtlichen Stellungswechsels konnten sie als Ziele kaum ausgemacht werden.

Nicht zuletzt war die wirksame Gegenwehr der Verteidiger dem Umstand zu verdanken, daß die Meerengenbefestigungen unter deutschem Oberkommando standen und sich die Bedienmannschaften fast gänzlich aus gut ausgebildeten deutschen Artilleristen rekrutierten, die von den Kreuzern Goeben und Breslau abkommandiert oder als Zivilisten getarnt auf abenteuerlichen Wegen über den Balkan eingereist waren.

Die ursprünglich für vier Wochen veranschlagte Operation steckte in der Krise. Nachdem sich Carden am 16. März krank gemeldet hatte, entwarf sein Nachfolger Admiral John de Robeck kurzerhand einen Plan, der vorsah, mit der gesamten Flotte in die Dardanellen einzufahren, die Küstenartillerie niederzukämpfen, danach eine Fahrrinne freizuräumen, um tags darauf in einem letzten entscheidenden Durchbruch bis zum Marmarameer vorzustoßen.

Was zuvor während Wochen methodischen Vorarbeitens nicht geglückt war, sollte nun im Handstreich gelingen. Hohe Verluste waren einkalkuliert, denn zu weitreichend waren die erhofften strategischen Vorteile im Falle eines Erfolgs. Für diese kühne Operation stand de Robeck eine beachtliche Armada zur Verfügung, die neben zahllosen kleinen Einheiten 18 Schlachtschiffe umfaßte, darunter ein französisches Geschwader und die „Queen Elizabeth“, ein Super-Dreadnought modernster Bauart.

Mittlerweile waren im britischen Kriegsrat neue Überlegungen angestellt worden, die auf eine Unterstützung der Flotte durch Operationen zu Land abzielten. Dafür gab das Kriegsministerium Anfang März drei Divisionen frei, die legendären ANZAC (Soldaten des Australian and New Zealand Army Corps), die 29. Division und die Royal Navy Division. Die Franzosen stellten ein weiteres Kontingent, bestehend aus Kolonialtruppen und Legionären, so daß die neu geschaffene Mediterranean Expeditionary Force (MEF) etwa 80.000 Mann stark war.

Die Weisungen, welche General Hamilton am 12. März bei seiner Ernennung zum Oberkommandierenden der MEF von Lord Kitchener erhielt, waren sehr allgemein gehalten und offenbarten sträfliche Unkenntnis der örtlichen Lage und eine naive Unterschätzung des Gegners gleichermaßen. Einen Operationsplan zwecks koordinierten Vorgehens mit der Marine gab es nicht. Um eine Verzettelung der Kräfte zu vermeiden, sollte erst dann angegriffen werden, wenn die Landstreitkräfte vollständig vor Ort versammelt und kampfbereit waren, was frühestens in der ersten Aprilwoche der Fall sein konnte.

Solange wollte de Robeck nicht warten und befahl für den 18. März den Angriff. Frühmorgens meldeten die zurückkehrenden Suchboote, daß die Einfahrt bis acht Kilometer vor der engsten Stelle zwischen Chanak und Klid Bahr minenfrei sei. Mangels guter Sichtverhältnisse für Fernbeschuß und Flugzeugbeobachtung wurde bis in den Vormittag hinein gewartet. Um 10.30 Uhr fuhr die erste Gruppe der Schlachtschiffe in Position, eine Stunde später wurde das Feuer eröffnet. Was sich danach entwickelte, war die bis dahin größte Schlacht zwischen Schiffs- und Küstenartillerie.

Sir Ian Hamilton war nach seiner Ernennung eiligst zum Kriegsschauplatz gereist und hatte den Tag zu einer Erkundungsfahrt entlang der Westküste der Halbinsel Gallipoli genutzt. In der Endphase Augenzeuge der Schlacht, empfand er dieses schaurige Spektakel als so beeindruckend, daß „es zum Preis von fünf Lebensjahren billig erkauft“ wäre. Gegen 14 Uhr hatte das gegnerische Feuer fast gänzlich aufgehört, woraus der Flottenkommandeur schloß, daß die Forts weitgehend niedergekämpft seien. Dies war ein Trugschluß, denn tatsächlich waren die Ausfälle der Verteidiger gering, an einigen Geschützen war die Lademechanik beschädigt, aber hauptsächlich waren die durch Erdfontänen versandeten Verschlüsse zu reinigen. Ungefähr zur gleichen Zeit lief das französische Schlachtschiff „Bouvet“ auf eine Mine und versank in Minutenschnelle.

Eine Katastrophe für alle beteiligten Marineeinheiten

Da man diesen Verlust vorläufig einem Artillerietreffer zuschrieb und ansonsten keine nennenswerte Ausfälle zu beklagen hatte, glaubte man an diesem Punkt noch an einen erfolgreichen Ausgang der Operation, weshalb nun mit dem Minenräumen begonnen wurde. Dies dauerte bis 16 Uhr bei anhaltender Feuertätigkeit beider Seiten an. Als jedoch nach 16 Uhr die Schiffsverluste durch Minentreffer dramatisch zunahmen, befahl der Admiral kurz vor Sonnenuntergang den Rückzug. Die alliierte Bilanz war niederschmetternd: Drei Schlachtschiffe gesunken, drei weitere schwer beschädigt und nicht mehr einsatzfähig, dazu fast 700 Mann Verluste.

Auf türkischer Seite waren die Ausfälle an Mensch und Material erstaunlicherweise so gering, daß man bei einem erneuten Angriff zuversichtlich sein konnte. Doch dazu kam es nicht mehr. Der gescheiterte Flottendurchbruch wurde als Katastrophe gewertet und bewirkte eine grundsätzliche Änderung des alliierten Feldzugsplanes. Während nach bisherigen Vorgaben das Heer nach erfolgtem Durchbruch erst als zweite Staffel, sozusagen zur Unterstützung der Flotte einzusetzen war, wurde ihr zukünftig die Hauptlast der Operationen aufgebürdet. Sie sollte in einer großangelegten amphibischen Operation mit Unterstützung der Flotte landen und sich den Weg nach Konstantinopel freikämpfen. Doch das ist eine andere Geschichte.

Foto: Schiffe der alliierten Flotte 1915 vor der Suvla-Bucht an der türkischen Halbinsel Gallipoli: Sträfliche Unkenntnis der örtlichen Lage und eine naive Unterschätzung des türkischen Gegners

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