© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/15 / 20. Februar 2015

Aus dem Götterliebling ist ein Schnösel geworden
Pegida: Der in Dresden geborene Dichter Durs Grünbein rechnet mit der Mentalität in seiner Heimatstadt ab / Eine Antwort
Doris Neujahr

Es sei das Vorrecht der Dichter, vernunftlos zu träumen, sagte der Schriftsteller Stephan Hermlin, als er sich wegen der Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 in Konflikt mit der SED-Führung befand. Der sonst so staatstreue Autor nahm sich die Freiheit von einer instrumentellen Vernunft, welche die Wahrheit mit dem Programm der Staatspartei identifizierte. Der Dichter Durs Grünbein, der 1995 den renommierten Büchnerpreis erhielt und als bedeutendster deutscher Lyriker der Gegenwart gilt, hat dieses Vorrecht in einem Artikel für die Wochenzeitung Die Zeit (12. Februar) noch radikaler, in geradezu selbstmörderischer Weise in Anspruch genommen.

Der gebürtige Dresdner (Jahrgang 1962, heute in Rom lebend), der beim Eintritt in die Literaturszene als „hinreißender Götterliebling“ gefeiert wurde, kann die Pegida-Demonstranten in seiner Heimatstadt nicht leiden. Unter der Überschrift „Das Volk, dieses Monster“ nennt er sie „Sklaven der Konsumwirtschaft“, die ihre „Vulgarität“ auslebten und nach einem „biologischen Kontrollprogramm“, nach „Selektion, Ausschließung, Einschließung“ riefen. Sie seien – der Begriff bildet das Leitmotiv des Textes – „Kleinbürger“, die selbst „aus einer Masse von Wirtschaftsasylanten hervorgegangen“ seien und nun Angst hätten „um ihr bißchen Besitz“. Durch sie offenbare sich der verstockte Geist der Stadt, nämlich ein „häßlicher Obrigkeitssinn“ und die „sächsische Unterwerfungslust“. Denn „der Drang der Eingeborenen, Mehrheiten zu bilden und die Abweichler niederzubrüllen, ist etwas, das ich schon in der Schule kennenlernte“.

Die Vernunft durch das Ressentiment ersetzt

Der Aufsatz ist ein hemmungsloser Haßausbruch, vorgetragen in der Vulgärsprache des Agitators. Er ist eine Absage an die Vernunft als solche, die durch das Ressentiment ersetzt wird. Es gibt kein zuverlässigeres Indiz für den habituellen Kleinbürger als seinen Versuch, andere durch den Vorwurf herabzusetzen, sie seien „kleinbürgerlich“. Die Demonstrationen als Ausdruck des Untertanengeistes hinzustellen, ist so grotesk wie infam. Den Demonstranten stehen alle institutionellen Mächte gegenüber, andernorts sogar geduldete Schläger. Grünbein schwimmt mit auf der medialen und regierungsamtlichen Erregungswelle.

Mit der Stadt seiner Jugend verbindet er offenbar traumatische Erinnerungen. Das Leiden am Herkunftsort ist ein Durchschnittsphänomen und wirklich nicht Dresden-spezifisch. Das Mobbing gegen Mitschüler, die ein wenig auffallen, aus der Reihe tanzen oder über den Durchschnitt hinausragen, gibt es auch an englischen Eliteinternaten – die dekorativen englischen Krimiserien leben davon – oder an den multikulturellen Schulen in Deutschland, wo die letzten deutschen Schüler als „Kartoffeln“ gedemütigt und anderweitig malträtiert werden. Natürlich verrät der Autor an keiner Stelle, wie er sich die weitere Entwicklung bei einem anhaltenden Massenzustrom nach Deutschland vorstellt.

Der Artikel enthält die für bundesdeutsche Intellektuelle typische Mischung aus Hypermoral und politischer Romantik. Auch Grünbein geht es nicht um die Analyse eines Problems, sondern um die affektiven Funken, die sich daraus schlagen lassen. Die kosten die Moralisten und Romantiker nichts, sie verschaffen ihnen aber Aufmerksamkeit, Anerkennung und nicht selten geldwerte Vorteile.

Die Globalisierung sei „unaufhaltsam“ und den Patriotismus dagegen in Stellung zu bringen „eine Form der Hysterie und der Hypochondrie“. Gewiß reicht er als Konzept und Strategie nicht aus, aber Grünbeins höhnische Apodiktik läuft darauf hinaus, sie als Fatum hinzunehmen und alles weitere den mafiosen „Meistern des Universums“ zu überlassen.

Das ist eine bemerkenswerte Rolle rückwärts, denn auch in der DDR bestand die Freiheit darin, die von den Klassikern des Marxismus-Leninismus formulierten Menschheitsgesetze möglichst geräuschlos zu exekutieren. Mit seiner Hingabe an den offiziellen politischen Narrativ und Zweckrationalismus fällt Grünbein sogar hinter Stephan Hermlin zurück.

Vielleicht ist dieser Konformismus der Hauptgrund dafür, daß seit gut fünfzehn Jahren in seinen Gedichten der Gipsgehalt den Marmor überwiegt. Früher gehörte seine Lyrik zur Grundausstattung jedes Litera-turinteressierten. „Komm zu dir Gedicht, Berlins Mauer ist offen jetzt, / Wehleid des Wartens, Langeweile in Hegels Schmalland / Vorbei wie das stählerne Schweigen ...“, hatte er 1991 ein neues Zeitalter eingeläutet.

Parallel zum wachsenden Ruhm hat er seine Gedichte klassizistisch geglättet und mit antiker Bildungshuberei überfrachtet. Der Dramatiker Heiner Müller faßte den Schmerz, den ihm die von der Geschichte geschlagenen Wunden bereiteten, in unvergeßliche antike Bilder. In Grünbeins Lyrik ist der Schmerz bloß ein Zitat. Sie ist Kunstgewerbe, die perfekte Goldschnitt- beziehungsweise Kleinbürger-Lyrik.

Im Anti-Pegida-Text entblößt der Götterliebling sich nun als arroganter Schnösel. Schade um diesen Mann, der mal etwas zu sagen hatte.

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