© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/15 / 20. Februar 2015

Pankraz,
H. de Montherlant und die Gesundheit

Wer nicht selber für seine Gesundheit sorgt, der darf nicht erwarten, daß der Staat für ihn einspringt.“ So donnerte vor einigen Tagen der englische Premier David Cameron im Unterhaus, als dort wieder einmal über die „Sickness Benefits“ diskutiert wurde, über die staatlichen Zuwendungen also, die etwa Alkoholsüchtige oder Übergewichtige vom United Kingdom erhalten, ohne daß sie sich im Gegenzug einer Therapie unterziehen müssen. Damit soll auf der Insel nun Schluß sein. „Ohne Therapie kein Geld vom Staat“, soll künftig die Devise lauten, jedenfalls wenn es nach Cameron und seiner Partei ginge.

In Deutschland wirken solche Debatten einigermaßen exotisch. Kaum jemand käme hier wohl auf den Gedanken, sich bis zum Gehtnichtmehr zu besaufen oder sich einen Wanst anzufressen, nur um dafür vom Staat eine Rente zu beziehen. Der Drang zur Gesundheit ist hierzulande schier übermächtig. Ihretwegen drängelt man sich geradezu zu Therapien, die dann freilich die Krankenkassen bezahlen sollen. Es wimmelt von allen möglichen, oft sich einander widersprechenden Diätplänen, und eine mittlerweile kaum noch überschaubare Ratgeberliteratur belehrt uns darüber, wie wir am besten gesund bleiben können.

Die allgemeine Überzeugung befindet sich in Übereinstimmung mit den qualifiziertesten Weisheitslehren und Glücksversprechungen, deren Motto über alle Zeiten und Kulturen hinweg tatsächlich in der Einsicht gipfelt: Die Gesundheit ist der wahre und unabdingbare Motor des Glücklichseins. „Neun Zehntel unseres Glücks“, resümierte denn auch bereits Arthur Schopenhauer vor hundertfünfzig Jahren, „beruhn allein auf der Gesundheit. Mit ihr wird alles eine Quelle des Genusses. Hingegen ist ohne sie kein äußeres Gut, welcher Art es auch sei, genießbar“.

Henry de Montherlant (1895–1972), der aristokratische französische Literat und Kriegsheld des zwanzigsten Jahrhunderts, trieb den Lobpreis der Gesundheit sogar bis zu der Devise vor: „Gesundheit oder Tod!“ Seiner Meinung nach war Krankheit eine an sich von Gott nicht vorgesehene Dekadenzerscheinung des Lebens, eine Tat des Teufels und eine Störung des natürlichen Existenzablaufs. Daß die vom Menschen geschaffene Medizin mit so ungeheurem Aufwand an Intelligenz und Sorgfalt und mit so ungeheuren Kosten gegen die Krankheit anging, hielt er für reine Existenzverschwendung.

„Die Gesundheit“, schrieb er in seinem expressis verbis gegen das Christentum gerichteten Elaborat „Die Tiermenschen“ von 1926, „ist ein viel edlerer und verfeinerterer Zustand als die Krankheit. Als die Menschen noch ein gesundes Hirn hatten, stellten sie sich die Götter, die sie schufen, nur gesund und glücklich vor.“ Und als er, Montherlant selber, ernsthaft zu erkranken drohte, schritt er zu einer Art doppeltem Suizid, indem er eine Zyankali-Kapsel zerbiß und sich gleichzeitig in den Kopf schoß. Der von den Angehörigen herbeigerufene Arzt konnte nur noch den Tod feststellen.

Viele Montherlant-Leser bewunderten seinerzeit diesen Abgang, priesen ihn als Ausdruck besonderen Mutes und besonderer Kaltblütigkeit. Einige aber, zum Beispiel Thomas Mann oder Erwin Guido Kolbenheyer, fragten sich schon damals , ob es sich da nicht eher um schlichte Feigheit gehandelt hätte, um Angst vor der Krankheit, die es doch tapfer zu ertragen gelte und die man als integralen Bestandteil des Lebens verstehen, ja eventuell schöpferisch nutzen müsse. Schließlich gebe es viele Arten von Krankheit, und einige könnten durchaus zu erlesenen Formen von Lebenserhöhung und Lebenserkenntnis führen.

Krankheit kann uns zwar bis zu einem gewissen Grad „entmenschlichen“, wenn sie uns dazu zwingt, nur noch an sie und immer nur an sie zu denken, an Medizin, Diätvorschriften und Arztbesuch; aber selbst wenn sie uns so einerseits vom „normalen“ Leben abtrennt, andererseits jedoch immer wieder auf dieses unser ganz eigenes, schmerzensreiches Leben zurückwirft, läßt sie uns eine Dimension des Daseins gewinnen, die dem lediglich zufrieden vor sich hin Lebenden verschlossen bleiben muß.

Als erster hat das, wenn Pankraz sich nicht irrt, kein Geringerer als Heinrich Heine zu Papier gebracht, als er während seiner „Reise durch Italien“ beobachtete, daß kranke Menschen „immer irgendwie vornehmer sind als gesunde. Nur der kranke Mensch ist der wahre Mensch, denn seine Glieder haben eine Leidensgeschichte.“ An einer anderen Stelle notiert er, ganz im Geiste der zu jener Zeit herrschenden Hegelschen Philosophie, daß, wer Krankheit erleiden muß, „sein eigenes Leben nur noch teilweise ausfüllt (...) Doch er lebt für den Rest als Gattungswesen, eben als der wahre Mensch.“

So viel zu den verschiedenen Arten von Krankheit. Aber es gibt natürlich auch verschiedene Arten von Gesundheit, und auch unter ihnen finden sich erbauliche und weniger erbauliche, etwa primitive Muskelprotzerei oder Handel mit angeblich heilbringenden Yoga-Matten, die nur die Händler reich machen. Die größte Gefahr ist hier allerdings, daß die modernen, auf Kostenersparnis und Algorithmen erpichten Staaten mit Hilfe von Geldverteilung, beziehungsweise Geldentzug, und mittels purer Strafandrohungen einen Einheits-Gesundheitsmenschen durchsetzen, an dem sich alle zu orientieren haben.

„Gesundheit darf nicht allzu langweilig werden, sonst würde das Leben unerträglich“, notierte im siebzehnten Jahrhundert der große Aphoristiker La Rochefoucauld. „O was wäre das für eine langweilige Krankheit, seine Gesundheit durch eine allzu bittere Dauermedizin und eine allzu strenge Dauerdiät erhalten zu wollen!“

Aber, so fügte der überzeugte politische Anti-Zentralist mit deutlicher Spitze gegen den in Paris in aller absolutistischen Pracht regierenden König Ludwig XIV. hinzu, „das Allerschlimmste und Allerlangweiligste kommt, wenn uns Medizin und Diät von einem herrschsüchtigen Regime aufgezwungen oder gewaltsam verwehrt werden“. Dergleichen hat wohl auch heute seine Gültigkeit.

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