© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/15 / 20. Februar 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Preußens Gloria
Marcus Schmidt

Wohl kein westlicher Staat macht sich so klein, verzichtet so bewußt auf Repräsentation wie die Bundesrepublik. Keine prunkvolle Parlamentseröffnung mit Kutsche und Königin wie in Großbritannien, keine prachtvolle Garde républicaine, die in Frankreich bei Staatsbesuchen mit blitzenden Helmen und hoch zu Roß für Glanz und Glorie der Grande Nation sorgt.

Auf derlei „unzeitgemäße“ Selbstdarstellung des Staates wird in Deutschland nahezu vollständig verzichtet, zumeist mit dem Verweis auf „die Geschichte“. Und doch: Wenn die Bühne auch zumeist leer bleibt, über die passende Kulisse verfügt die Bundesrepublik seit dem Umzug von Parlament und Regierung vor bald 16 Jahren nach Berlin. Die repräsentativen Bauten des alten Preußen Unter den Linden und vor allem rund um den Lustgarten mit dem Dom und dem bereits im Rohbau wiedererrichteten Stadtschloß bilden eine großartige Bühne, auf der jeder staatstragende Auftritt zu einem Schauspiel wird.

Das zeigte sich in der vergangenen Woche eindrucksvoll beim Staatsakt für den Ende Januar verstorbenen Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker im Berliner Dom. Es war nach der Trauerfeier für den 2006 verstorbenen Johannes Rau bereits die zweite Trauerfeier für einen Bundespräsidenten, die in dem 1905 eingeweihten wilhelminischen Prachtbau des Architekten Julius Raschdorff stattfand. Der Dom entwickelt sich damit immer mehr zur zentralen „Staatskirche“ der Bundesrepublik.

Beim Staatsakt für Weizsäcker, dem ein Gottesdienst vorausging, wirkte die Schlichtheit, die den offiziellen Veranstaltungen in der Bundesrepublik häufig eigen ist, nicht mehr unbeholfen und geschichsvergessen. Sie paßte vielmehr zu dem preußischen Rahmen und machte die Feier für das verstorbene frühere Staatoberhaupt zu einer beeindruckenden, würdigen Veranstaltung, die alle Beteiligten in ihren Bann schlug.

Am Ende der gut zweistündigen Trauerfeier wurde der Sarg des Altbundespräsidenten von Soldaten aus dem Dom getragen. Anders als etwa vor dem architektonisch verunglückten Kanzleramt, vor dessen Kulisse das Wachbataillon bei Staatsbesuchen immer seltsam deplaziert wirkt (eine Wirkung, die vom Architekten in der Tradition der alten Bonner Republik durchaus beabsichtigt war), ergab die Beteiligung des Militärs hier ein durchaus stimmiges Bild: Es wirkte wie ein Stück wiedererlangter Normalität.

Als schließlich nach dem Abschluß des Staatsaktes das Wachbataillion mit klingendem Spiel auf die Linden bog und zu „Preußens Gloria“ an der noch betongrauen Fassade des Stadtschlosses vorbei Richtung Zeughaus marschierte, wurden die Soldaten von unzähligen Touristen bestaunt und fleißig gefilmt und fotografiert. In diesem Augenblick hätte man gerne gewußt, was die Grünen-Politikerin Claudia Roth gedacht hat, die just zu dieser Zeit ebenfalls die Schloßbrücke überquerte und ein Stück neben den marschierenden Soldaten hergehen mußte.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen