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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/15 / 13. Februar 2015

Der Flaneur
Vom Winter überrascht
Paul Leonhard

Es knirscht herrlich unter den Stiefeln. Ich bin an diesem Morgen der erste, der seine Spuren im jungfräulichen Schnee hinterläßt. Alle anderen schlafen noch. Die werden Augen machen, wenn sie das Schneetreiben sehen, denke ich. Auf dem Rückweg vom Müllcontainer mühe ich mich, in den eigenen Abdrücken zu bleiben. Der Schnee pappt sogar, ist bestens geeignet für Schneemannbau und Schneeballschlacht. Und die Presse hat nicht gelogen, als sie für heute Winterwetter versprach. Es wird ja auch Zeit.

Wir wollen ins Gebirge. Winter genießen. Die Bahn fördert das und läßt eigens einen Winterexpreß fahren. Doch als wir auf den Bahnsteig gelangen, weckt uns eine aus dem Lautsprecher scheppernde Stimme aus unseren Winterträumen: „Kurort Altenberg Erzgebirge. Der Zug fällt heute aus. Wir bitten um Entschuldigung.“ Wir schauen uns sprachlos an. Auch an der elektronischen Tafel steht: „Zug fällt aus.“

Deswegen werde der Zug „Winterexpreß“ genannt, weil er ausfalle, wenn es schneit, schlußfolgert mein Sohn kühn. Wir grinsen. Aber was nun? „Nehmen wir den Bus?“ fragt meine Frau. Sofort kommt Protest von unten. „Nein, wir fahren mit dem Auto. Das ist zuverlässig“, sagt der Kleine. Meine Frau sieht mich nachdenklich an: „Hast du eigentlich die Räder gewechselt?“

Habe ich natürlich nicht, wer rechnet schon Mitte Februar noch mit Schnee? „Klar“, schwindle ich tapfer. Nur zur Tankstelle müsse ich noch. „Da warst du doch erst ...“, setzt meine Frau an. Ich schaue sie beschwörend an. Während die beiden sich zu Hause einen Tee zubereiten, eile ich in die Garage. Die Griffe sitzen. In 20 Minuten sind die Sommerreifen ab und die Winterreifen montiert. Nur der Nachbar lächelt schief: „Na, vom Winter überrascht worden?“ Wenig später gefriert sein Lachen. Sein Auto springt nicht an. Meine Batterie muß helfen. Herrlich, jetzt habe ich die perfekte Ausrede, warum das Tanken so lange gedauert hat.

Der Schnee im Erzgebirge war übrigens perfekt. Nächste Woche fahren wir wieder, nur ohne über den Umweg zur Bahnstation. Frauen sitzen, die tonnenweise Folie in den Haaren haben“