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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/15 / 13. Februar 2015

Luftkrieg in der Region
Ein aufwendig produzierter militärgeschichtlicher Heimatführer durch Nordbayern
Alexander Heimeran

Seit 2002, als Jörg Friedrichs „Der Brand“ erschien, hat sich die historische Wahrnehmung der Bombenangriffe auf deutsche Städte verändert. Friedrich, der früher Schauspieler und Regisseur war, ließ die Grausamkeit des ebenso unverhältnismäßigen wie militärisch unsinnigen „moral bombing“ in lebendigen Bildern vor dem geistigen Auge seines Publikums ablaufen.

Ganz anders ist Harald Dill an das Thema Luftkrieg herangegangen. Dill ist kein Historiker, sondern Naturwissenschaftler. Der studierte Geologe, Mineraloge und Geograph interessiert sich für die militärisch-technischen Rahmenbedingungen des Luftkriegs in seiner Heimat Nordbayern, die er in einem dreibändigen Werk gründlich untersucht. Wie seine unter Mitarbeit von Karlheinz Hetz entstandene Arbeit zeigt, werden regionalgeschichtliche Studien völlig zu Unrecht unterschätzt, ermöglichen sie es doch, der nötigen Distanz des Überblicks die Nähe des exemplarischen Details an die Seite zu stellen.

Im Mittelpunkt stehen die deutschen und alliierten Luftstreitkräfte über einen Zeitraum von hundert Jahren (1914–2014), vor allem während des Zweiten Weltkriegs. Der Bomben- und Luftkrieg in seinem regionalen Zusammenhang nimmt den breitesten Raum ein, aber auch zahlreiche andere Aspekte wie Fliegerausbildung der Luftwaffe, Flugzeugfertigung und -erprobung oder Luftabwehr finden Berücksichtigung.

Wie überall im Deutschen Reich versuchte die Luftwaffe in Nordbayern, Angriffe auf wichtige Rüstungsbetriebe zu verhindern, etwa im August 1943 während der gleichzeitigen Luftangriffe auf die Kugellagerindustrie in Schweinfurt und die Messerschmitt-Werke in Regensburg, wo unter anderem der Kolbenmotorjäger Me 109 gefertigt wurde (Operation Double Strike). Zwei Monate später erlitt die US Air Force bei einem weiteren Angriff auf Schweinfurt noch schwerere Verluste. Von 291 „Fliegenden Festungen“ wurden 77 Bomber abgeschossen, 121 stark beschädigt. Das Datum ging als Schwarzer Donnerstag in die Geschichte der amerikanischen Luftwaffe ein.

Neben der Me 109 wurde in Nordbayern der Lastensegler Me 321 „Gigant“ gebaut, außerdem der erste Raketen-Objektschutzjäger Me 163 „Komet“ und der erste einsatzfähige Jäger mit zwei Strahltriebwerken, die Me 262 „Schwalbe“. In der Endphase des Krieges ging man zu einer dezentralisierten Produktion in nordbayerischen Waldwerken über. Zunehmend kamen Zwangsarbeiter aus dem KZ Flossenbürg und seinen Außenlagern in der Oberpfalz, in Franken und den benachbarten östlichen Gebieten zum Einsatz. Bei Hersbruck begann man im Stile des KZ Mittelbau-Dora mit der Errichtung des Untertagerüstungsbetriebs „Doggerwerk“.

Der Norden Bayerns wurde wie ganz Deutschland von Flächenbombardements heimgesucht. So wurde, um nur ein Beispiel zu nennen, am 16. März 1945 Würzburg von 223 Lancaster-Bombern der Royal Air Force in Schutt und Asche gelegt. Luftminen und Sprengbomben deckten die Dächer ab, rissen Fenster und Türen ein, öffneten die brennbaren Bereiche der Wohngebäude. Unzählige Phosphor-Brandbomben entfachten anschließend den beabsichtigten Feuersturm in der Würzburger Altstadt mit ihren engen Gassen und Fachwerkbauten. 5.000 Zivilisten starben. Militärische Erwägungen dürften bei der Bombardierung keine Rolle gespielt haben, denn Rüstungsbetriebe gab es hier nicht. Im Gegenteil: Die Ruinen der Altstadt boten den deutschen Verteidigern beste Deckung im Kampf mit den nur zwanzig Tage darauf einrückenden US-Soldaten.

Akribische Sammlung aller Luftangriffe der Region

Zu Dills naturwissenschaftlicher Herangehensweise gehört die Auswertung historischer Luftbilder, die im Rahmen der operativen Kriegsführung erstellt wurden. So hat der Oberst der Reserve, der als Rohstoffgeologe jahrzehntelang Luft- und Satellitenbilder auswertete, statt des Gesteins kurzerhand „die von Menschen erzeugten technischen Spuren“ unter die Lupe genommen. Neben Luftbildern finden sich zahllose Fotografien zu Mannschaften und Maschinen – aus Privatbesitz, aus regionalen und aus alliierten Archiven. Sie machen die Bände zu einer Fundgrube für alle regional- und militärgeschichtlich Interessierten, ebenso die aufwendig erstellten Tabellen, etwa zu Bomben- und Tieffliegerangriffen, Flugzeugabstürzen und -unfällen im Untersuchungsgebiet, sowie das umfangreiche Ortsregister.

Ein Vorzug des Werkes sei noch hervorgehoben, der heute selten geworden ist: Die reich mit Bildern und Karten ausgestatteten Bände im Schuber sind hochwertig produziert und je mit einem eigenen Lesebändchen versehen.

Harald G. Dill, Karlheinz Hetz: Luftkrieg von Aschaffenburg bis Zwiesel. Verlag Heinz Späthling, Weißenstadt 2014, gebunden, 1014 Seiten, Abbildungen, 78,90 Euro

Foto: Boeing B-17 Bomber (Fliegende Festung) der US Air Force beim Angriff auf Schweinfurt 1943: Die Bombardierung der Kugellagerindustrie konnte die Rüstungsproduktion nicht entscheidend treffen