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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/15 / 13. Februar 2015

Übereinstimmung von Geist und Form
Gelehrter, Gestalter, Drucker und Verleger in einem: Vor fünfhundert Jahren starb Aldo Manuzio
Sebastian Hennig

Eine Erfindung macht unter günstigen Umständen schnell die Runde. Doch tritt sie zuerst noch ungestaltet vor unsere Augen und ist weit von den Vorzügen entfernt, die ihr endlich Dauer und Durchsetzung verbürgen. Selten werden die Erfinder selbst zu Vervollkommnern ihrer Hervorbringung. Oft erreicht diese an anderen Orten erst ihren Höhepunkt. Der Bleisatz mit beweglichen Lettern wurde von deutschen Druckern rasch über ganz Europa ausgebreitet. Der Vergleich der Inkunabeldrucke mit schönen handgeschriebenen Kodizes zeigt, daß der industrielle Fortschritt erst einmal einen Formverlust bedeutete. Der mittelbare mechanische Abklatsch der Farbe von der Metalltype bewirkt eine unschärfere Erscheinung des Buchstaben als die direkte Hand die Skriptors.

Erst Jahrzehnte nach Gutenbergs Erfindung verwandelte sich das praktische Verfahren in eine hohe Kunst. Diese eigene Ästhetik des Buchdrucks bildete sich vor allem in Venedig heraus. Hier erhielt sie ihren letzten Schliff. Der Augsburger Erhard Ratdolt hatte in seiner Venezianer Werkstatt den Holzschnitt in die typographische Gestaltung eingebracht. Von dieser Grundlage führte Aldo Manuzio die Buchkunst auf ihren Höhepunkt. In der Personalunion eines Gelehrten, Gestalters und Unternehmers wurde er zum Begründer des neuzeitlichen Verlagswesens.

Verena von der Heyden-Rynsch hat Manuzios Lebensgeschichte in ihrem Buch aufgeblättert. Sie zeichnet das umfassende Bild der wissenschaftlichen und handwerklichen Gemeinschaft jener Epoche, indem sie alle Autoren, Mitarbeiter und Konkurrenten des großen Druckerverlegers berücksichtigt. Aldo leuchtet bei ihr nicht als einzelner Fixstern. Er ist das Zentralgestirn eines ganzen Systems erlesener Geister. Über seine Philologen-Freunde ist Manuzio mit dem gebildeten Europa verbunden: Thomas Linacre in England, Konrad Celtis, Johann Reuchlin in Deutschland und Jean Grolier in Frankreich.

Hohe Auflagen, handliches Format

Der berühmte Renaissance-Drucker begann selbst als ein Gelehrter. Sein Name ist mit den erlesensten Häuptern des italienischen Renaissance-Humanismus verbunden. Pico della Mirandola wies ihm neben den Zeugnissen des klassischen Altertums die Bedeutung des arabischen, hebräischen und chaldäischen Schrifttums. Bereits als Student betätigte sich Manuzio als Lehrer für griechische Sprache. Der Fürst Alberto Pio ist sein Schüler und wird später zu seinem wichtigsten Förderer. Aldos Name erscheint auch im Zusammenhang mit der legendären Isabella d’Este. Trotz seiner Freundschaft mit Angelo Poliziano läßt er sich nicht in Florenz nieder, dem damaligen Zentrum der humanistischen Gelehrsamkeit. Stattdessen geht er 1490 nach Venedig. Das war eine pragmatische Entscheidung. Viele Strömungen laufen in jenen Jahren in dem Handels- und Verkehrszentrum zusammen. Die Republik war das klassische Exil der Griechen. Im geistigen und kaufmännischen Kreuzungspunkt zwischen Norden und Süden und Orient und Okzident boten sich hier ideale Bedingungen.

Sein Druckerzeichen Delphin und Anker zeigt Wendigkeit und Festigkeit in einem. Das Motto dazu „Festina lente“ wird dem Kaiser Vespasian zugeschrieben. Manuzio entnahm es einem Münzgeschenk des Freundes Pietro Bembo. Eile mit Weile ist ihm kein Aufruf zur Behäbigkeit. Die wenigsten der Neuerungen, die er durchsetzte, hat Manuzio selbst erfunden. Aber er hatte einen sicheren Instinkt, sich im richtigen Zusammenhang dieser zu bedienen. Mißgunst, Intrige und Eifersucht wüten auch unter den Hochsinnigen und Feingeistigen. Mit seinem Schriftschneider Francesco Griffo entzweit er sich im Streit über die Urheberschaft der kursiven Letter.

Außergewöhnlich hohe Auflagen eines handlichen kleinen Oktav-Formats produzierte er zu günstigen Herstellungskosten. Die „Aldinen“ ermöglichten ein freihändiges Lesen im Alltag jenseits von Pult und Studierstube. Die gescheiten und eleganten Büchlein wurden in Europa fast so etwas wie eine Währung. Sie wurden bald schon aus Gründen des Prestiges erworben, ohne die Absicht eines ernsthaften Studiums. Ein Jahr nach dem Tod des Verlegers hat Thomas Morus in seiner „Utopia“ den kleinen Klassikerausgaben eine umfassende volkspädagogische Wirksamkeit eingeräumt.

Der künstlerische Höhepunkt seines Wirkens besteht in der Herausgabe von Francesco Colonnas esoterischem Roman „Hypnerotomachia Poliphili“ im Jahr 1499. In ihrer Kapitelüberschrift nennt von der Heyden-Rynsch das Werk zu Recht: „Das schönste Buch der Renaissance“. Diesem sind 172 schönlinige Holzschnitte beigefügt. Der Berliner Elfenbein-Verlag versteht es seit Jahren die Neugier nach der bibliophilen Ausgabe einer deutschen Nachdichtung des geheimnisvollen Werks wachzuhalten. Der symbolisch verwobene Roman birgt die Geisteswelt der Renaissance in einer Nußschale.

In seiner Akademie trafen sich erlesene Geister

Auf ähnliche Weise sind Leben und Werk des Druckers und Verlegers beispielhaft für die Geschichte seines Gewerbes. Aldo führte neben seiner Druckerei eine gelehrte Akademie am Campo San Agostino. Wer sich in den Zusammenkünften nicht auf griechisch zu äußern wußte, wurde mit Strafzahlungen belegt. Mit der dreißig Jahre jüngeren Tochter seines Teilhabers Torresano erheiratet er sich dann Werkstatt und Haus am Campo San Paternian.

Manie und Depression des Büchermachens haben sich in seinem Leben abgewechselt. Der Pest entkam er nur knapp. Das Gelübde danach, Priester zu werden, wurde vom Papst ermäßigt zum Auftrag, nun auch geistliche Werke zu drucken. Mit den Briefen der Heiligen Katharina von Siena wurde er damit zugleich zum Herausgeber des ersten Buchs einer weiblichen Autorin in Venedig.

Während der Bedrohung der Republik durch die Liga von Cambrai galt er als römischer Fremdling und mußte Venedig verlassen. Seine Frau bewahrte ihm unterdessen Werkstatt und Vermögen. In seinem letzten Lebensjahrzehnt ging der Ausstoß der Offizin deutlich zurück. In der Kirche San Paternian wurde Aldo Manuzios 1515 aufgebahrt. Um den Sarg wurden seine Drucke wie Trophäen aufgestapelt.

Ende des 19. Jahrhunderts allerdings wurde mit dem Bau aus dem 10. Jahrhundert eine der ältesten venezianischen Kirchen abgerissen. 1974 errichtete der Architekt Luigi Nervi an der Stelle, wo sich einst die berühmte Druckerei befand, das modernistische Palazzo Nervi-Scattolin mit dem Hauptquartier der Sparkasse von Venedig. Eine Tafel erinnert am Platz heute an die Akademie des Druckers, in der die erlesensten Geister sich zusammenfanden. In umgekehrter Richtung, wie er aus einem Gelehrtenstand zum Unternehmer wurde, verließ sein Enkelsohn Aldo junior 1585 das ererbte Druckgeschäft und ging als Professor an die Universität von Bologna.

Was Erasmus von Rotterdam über seinen Aufenthalt in der Offizin des Kollegen und Freundes berichtet, ist wörtlich gemeint: „ … ich schrieb und Aldus druckte.“ In der Wiegenzeit des Buchverlagswesens ereignete sich die Herstellung, von der Abfassung des Manuskripts bis zum fertigen Buch, oftmals unter einem Dach. Ein Autor hat dabei ebensoviel vom Büchermachen verstanden wie der Drucker-Verleger von den gelehrten Inhalten, denen er zur Gestalt verhalf.

Die Bücher im Zeichen von Delphin und Anker haben Manuzios Ruhm weit gestreut. Die Übereinstimmung von Geist und Form ist unerreicht geblieben. Geblieben ist außerdem noch die Eleganz des Druckschriftlichen, ein heute als klassisch empfundenes Format des handlichen Buchs und die Rhythmisierung der Gedanken durch Interpunktion. Der Punkt am Satzende, die wohlgeordnete Titelei als Portal zum Buch, die Paginierung, Akzent und Semikolon sind erst durch ihn dauerhaft in das gedruckte Schriftbild gelangt. Damit ordnete er das Buch und lüftete dessen Mitteilungen für Gedankenpausen.

Verena von der Heyden-Rynsch: Aldo Manuzio. Vom Drucken und Verbreiten schöner Bücher. Wagenbach, Berlin 2014, gebunden, 144 Seiten, Abbildungen, 15,90 Euro