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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/15 / 13. Februar 2015

Zeitschriftenkritik: Exit
Überholmanöver auf der Standspur
Jens Knorr

Ob nun Keynesiasten oder Hayekinskis den Klepper Warengesellschaft von hinten oder von vorn aufzuzäumen suchen: daß der am Verhungern ist, darf beiden Fraktionen nach einzig und allein am Zaumzeug und der falschen Art und Weise des Aufzäumens liegen. Schrumpf-BWL wie Rest-Marxismus haben weder Bild noch Begriff für die Weltkrise des Kapitals, ohnehin sehen sich an der absoluten Schranke der Wertverwertung die Rezepte der feindlichen Brüder zum Verwechseln ähnlich.

Aber ist sich die Wertkritik Bild und Begriff soweit sicher, daß sie sich den „ideologischen Verwerfungen“ der bürgerlichen Gesellschaft zuwenden kann, wie die Redaktion im Editorial des zwölften Exit!-Hefts (Untertitel: „Krise und Kritik der Warengesellschaft“) verspricht? Die Kritik der „subjektiven Seite“, des gesellschaftlichen „Überbaus“, gehört von je zu den Dressurnummern linker Theoriebildung, bei der sie regelmäßig versagt. Auch diesmal bleiben die Erkenntnisse dürftig.

Johannes Bareuther erinnert an den inneren Zusammenhang von Hexenverfolgungen und Wissenschaftsentwicklung ausgangs des Mittelalters und an die geschlechtliche Abspaltung als die konstitutive Voraussetzung der neuzeitlichen Naturwissenschaften („Zum Androzentrismus der naturbeherrschenden Vernunft“). In einem fragmentarischen Text aus dem Nachlaß schleudert Robert Kurz den Bannstrahl auf die Postmoderne, ohne sie als der Moderne inhärent zu verorten („Der Kampf um die Wahrheit“). In zweiter Folge macht Daniel Späth mit den frühen Hegelschen Systemen kurzen Prozeß, ohne diese selbst prozessual zu denken und zu deuten („Form und Ideologiekritik der Hegelschen Systeme II“). Keine Aufklärung ohne Aufklärung über die Aufklärung, kein kategorialer Bruch ohne Kontinuität und kein Daniel Späth ohne Kant, Hegel und Marx!

Konsterniert konstatiert Roswitha Scholz, daß die Fetischkritik im universitären Kontext angekommen, den gängigen Gesellschaftstheorien einverleibt worden und damit durch ein „gesellschaftstheoretisches Establishment“ enteignet worden ist. Die negative Identität von akademischer und außerakademischer Wissenschafts-Community bleibt außerhalb ihres Erkenntnishorizonts („Fetisch Alaaf!“). Ausgehend von ihrer instruktiven Gegenüberstellung der verwandten wert- bzw. kapitalkritischen Ansätze von Robert Kurz und Moishe Postone sucht Scholz die Notwendigkeit einer Transformation der Wertkritik in eine Kapitalkritik, der Wertabspaltungskritik in eine Kapitalabspaltungskritik zu begründen („Nach Postone“).

Man möchte das Heft schon weglegen, wäre da nicht am Ende noch angewandte Wertkritik von Gerd Bedszent am Beispiel der Ukraine. „Der Zerfall der Ukraine“, beschließt Bedszent seine Analyse, „ist ein schauerliches Menetekel, ein Blick in eine Zukunft, die den derzeitigen funktionierenden europäischen Staaten über kurz oder lang ebenfalls bevorstehen wird.“

Kontakt: „exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft“, hrsg. vom Verein für kritische Gesellschaftswissenschaften e.V., Horlemann Verlag, Lindenallee 9, 16278 Angermünde. Das Heft kostet 13 Euro.

www.horlemann.info