Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen

© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/15 / 13. Februar 2015

Im Glauben geht es um Scheidung
Eine Predigt und ihre Folgen: Die Funktionäre der evangelischen Kirche setzen auf Anpassung
Karlheinz Weissmann

Es ist eine merkwürdige Sache mit dem Pastor Olaf Latzel. Der hat am 18. Januar zu St. Martini in Bremen eine Predigt gehalten, in der er mit allem abrechnete, was der theologisch-korrekten Lehre heilig ist: Toleranzprinzip, Gleichberechtigung, Ökumene, interreligiöser Dialog. Latzels Äußerungen über das islamische Zuckerfest als „Blödsinn“, über Buddha als „dicken, fetten Herrn“, über katholischen „Reliquiendreck und „-kult“ und den Segen des Papstes „Urbi et Orbi“ als „ganz großen Mist“ lösten nicht nur Ermittlungen wegen Volksverhetzung durch die Staatsanwaltschaft aus, sondern auch die Distanzierung der Landeskirche, die von „geistiger Brandstiftung“ sprach.

Latzels Amtsbrüder und -schwestern haben sich erwartungsgemäß zu Unterschriftaktionen zusammengetan und vergangene Woche im Talar mit farbenfrohem Aufputz vor dem Bremer Dom versammelt, wo sie für ein „Zusammenstehen“ der Religionen demonstrierten, für „Vielfalt“ und „Buntheit“.

Der theologische Flankenschutz für die ganze Aufregung bleibt allerdings erstaunlich schwach. Ein paar Professoren haben sich immerhin bereit gefunden, Latzel seinen Tonfall vorzuwerfen – für den er sich mehrfach entschuldigt hat –, seine Unduldsamkeit gegenüber Andersgläubigen – obwohl er ausdrücklich zwischen Mensch und Bekenntnis unterscheidet – und seine wortwörtliche Auslegung der Bibel – die er als Evangelikaler aber nicht für eine Schwäche, sondern für eine Stärke hält.

Ansonsten schnurrt die Menge der Einwände auf zwei zusammen: erstens, daß man einen Passus aus dem Alten Testament – hier: die Aufforderung Gottes an Gideon gegen den Götzendienst aufzustehen – nicht als Handlungsanleitung nehmen dürfe, worüber der Christ tatsächlich nachzudenken hat, und zweitens, daß Jesus Christus der „Anti-Fundamentalist par excellence“ (Hans-Jürgen Jung) gewesen sei, was allerdings falsch ist.

Wer einen genaueren Blick ins Neue Testament wirft, stellt unschwer fest, daß die Lehre Jesu „fundamentalistischen“ Charakter hatte, insofern als sie das, was „zu den Alten“ gesagt war, radikal in Frage stellte, unter Hinweis auf die Grundlagen, also die Fundamente, des Glaubens. Die Härte, mit der der Mann aus Nazareth nicht nur gegen die Heiden sprach (mit „Hunden“ werden sie verglichen, Markus 7,27), sondern auch gegen diejenigen, deren religiöse Auffassung oder Praxis abwich (Jesus beschimpft sie als „Natterngezücht“, Matthäus 23,33, und „getünchte Gräber“, Matthäus 23,27), spricht eine ebenso deutliche Sprache wie die Massivität, mit der er notfalls gegen seine Gegner vorging (die Austreibung der Händler aus dem Tempel, nach Johannes 2,15 mit einer „Geißel aus Stricken“) und hat mit der Auffassung zu tun, daß es im Glauben um Entscheidung und also um Scheidung geht, weshalb „Entzweiung“ folgt, noch schärfer: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ (Matthäus 10,34b).

Das verstand die christliche Gemeinde von Anfang an genauso, wie es ihr Herr gemeint hatte, und die besondere Unduldsamkeit erklärt nicht wenig von dem erstaunlichen Siegeszug des Christentums in der antiken Welt. Vor allem die paulinische Theologie ist durchzogen von dem dauernden Hinweis auf die Notwendigkeit, sich von den üblichen und das hieß falschen Werten und Vorstellungen zu trennen, und daher auch das unbarmherzige Wort im letzten Buch der Bibel: „Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde“ (Offenbarung 3,16).

Es ist allerdings lange her, daß solche Anschauungen zur Geltung gebracht wurden, zumindest im evangelischen Bereich. Der Mainstream der Theologen sucht anstößige Auffassungen wegzuerklären mit Hilfe irgendwelcher exegetischer Tricks oder bei bewußter Ignoranz gegenüber dem Bibeltext. Und so ergeht es Pastor Latzel wie anderen vor ihm, die in bezug auf Homosexualität oder Frauenordination oder das Verhältnis zu den „Schwesterreligionen“ andere als die gewünschten Positionen bezogen und sich abgestraft sahen, ganz gleich, wie deutlich ihre Auffassungen Heiliger Schrift und Bekenntnis entsprachen.

Daß man mit den frommen – und wie regelmäßig betont wird: „konservativen“ – Abweichlern so verfahren kann, hat zuerst mit der Ahnungslosigkeit der Gemeindebasis zu tun, die im allgemeinen nur noch über diffuse Vorstellungen von der Bedeutung des eigenen Bekenntnisses verfügt. Es hat aber auch zu tun mit dem Selbstverständnis der Berufschristen, die ihre Vorstellungen schon lange nicht mehr aus dem beziehen, was der Überlieferung nach und vom Wesen her genuin evangelisch ist, sondern aus einem universitär vermittelten Arkanwissen, gestützt auf einen Klerikalismus, in dem sich Machtbewußtsein, Verteidigung institutionellen Vorrangs, geistiger Hochmut und Nähe zur politisch-medialen Klasse auf ungesunde Weise mischen.

Das alles ist nicht neu und wäre angesichts der schwindenden Bedeutung der Kirchen in Deutschland und Europa kaum der Rede wert. Allerdings zeigt sich in dem Bremer Konflikt auch, daß man die Latenz der Konfliktlage keinesfalls unterschätzen sollte. Die „Rache Gottes“ (Gilles Kepel) kam unvermutet, aber mittlerweile dürfte auch den Propheten fortschreitender Verweltlichung deutlich geworden sein, wie sehr ihre Erwartung von der tatsächlichen Entwicklung abweicht.

Max Weber machte sich noch darauf gefaßt, daß die „Götter … ihren Gräbern“ entsteigen und dann „streben nach Gewalt über unser Leben und beginnen untereinander wieder ihren ewigen Kampf“. Aber er rechnete damit, daß die alten Mächte „entzaubert und daher in Gestalt unpersönlicher Mächte“ aufträten. Trotzdem blieb an anderer Stelle der nachdenkliche Satz, daß selbst das Christentum in seiner domestizierten Gestalt immer noch ein überraschendes Potential an Widerständigkeit enthalte, das zu Frontbildungen führen könne, mit denen in der Moderne kaum jemand rechne.

Als Max Weber das äußerte, war die Kirche im Gegensatz zu heute noch eine intellektuelle und gesellschaftliche Großmacht, aber in einem Punkt ähneln sich die aktuelle und die frühere Lage: Am Beginn des 20. wie am Beginn des 21. Jahrhunderts setzten ihre Funktionäre auf Anpassung. Das ist in der Vergangenheit weder der Institution noch der Sache bekommen, die sie eigentlich zu vertreten hat. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß sich das heute wesentlich anders verhält.

Foto: Evangelische Pastoren am 4. Februar vor dem Bremer Dom: Protest gegen eine Predigt ihres Standeskollegen Olaf Latzel