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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/15 / 13. Februar 2015

Volle Fahrt voraus
Kreuzfahrtbranche: Neben Luxus und Spaß auch ein ernstzunehmender Wirtschaftsfaktor
Mario Jacob

Seereisen erfreuen sich immer größerer Beliebtheit – die Branche boomt. Im Jahr 2013 waren 21,3 Millionen Passagiere auf Kreuzfahrten. Jeden Tag sind mehr als 500.000 Menschen weltweit an Bord von Kreuzfahrtschiffen irgendwo unterwegs und verbringen ihren Urlaub auf dem Wasser. Nach Angaben des Branchenverbandes Cruise Lines International Association (CLIA) sind 410 Kreuzfahrtschiffe mit einer Kapazität von 467.629 Betten rund um den Globus im Einsatz.

Wie die von der CLIA veröffentlichte Länderstatistik zu den Passagierzahlen im vergangenen Jahr zeigt, erfreuen sich Kreuzfahrten besonders bei den US-Amerikanern großer Beliebtheit. Diese stellen den größten Anteil von Kreuzfahrtpassagieren weltweit (51,7 Prozent). An zweiter Stelle folgen Großbritannien/Irland mit 8,1 Prozent, dicht gefolgt von Deutschland mit 7,7 Prozent, dann Italien (vier Prozent) sowie Australien (3,6 Prozent). Was die beliebtesten Ziele betrifft, so ist die Karibik das führende Kreuzfahrtziel weltweit. Nach Angaben des Branchenverbandes CLIA wird für diese Region ein Wachstum von weiteren zwölf Prozent erwartet. Ein weiterer Schwerpunkt wird in diesem Jahr auf Nordeuropa-Kreuzfahrten liegen. Neben der Karibik (37,3 Prozent) stellen das Mittelmeer (18,9 Prozent) und Nordeuropa (11,1 Prozent) die Top drei der Kreuzfahrtziele.

Freizeitmöglichkeiten sprengen alle Grenzen

In keiner anderen Sparte des Reisens hat sich so viel verändert wie auf See. Vorurteile prägten lange das Ansehen der Kreuzfahrt in Deutschland. Langweilig, altmodisch, teuer. Selbst den schönsten und elegantesten Schiffen haftete das Schimpfwort „schwimmendes Altenheim“ an. Während es in den Anfangszeiten Ende des 19. Jahrhunderts darum ging, die Linienschiffe der Atlantikrouten auch im Winter halbwegs lukrativ einzusetzen und den „oberen Zehntausend“ einen exklusiven Zeitvertreib anzubieten, haben sich die Kreuzfahrten inzwischen zu einem Milliardengeschäft für die Masse entwickelt.

Durch das steigende Angebot und die höheren Passagierzahlen an Bord sind Kreuzfahrten für viele Interessenten erschwinglich geworden. Mittlerweile gibt es schon einwöchige Reisen samt Vollverpflegung in der Nebensaison für unter 500 Euro. Natürlich werden auch Reisen für mehrere zehntausend Euro auf Schiffen wie der „Queen Mary“ (Cunard-Line) oder der „MS Europa“ (Hapag Lloyd) angeboten. Mehr und mehr sind nicht die angelaufenen Ziele der Grund der Reise, sondern die kulinarischen Angebote und vor allem Unterhaltungs- und Freizeitmöglichkeiten der Ozeanriesen. Diesen sind keine Grenzen gesetzt. Broadway-Showprogramme im Theatrium, „Central-Park“ mit 10.000 Pflanzen und meterhohen Bäumen, Pools mit Surf-Simulatoren, Sportplätze oder eine Eislaufbahn – für alles ist gesorgt.

Mit neuen Superlativen warten die von der Papenburger Meyer-Werft gebauten Schwesterschiffe „Quantum of the Seas “ und „Anthem of the Seas“ der Reederei Royal Caribbean auf. Wer die Schwerelosigkeit liebt, kann hier „skydiven“, sich per Schwenkarm 90 Meter über die Bordwand hinaushieven lassen. Zudem locken Autoscooter und Roller-Skating.

Doch die Kreuzfahrtbranche ist mehr als nur Luxus und Spaß. Mittlerweile hat diese sich zu einem stetig wachsenden Wirtschaftszweig entwickelt. Um den steigenden Passagierzahlen gerecht zu werden, fließen allein 3,9 Milliarden US-Dollar seitens verschiedener CLIA-Mitglieder in den Flottenausbau. Die Orderbücher sind prall gefüllt. Auch in Europa boomt das Geschäft. 6,4 Millionen Kreuzfahrer haben sich 2013 in Europa eine Reise auf einem Vergnügungsdampfer gegönnt und damit die Kreuzfahrtindustrie mächtig angekurbelt. 1,7 Millionen Urlauber sind 2013 mit einem Luxusliner in See gestochen. Das waren 9,2 Prozent mehr als im Jahr davor. Damit wächst der deutsche Markt doppelt so stark wie der europäische mit 4,1 Prozent.

Zahl deutscher Kreuzfahrer mehr als verdoppelt

„Die Zahl deutscher Kreuzfahrtgäste hat sich allein in den vergangenen sechs Jahren mehr als verdoppelt, Deutschland ist ein absoluter Wachstumsmarkt“, sagt Helge Grammerstorf, Direktor des internationalen Kreuzfahrtverbandes CLIA in Deutschland. Er ist zuversichtlich, daß Deutschland weltweit auf Platz zwei vorrücken wird. Trotz des Wachstums der Branche sieht Grammerstorf noch viel Potential: „Bei 70 Millionen Pauschalurlaubern in Deutschland gibt es mit 1,7 Millionen Kreuzfahrern noch deutliche Entwicklungsmöglichkeiten.“ Gemessen am gesamten Umsatz des Reiseveranstaltermarkts in Deutschland machen Hochseekreuzfahrten inzwischen knapp zwölf Prozent aus.

Der beliebteste Hafen in Europa ist Barcelona mit 2,6 Millionen Kreuzfahrern im Jahr 2013. Auf Platz zwei folgt der Hafen von Civitavecchia in Italien mit 2,5 Millionen Passagieren. Danach kommen Venedig (1,8 Millionen Urlauber) und der Hafen von Piräus (1,3 Millionen Kreuzfahrer). In Hamburg gingen im vergangenen Jahr rund 552. 400 Seereisende an Bord. In Kiel starteten 2013 knapp 364.500 Urlauber ihre Seereise.

Vier Prozent mehr Beschäftigte arbeiten im vergangenen Jahr europaweit in der Kreuzfahrtindustrie. Damit ist die Zahl der Arbeitsplätze auf 339.500 gestiegen. Fünf Jahre zuvor gab es in Europa noch 180.000 Stellen. In Deutschland sind in der Branche 46.900 Menschen angestellt. Das ist ein Plus von 2,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Auf einem Kreuzfahrtschiff zu arbeiten ist eine ideale Visitenkarte; wenn man sich zu Hause an Land auf einen Job bewirbt, wird man in der Regel mit Kußhand genommen“, sagt Kreuzfahrtdirektor Anton Halbmayr der „Mein Schiff 1“ von Tui Cruises. „Ein Chef weiß, was Mitarbeiter in dieser Branche leisten und daß sie sich bereits bewährt haben.“ Schließlich haben die Mitarbeiter einen Arbeitstag von bis zu zehn Stunden.

39,4 Milliarden Euro hat die Kreuzfahrtindustrie 2013 zur europäischen Wirtschaftsleistung beigetragen – ein Plus von vier Prozent im Vergleich zu 2012. Unter Wirtschaftsleistung versteht man den Umsatz, den die Branche direkt und indirekt macht. An einer Kreuzfahrt verdienen schließlich nicht nur die Reedereien, die Passagiere über die Weltmeere schippern, sondern auch Reisebüros, die Seereisen verkaufen, Versicherungen, die einen Schutz anbieten, und Floristen, die Blumen fürs schöne Ambiente an Bord liefern. Auch die Zuliefererbranche, etwa Maschinenbauer, profitieren vom Kreuzfahrt-Boom. Denn die Werften bauen die Schiffe längst nicht mehr ganz und gar selbst, 85 Prozent der Bauteile werden zugeliefert. Das wirkt sich auch auf den Markt in Deutschland aus. Hier stieg der Beitrag der Kreuzfahrtbranche zur volkswirtschaftlichen Leistung um 3,6 Prozent auf rund 3,1 Milliarden Euro.

Starke Luftverschmutzung durch Schwerölverbrennung

43 Reedereien gibt es in Europa. Sie betreiben insgesamt 125 Kreuzfahrtschiffe, die Platz für 145.000 Seereisende haben. Hinzu kommen noch 24 nichteuropäische Betreiber mit 73 Schiffen, auf denen 104.000 Passagiere Platz finden. Die größte Kreuzfahrt-Reederei der Welt ist die britisch-amerikanische Carnival, zu der auch das Rostocker Unternehmen Aida Cruises gehört. Aida beherrscht mit ihren Kreuzfahrtschiffen etwa zwei Drittel des deutschen Marktes.

Ihr Hauptkonkurrent ist die Royal Caribbean International, die in Europa eine Kooperation mit Tui betreibt und mit der „Mein Schiff“-Flotte unterwegs ist. „Mit dem Bau von 24 Kreuzfahrtschiffen bis 2017 ist und bleibt Eu­ropa das Zentrum des weltweiten Kreuzfahrtschiffbaus“, sagt CLIA-Direktor Helge Grammerstorf. Acht dieser Schiffe im Wert von 5,38 Milliarden Euro werden von Deutschlands Nummer eins, der Meyer-Werft gebaut.

Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt: So werden beispielsweise auf der „Oasis of the Seas“ täglich rund 2.000 Kubikmeter Frischwasser benötigt. Dieses läßt sich nur teilweise aus Meer- oder Abwasser gewinnen. Der Strombedarf für die Generatorleistung von 88.200 kW (119.919 PS) entspricht dem einer kleinen bis mittleren Stadt.

Nach Angaben des Naturschutzbundes Deutschland e.V. (Nabu) wird auf hoher See fast ausschließlich Rückstandsöl verwendet, auch als Schweröl bekannt – ein Restprodukt der Raffinerien, das hohe Anteile an Schwefel, Asche, Schwermetallen und anderen giftigen Abfallprodukten und Sedimenten enthält. An Land darf dieses aufgrund seiner hohen Verunreinigung und giftigen Verbrennungsrückstände nicht als Treibstoff für Fahrzeuge verwendet werden und muß kostenpflichtig als Sondermüll entsorgt oder weiterverarbeitet werden. Daneben sehen die Umweltschützer auch Schwefeloxid- und Stickoxidemissionen sowie Ruß-emissionen als Gefahr an: Derzeit kann der Schwefelgehalt im Treibstoff zwischen maximal 3,5 Prozent (Schweröl) und etwa 0,1 Prozent (das sogenannte Marine Diesel Oil) variieren. Im herkömmlichen Dieselkraftstoff für PKW und LKW beträgt der höchstzulässige Schwefelanteil in der EU seit Januar 2009 nur noch 0,001 Prozent. Damit übersteigt der Schwefelgehalt in Schiffstreibstoffen den von Landtreibstoffen um das bis zu 3.500fache, durchschnittlich um das 2.700fache.

Foto: Die „Quantum of the Seas“ in Hamburg: Das bisher größte in Deutschland gebaute Kreuzfahrtschiff bietet Platz für 4.200 Passagiere