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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/15 / 13. Februar 2015

Teile und herrsche
Autovermietung: Carsharing wird von Politik und Herstellern durchgepreßt / Gesetzliche Privilegierung benachteiligt Privatfahrzeuge
Bernhard Knapstein

Des Deutschen liebstes Kind ist sein Auto. Und das teilt er nicht gern, weshalb auch des Deutschen Frau ebenfalls meist ein Auto ihr eigen nennt. Ungeachtet dieser millionenfach Technologie gewordenen Freiheit auf deutschen Straßen wurde bereits 1948 in der Schweiz erstmals ein automobiles Genossenschaftskonzept eingeführt. Heute ist es unter dem Begriff des Carsharings bekannt.

Das Prinzip ist denkbar einfach: Viele Menschen teilen sich wenige Autos. Ein Konzept mit viel Potential, glauben sogenannte Nachhaltigkeitsförderer. Doch selbst Kritiker sprechen diesem Mobilitätssegment immerhin ein sicheres Nischenpotential zu. Verständlich, denn Effizienz im Einsatz der Mittel ist eine deutsche Sekundärtugend. Und die macht sich eben auch in der Mobilität bemerkbar – läßt man die für die Imagepflege Deutschlands eher ungemütlichen Großprojekte des Berliner Flughafens BER oder der Stuttgarter Jahrhundertbaustelle S21 sowie den beklagenswerten Verfall sämtlicher Infrastrukturen auf den Verkehrsträgern Wasser, Schiene und Straße einmal außer acht.

Nervende Werbung für den transparenten Kunden

Jedenfalls teilen sich Menschen bundesweit die Nutzungsmöglichkeiten ganzer Fuhrparks. Selbst in ländlichen Regionen haben sich einige der rund 150 Carsharing-Unternehmen festgesetzt. Zu den größten Anbietern zählen der Bundeswehr-Fuhrpark mit 4.500 Kfz in 140 Städten und die DB Rent der Deutschen Bahn mit 750 eigenen Fahrzeugen unter der Marke Flinkster.

Die Carsharing-Anbieter sind auch untereinander gut vernetzt, um den Kunden gegenüber noch flexibler auftreten zu können, denn nichts ist dem Geschäft abträglicher als ein Autoteiler, der im entscheidenden Moment gerade kein freies Auto vorfindet. So bietet Flinkster mit seinen Kooperationspartnern etwa 3.600 Kfz an tausend Standorten an. Ein Angebot, das nach Angaben des Unternehmens aktuell rund 300.000 Fahrberechtigte nutzen. Der Bundesverband Carsharing (BCS)hat Anfang 2014 insgesamt 757.000 Kunden und knapp 14.000 Fahrzeuge registriert.

Die Bahn fördert das Konzept sogar noch, da sie in den kommenden zwei Jahren den Autozug aus dem Portfolio für das Privatkundengeschäft streichen wird. Auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) will das Mobilitätskonzept beflügeln. So arbeitet sein Ressort derzeit an neuen gesetzlichen Grundlagen für die Privilegierung von Carsharing-Autos, etwa durch Ausweisung von eigenen Parkplätzen. Auch Kommunen sollen in die Lage versetzt werden, solche Kfz parkgebührenfrei zu stellen. Es ist offensichtlich: Das umweltfreundlich klingende Konzept soll so gegen die Gesetze der Marktwirtschaft durchgepreßt werden.

Ungeachtet dessen geht eine neue vom TÜV Rheinland vorgelegte Studie von maximal drei Millionen Kunden in diesem Mobilitätssegment aus. Was auf den ersten Blick marktfähig wirkt, offenbart bereits erste Einbrüche. So hat Daimlers Renommierprojekt „Car2go“ zwar 2009 in Ulm Fahrt aufgenommen und nach inzwischen 30 Städten auch Stockholm erreicht. Doch in Ulm selbst mußte Car2go wegen fehlender Profitabilität schon wieder aufgeben.

Das Carsharing-Geschäft ist betriebswirtschaftlich grenzwertig, aber machbar. Zur Profithebung soll, wenn es nach einem ergänzenden Geschäftsmodell von KPMG geht, die Digitalisierung beitragen. Mit personalisierter Werbung auf einem Display – etwa integriert auf der Karte des Navigators – soll zusätzlicher Gewinn generiert werden. Je nach eingeschlagener Route würden Anzeigen von Geschäften während der Fahrt eingeblendet werden. Technisch ist das kein Problem, da der Bordcomputer schon aus Gründen der Abrechnungsmodalitäten die Route erfaßt. Immerhin auf rund 780 Euro per anno wird der Wert des Bewegungsprofils eines Verbrauchers geschätzt.

Nischensegment in der Kurzstreckenmobilität

So lukrativ das Geschäftsmodell auch wirken mag, es entzieht sich nicht der kritischen Betrachtung. Denn erstens erfordert es den transparenten Kunden, der sich gegen die Durchleuchtung kaum wehren kann. Wechselnde Werbung auf dem Display gefährdet zudem die Sicherheit im Straßenverkehr. Der Grad an Ablenkung ist für Verkehrsteilnehmer schon heute hoch. Zusätzliche Berieselung durch Werbung, die die Interessen des Fahrers bedient und die den während der Fahrt im Unterbewußtsein abgespeicherten Sinneswahrnehmungen entsprechen, zum Beispiel in Form der Außenwerbung einer Tankstelle, wirken für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Straßenverkehr eher kontraproduktiv.

Doch selbst wenn die GPS-unterstützte Werbung im fließenden Verkehr sich noch nicht durchsetzen sollte, werden die technischen Möglichkeiten die Gewinnmaximierung durch Werbestrategien beeinflussen. So schätzt das Marktforschungsunternehmen Gartner, daß bereits im Jahr 2017 jeder vierte Automobilhersteller jedes Fahrzeug gewissermaßen doppelt veräußern wird: einmal an den Neuwagen-Käufer und zum anderen an Werbepartner.

Die gesetzliche Privilegierung von Carsharing-Fahrzeugen wird zumindest in den Ballungsräumen dieses Nischensegment in der Kurzstreckenmobilität festigen – mit oder ohne Werbung. „Das Smartphone nimmt dem Auto die Attraktivität“, behauptete voriges Jahr das Kölner Result-Institut für digitalen Wandel. „In einer vernetzten Welt, in der jeder virtuell mit jedem sprechen kann, ist Individualverkehr kein Muß mehr.“ Selbst wenn das stimmt: Jenseits von Mobilfunkmasten und außerhalb der Großstädte wird das Privatauto aber weiter ein dauerhafter Faktor in der deutschen Mobilität bleiben.

 

Autolose Stadt: Traum oder Alptraum?

Für den Baustadrat von Berlin-Pankow Jens-Holger Kirchner ist die tägliche Parkplatzsuche mit dem Pkw ein „Luxusproblem“. Im Zusammenhang mit der Neuplanung eines DDR-Plattenbauviertels in seinem Stadtbezirk bekannte er kürzlich, daß Parkplätze wegfallen müßten, weil künftige Generationen überwiegend sowieso mit dem Fahrrad oder Bus und Bahn unterwegs sein würden. Eine Einzelmeinung eines grünen Lokalpolitikers? Mitnichten. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar wurde ein neuer Plan von Al Gore und dem ehemaligen mexikanischen Präsidenten Felipe Calderón erörtert, der einen Umbau aller Großstädte der Welt vorsieht. Ziel: Die Besiedlung solle so erfolgen, daß viel weniger Verkehr notwendig ist, denn das würde die CO2-Bilanz der Welt verbessern und die angeblich vom Menschen gemachte Erderwärmung stoppen helfen. Kostenpunkt: 78 Billionen Euro. Eine stolze Summe, betrug das BIP der ganzen Welt 2013 doch nur 63 Billionen Euro. „Wir empfehlen all diesen Städten eine höhere Bevölkerungsdichte und mehr Massentransportmittel“, sagte Calderón bei der Vorstellung eines Aktionsplans.

Foto: Fahrzeugflotte der Daimler-Benz-Tochterfirma Car2go: In Ulm mußte das 2009 gestartete und hochgelobte Renommierprojekt wegen fehlender Profitabilität schon wieder aufgeben