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© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/15 / 13. Februar 2015

Wer soll kommen und wenn ja, wie viele?
Große Koalition: SPD und Union streiten darüber, ob Deutschland zur Regelung der Einwanderung ein Gesetz benötigt
Christian Schreiber

In Berlin geht es mal wieder um eine Lieblingsfrage: „Wie halten wir es mit der Einwanderung?“ Dabei sind sich alle Bundestagsparteien einig, daß die Bundesrepublik Zuwanderung brauche. Nur über das Wie wird heftig gerungen.

Innerhalb der Union gibt es Stimmen, die sagen, es sei alles in bester Ordnung. Generalsekretär Peter Tauber sieht dies anders. Er hat „eine breite gesellschaftliche Debatte darüber gefordert, wie wir unsere Zuwanderung regeln“, und ist damit auf Zustimmung beim Koalitionspartner SPD, aber auch auf Kritik aus den eigenen Reihen gestoßen. Die Zahl der Einwanderer lag 2013, genaue Zahlen für 2014 liegen noch nicht vor, bei 1,23 Millionen – so viele wie zuletzt 1993 und 13,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Rund drei Viertel von ihnen wanderten aus der EU zu. Dabei wird weder nach Qualifikation oder Sprache gefragt, die EU-Verträge schreiben eine generelle Form der Freizügigkeit vor.

Folglich wird in Berlin „um den Rest“ gerungen, immer wieder machen Befürchtungen vor einem Facharbeitermangel die Runde. Und plötzlich ist auch das sogenannte kanadische Modell in aller Munde, das von der AfD in die Diskussion eingebracht worden war. Das Land regelt seine Zuwanderung nach einem Punktesystem und einem Kontingent und wurde deshalb gerade aus europäischen Kreisen gerne als fremdenfeindlich verurteilt. Mittlerweile sind die Regierenden in Ottawa aber gefragte Gesprächspartner. So weilte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann gerade in Kanada, um sich ein Bild zu machen. Vor seiner Abfahrt warb er noch für eine Liberalisierung der deutschen Bestimmungen. Künftig solle jährlich der Bedarf an Einwanderern, die nicht aus der EU kämen, neu festgelegt werden, sagte er der Bild am Sonntag. „Dafür ist ein flexibles Punktesystem sinnvoll. In einem solchen System sind desto weniger Punkte für die Einwanderung nach Deutschland erforderlich, je höher der Bedarf an der jeweiligen Berufsgruppe ist. Wir legen jährlich die aktuellen Mangelberufe fest, wie etwa Ärzte oder Apotheker, Ingenieure oder Altenpfleger. Wer darin eine Ausbildung hat, bekommt besonders viele Punkte.“

Kanada verabschiedet sich vom Punktemodell

Qualifizierte Arbeitskräfte, die nicht aus einem EU-Mitgliedsland stammen, können derzeit über eine „Blue Card“ nach Deutschland einwandern. Doch die Nachfrage ist relativ gering. SPD-Wortführer Oppermann glaubt daher, die Hürden für Blue-Card-Interessenten seien noch zu hoch. Bei seiner Reise nach Kanada dürfte Oppermann allerdings festgestellt haben, daß man dort von dem bisherigen Punktesystem wieder abgekommen ist. Denn auch in dem klassischen Einwanderungsland hatte es zuletzt massive Probleme mit der Integration gegeben. Anstelle von Einwanderern aus dem europäischen oder anglophilen Raum kommen zunehmend Migranten aus Indien, China oder Pakistan. Diese finden sich auf den Arbeitsmarkt offenkundig nur viel schwerer zurecht, zuletzt waren mehr als zwölf Prozent der zugewanderten Akademiker in Kanada ohne Arbeitsplatz.

Die Regierung in Ottawa hat das Punktesystem nun dahingehend vereinbart, daß es keine festgelegten Kontingente mehr geben wird und der einheimischen Wirtschaft die Auswahl der Einwanderer überlassen. Künftig ist Hauptvoraussetzung für eine Arbeitserlaubnis, daß der Bewerber eine feste Beschäftigung nachweisen kann und diese nicht auch von einem Kanadier mit vergleichbaren Qualifikation ausgeübt werden kann.

Der Vergleich mit Kanada ist daher so interessant, als die neue Regelung den deutschen Gesetzen sehr ähnelt. Nicht umsonst sieht auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) keinen Handlungsbedarf. Deutschland habe bereits „ein äußerst schlankes“ Punktesystem. Denn die Bewerber müßten nur zwei Punkte erfüllen: einen Hochschulabschluß und einen Arbeitsvertrag mit einem bestimmten Mindestgehalt, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. De Maizière appellierte an die Wirtschaft, stärker um Fachkräfte im Ausland zu werben: „Wir brauchen kein neues Gesetz. Wir brauchen ein Zuwanderungsmarketing.“