© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/15 / 06. Februar 2015

Guttenbergs erlogene Promotion und jede Menge Neidkomplexe
Ein linker Journalist im Kampf gegen den „Doktorkult“: Über einen mißglückten Demontageversuch einer deutschen Kulturtradition
Heiko Urbanzyk

Bereits die berufliche Biographie des Autors Bernd Kramers und ein Blick auf den Klappentext könnte als Vorwarnung dienen: Der studierte Soziologe, Politologe und Volkswirtschaftler, zugleich Journalist für die taz, Freitag oder die Süddeutsche möchte seine Leser davon überzeugen, daß der Doktortitel ein Ausdruck eines „elitären und undemokratischen Prinzips“ sei, von dem wir Deutschen uns „verabschieden müssen“. In seinem Blog schreibt Kramer über sich selbst, daß seine Texte immer um die Frage kreisen, „warum immer wieder einige in der Gesellschaft mehr Geltung für sich beanspruchen wollen als andere“. Davon legt das vorliegende Buch ein beredtes Zeugnis ab.

Als vor einigen Jahren der damalige Verteidigungsminister zu Guttenberg (CSU) und schließlich Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) über Plagiatsaffären stolperten, standen sie nur auf der Spitze eines Eisberges zahlreicher „Plagiatoren“ in der Politik. Auffallend war, daß durch die Internetaktivisten Plagiatsnachweise fast ausschließlich von Politiker von CDU oder FDP aufgedeckt wurden. Auch Kramers Liste der Doktorschwindler umfaßt ebenfalls ausschließlich Schwarz-Gelbe. Links-grüne Betrüger scheint es nicht zu geben – oder sie werden lediglich nicht gejagt, weil die Jäger ihrem Milieu entstammen.

Verdacht eines persönlichen Traumas des Autors

Der Doktortitel als Feind linker Gleichmacherei wird klar benannt. Kramer meint einen „Doktorkult“ entdeckt zu haben, mit dem Deutschland sich angeblich in der Welt lächerlich mache. Beweise für letzteres bleibt er schuldig. In seinen Ausführungen fährt der Autor eher die Neidschiene als die harte ideologische Tour. Doktoren, das sind für ihn statistisch erwiesen Reiche und Kinder dieser Reichen, die sich über zwei Buchstaben vor dem Namen nach unten abgrenzen wollen und dank des Titels mehr verdienen. Arbeiterkinder hingegen, sofern sie es überhaupt auf die Uni schaffen, streben die Promotion vergleichsweise seltener an. „Was zählt, sind also Kontakte und Herkunft“, lautet das Resümee.

Überhaupt befördere das deutsche Bildungssystem die Ungleichheit. Die Universität steht für ihn neben der katholischen Kirche für die einzig verbliebene Institution, „die sich aus dem finsteren Mittelalter bis in unsere Tage herübergerettet hat“ – einschließlich „merkwürdiger Traditionen“. „Weg mit dem Titel“, erklärt Kramer zum höchsten Ziel. Wer davon nach 257 Seiten immer noch nicht überzeugt ist, bekommt abschließend Dr. jur. Kurt Tucholsky um die Ohren gehauen. Der kritisierte schon 1920 in der Weltbühne die „Titelsucht“ der Deutschen. Zwar fordert dieser im Zitat gerade nicht dessen Abschaffung, aber Tucholsky macht sich immer gut.

Keine Frage, es ist interessant, zu erfahren, daß deutsche Universitäten im 19. Jahrhundert einen lukrativen Handel mit sogenannten Absenzpromotionen trieben. Es ist amüsant, daß der Berliner Geschichtsprofessor Theodor Mommsen angesichts eines aufgeflogenen Plagiats bereits 1876 das Ansehen des Doktorgrades dahinsiechen sah. Und selbstverständlich lesen sich die zahlreichen Geschichten über falsche Doktoren, die Anleitungen zum Schreibenlassen und Abschreiben flüssig und spannend.

Angesichts der Stoßrichtung des Buches sind Zweifel berechtigt, ob die Geschichte vom wertlosen Titel nicht bewußt einseitig dargestellt ist. Kramers Kritik, daß Promotionen den Titelträger nur als Fachmann eines ganz speziellen, vielleicht nicht einmal gefragten Wissens auszeichnen, ist sachlich ebenso richtig wie bekannt. Doch niemand behauptet, daß ein Doktortitel das Zertifikat für umfangreiches Wissen oder gar Weisheit ist. Immer wieder gleitet das Buch in billige Polemik ab. Zum Beispiel darüber, warum eigentlich nicht andere Berufsgruppen oder Abschlüsse im Personalausweis oder bei Bahnkartenreservierungen eingetragen werden können. Es drängt sich der Verdacht auf, daß der Wahlberliner eher ein persönliches Trauma beschreibt, als ein Problem, das andere, insbesondere nichtpromovierte Menschen im Alltag berührt oder gar diskriminiert.

Warum begehren all diese Unterdrückten nicht endlich auf? Weil der Doktortitel Teil einer deutschen Kulturtradition ist, die sich hartnäckig hält. Mit solchen Traditionen kann Kramer ebensowenig anfangen wie ein nichtpromovierter JF-Redakteur mit solch überflüssigem, peinlichem Egalitarismusgeweine.

Bernd Kramer: Der schnellste Weg zum Doktortitel. Warum selbst schreiben, wenn’s auch anders geht? Riemann Verlag, München 2014, broschiert, 288 Seiten, 16,99 Euro

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