© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/15 / 06. Februar 2015

Gotteslästerung härter bestrafen?
Nicht Aufgabe eines Staates
Henning Lindhoff

Das Beschimpfen dessen, was Mitmenschen heilig ist, erscheint mehr als rüde und als Zeichen des kulturellen Verfalls unserer Gesellschaft. Über die Gründe dieses Niedergangs soll es an dieser Stelle nicht gehen, sondern um die Frage, wie das Rechtssystem einer Gemeinschaft gegenüber solcherlei Unflätigkeiten aufgestellt sein sollte.

Die Meinungsfreiheit ist eines der wertvollsten Rechtsgüter unserer westlichen Zivilisation. Sie gehört zu den tragenden Säulen der freien Gesellschaft und hat entscheidenden Anteil am technologischen, ökonomischen und kulturellen Fortschritt. Ohne die Meinungsfreiheit wäre ein freier Markt, auf dem vor allem um die besseren Ideen gerungen wird, nur schwer vorstellbar. Ohne den rechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit degenerierte der die Grundrechte der einzelnen schützende Staat zu einem Machtinstrument despotischer Größenwahnsinniger. Die Geschichte lehrt uns: Jedes autoritäre Regime schränkt zunächst das naturgegebene Recht seiner Untertanen auf die freie Äußerung der eigenen Meinung ein.

Als freie Menschen agieren wir miteinander stets auf Märkten. Auch unsere Meinungen tauschen wir auf einem Markt aus – auf dem Meinungsmarkt. Nutzen wir ihn. Verteidigen wir unsere Kultur mit unseren guten Ideen: mit Vernunft, Respekt, Menschlichkeit.

Die eigene Meinung über Religion und Glaubensbekenntnisse seiner Mitmenschen frei von äußeren Zwängen äußern zu können, gehört uneingeschränkt in den rechtsstaatlich geschützten Bereich. Und warum sollte es anders sein? Schließlich bekennt sich eine dreiviertelnackte Aktivistin, die auf dem Altar des Kölner Doms ihren mit dem Schriftzug „I am God“ beschmierten Oberkörper zur Schau stellt, zu nicht viel mehr als zu ihrer eigenen Kulturlosigkeit und manischen Selbstüberschätzung. Eine Gesellschaft freier Menschen muß solche Größenwahnsinnigen in ihrer Mitte tolerieren können. An ihrer Spitze gehören derartige allerdings auf jeden Fall bekämpft. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist dazu ein scharfes Schwert. Es nun im Zuge der schrecklichen Attentate von Paris auch nur scheibchenweise unter dem Deckmantel religiöser Gefühle zu beschneiden, führte in die falsche, in eine fatale Richtung.

Gegen den Paragraphen 166 StGB zu argumentieren, bedeutet gleichfalls nicht, die Kulturlosen und Intoleranten, die Narzißten und Unflätigen unwidersprochen gewähren lassen zu müssen. Als freie Menschen agieren wir miteinander stets auf Märkten. Auch unsere Meinungen tauschen wir auf einem Markt aus – auf dem Meinungsmarkt. Nutzen wir ihn. Verteidigen wir unsere Kultur mit unseren guten Ideen: mit Vernunft, Respekt und Menschlichkeit.

Ein Gesetz gegen Blasphemie überschreitet hingegen die Befugnisse und den Auftrag eines Staates, der sich lediglich dem Schutz der Grundrechte seiner Bürger widmen sollte. Daß sich manch einer über die angeblich zu geringe Strafe gegen die oben erwähnte Gotteslästerin und die im Vergleich dazu strengeren Strafen gegen Geldräuber, damit einhergehend über die vermeintliche Folklorisierung der christlichen Religion in der Gesellschaft empört, läßt sich nachvollziehen. Genau dieser Umstand liefert den Aufhänger für die eingangs gestellte Frage: Wie muß das Rechtssystem einer freiheitlichen Gesellschaft aufgebaut sein, um das friedliche Miteinander gewährleisten zu können? Das friedliche Miteinander beruht ganz entscheidend auf dem Schutz individueller Eigentumsrechte. Die dreiviertelnackte Gotteslästerin verletzte das Eigentum des Erzbistums Köln, indem sie in die Kathedrale eindrang, Regeln mißachtete und die heilige Messe störte. Ein Räuber verletzt offensichtlich das Eigentum der Bank und ihrer Kunden, indem er Geld stiehlt. Muß ein zentral organisiertes und verwaltetes Justizsystem für alle Opfer befriedigende Antworten auf viele sehr unterschiedliche Taten finden, kann es nur scheitern. Der Ökonom und Sozialphilosoph Friedrich August von Hayek wußte, daß das Wissen einer zentralen Ordnungsmacht immer nur bruchstückhaft sein kann.

Diese auf Nichtwissen basierende inhärente Fehlbarkeit zentraler Justizsysteme kann nur durch eine weitgehende Privatisierung des Rechts geheilt werden. Was spricht gegen ein kirchliches Schiedsgericht, das Vergehen gegen die Kirchenordnung ahndet, die jeder Besucher einer Kirche bereits per Eintritt in das Gotteshaus als gültig annimmt?

Und was die Blasphemie außerhalb kirchlicher Einrichtungen angeht: Auf einem freien Markt setzen sich die besten Ideen durch. Die nutzlosen Produkte, die schlechten Ideen werden kaum nachgefragt. Und rüde Ungehörigkeiten, wie die von Charlie Hebdo verbreiteten, stellen überaus schlechte Ideen dar. Dies beweist die marginale Auflage des Satiremagazins, die sich vor dem Anschlag auf zirka 60.000 Exemplare belaufen hatte. Oder kannten Sie Charlie Hebdo schon vor dem Attentat?

 

Henning Lindhoff, Jahrgang 1982, stieg ins Berufsleben als Sozialarbeiter ein und ist heute stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift Eigentümlich frei. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über die Kirchensteuer („Nächstenliebe statt Raffgier“, JF 46/13).

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