© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/15 / 06. Februar 2015

Pankraz,
Tom Stoppard und der Geist im Uhrwerk

Es ist besser, zitierbar zu sein als ehrbar.“ So geht einer der kessen Sprüche, mit denen sich Tom Stoppard (77), der Doyen des britischen Gegenwartstheaters mit den tschechischen Wurzeln und dem leidenschaftlichen Interesse für ebenso witzige wie anspruchsvolle Dialoge, bei der Londoner Kritik beliebt gemacht hat. Ein anderer lautet: „Ich bin absolut für die freie Presse, es sind die Zeitungen, die ich nicht ausstehen kann.“ Da wird der Beifall schon zögerlicher.

Jetzt hat das Londoner Nationaltheater Stoppards „Schwanengesang“, wie er es selber nennt, auf die Bühne gebracht, das Stück „The Hard Problem“. Regie führt Nicholas Hytner (58), der Direktor des Nationaltheaters persönlich, welcher sich mit dieser Inszenierung von seinem Posten verabschiedet, also ebenfalls eine Art Schwanengesang abliefert. Als Motto über dem Ganzen aber könnte ohne weiteres eine Abwandlung der berühmten Stoppard-Sprüche stehen: „Wir sind absolut für die freie Wissenschaft, es sind die Institutsleiter, die wir nicht ausstehen können.“ Und: „Es ist einträglicher, die Hand offen zu halten als den Mund.“

Das „harte Problem“ für Stoppard und Hytner besteht erstens darin, daß immer mehr Leiter von wissenschaftlichen Instituten ihre Macht schnöde mißbrauchen, indem sie etwa Aspirantinnen, die sich bei ihnen bewerben, ungeniert „vernaschen“, sie sexuell und ökonomisch von sich abhängig machen. Und zweitens geht es darum, daß die Institutsleiter ihrerseits von den „Drittmittel“-Geldgebern abhängig werden, von Hedgefonds-Managern etwa, die das Institut peu à peu in eine Unterabteilung ihres Spekulationsbetriebs verwandeln und sich dabei auch noch ölig als Förderer der wahren Wissenschaft aufspielen.

Leider rückt Problem Nummer zwei – nach Pankraz’ Empfinden – in dem Stück etwas zu weit in den Vordergund. Natürlich ist die Frage, ob Spekulationsgewinne mathematisch hypergenau vorauszusagen sind, ziemlich spannend, zumindest für Hedgefonds-Verwalter. Aber der normale Theaterbesucher interessiert sich wohl doch eher für die sexual-weltanschaulichen Bettgespräche, wie sie als Problem Nummer eins zwischen dem Institutsdirektor Professor Spike und seiner Aspirantin und Angestellten Hilary abrollen.

Professor Spike, der Hilary zunächst aus reiner Sexlust ins Bett geholt hatte, möchte auch Macht über ihren Geist gewinnen. Er glaubt einzig an den Tanz der Atome und an den puren Zufall, der angeblich waltet, wenn sich in der Evolution des Lebens einmal eine Mutation ereignet, welche dann gänzlich neue Formen und Verhaltensweisen hervorbringt. Als Leiter seines Hirnforschungsinstituts ist er nur noch mit der Kartographierung einzelner Gehirnregionen beschäftigt und weist Hilary an, ihn darin eifrig zu unterstützen und sich im übrigen aller „Flausen“ zu enthalten.

Hilary ihrerseits jedoch hat es genau mit diesen „Flausen“. Sie ist Dualistin, „Okkasionalistin“ im Stil von Leibniz, Malebranche oder Arnold Geulincx, sie schaut durchs Elektronenmikroskop, sieht dort irgendwelche Kügelchen, die sich bewegen und zu irgendwelchen Mustern zusammenfügen – und fragt ihren Bettgefährten Spike, wo denn da nun die Kausalität sei, wieso dies und das passiere, wenn sich die Kügelchen zu diesem oder jenem Muster zusammenfügten. Und Spike hat darauf nur die Antwort: „Das ist nun mal so, Punkt, aus und Schluß.“

Aber das Fragen, findet Hilary, geht an diesem Punkt erst richtig los. Das habe doch schon Leibniz so gesehen, den auch Spike nicht einfach als bloßen Spinner und Flausenhuber abtun könne. Zu Leibniz’ Zeiten galt das Innere der Uhr vielerorts als das große Paradigma für den Selbstlauf der Dinge. Die Welt sei eine riesige Uhr, die unaufhaltsam vor sich hin ticke. Indes, jemand muß sie doch erst einmal aufgezogen haben, wandte Leibniz ein. Und jemand muß das Wunderwerk ja erst einmal geschaffen haben.

Sich mit solchen Überlegungen zu beschäftigen, lohnt gewiß auch heute noch. „Der Geist in der Maschine“ heißt ein einschlägiges, blendend geschriebenes Buch von Arthur Koestler über das sich auch der Komödiant Stoppard höchst lobend geäußert hat. Nur, meinte er kürzlich, es sollte in Hinblick auf die neuesten Diskussionen fortgeschrieben werden, etwa unter dem Titel „Der Geist hinter den neuesten Karteikarten der einzelnen Gehirnregionen“. Auch diese Karten seien nicht die Sache selbst, sondern lediglich Hinweisschilder auf eine gewaltige, hinter ihnen waltende geistige Willenskraft.

Tom Stoppards Sympathien liegen in seinem „Schwanengesang“, den er ausdrücklich als „Komödie“ bezeichnet hat, eindeutig auf seiten der Okkasionalistin Hilary, die er – eigentlich recht riskant für das Genre – als „positive Heldin“ agieren läßt, während alle übrigen Chargen die Gesetze der Komödie voll erfüllen und als reine Commedia dell’arte-Figuren herumzappeln, sei es nun der sexgeile Hirnforscher Spike mit seinen Karteikarten, sei es der geldgeile Hedgefonds-Manager Jerry, sei es der robotergeile Algorithmiker Amal mit seiner Begeisterung für künstliche Intelligenz.

In der Presse ist das Opus bisher nicht so recht angekommen; mag sein, daß den Kritikern „The Hard Problem“ ein bißchen allzu hart vorkommt. Zu viel Tiefgang für eine Komödie, zu viele schwierige physikalisch-biologisch-theologische Probleme, über die sich bekanntlich sogar die größten Wissenschaftsexperten die Köpfe heiß reden und sich nicht einigen können. Da hilft denn auch die größte Dialogkunst nicht, über die Tom Stoppard so souverän gebietet und die er hier, bei seinem erklärten Endspiel, doch wohl besonders kräftig ins Spiel bringen wollte.

Es könnte freilich auch sein, daß ihm diesmal die Sache wichtiger war als das Spiel. Es sollte eine Verhandlung für alle werden, nicht nur für die Mitglieder des Oberhauses. Denn das Oberhaus, bemerkte er einmal ganz ohne Scherz, „ist eine Illusion, der ich nie habe beipflichten können; Verantwortung des Eunuchen im Laufe der Jahrhunderte.“

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