© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/15 / 06. Februar 2015

Jeder fünfte gehört zu einer Kette
Handel: In der Öko-Branche setzt ein Verdrängungswettbewerb ein, der alteingesessene Bioläden bedroht
Christian Schreiber

Aus den belächelten Nischenläden ist längst ein beachtlicher Wachstumsmarkt entstanden. Im Jahr 2013 gaben die deutschen Haushalte insgesamt 7,55 Milliarden Euro und damit rund sieben Prozent mehr als im Vorjahr (2012: 7,04 Milliarden Euro) für Biolebensmittel und -getränke aus. Für 2014 wird ein weiterer Anstieg erwartet. Bio-Lebensmittel und Produkte wie Kleidung, Kosmetik oder Baustoffe sind heutzutage allgegenwärtig.

Seit Mitte der sechziger Jahre gibt es einen Trend, vor allem biologisch erzeugte Lebensmittel zu konsumieren. So entwickelte sich zunächst eine Spartenwirtschaft, die aus Hofläden, ersten Bioständen auf den Wochenmärkten und kleinen Verkaufsflächen bestand. Im Laufe der Jahre entstanden dann auch in vielen großen und kleineren Städten Reformhäuser, die naturbelassene Kosmetika im Angebot haben. Die ersten Bio-Läden hatten zu Beginn mit dem Image der „Tante-Emma-Geschäfte“ zu kämpfen. Mittlerweile gehören sie zum alltäglichen Stadtbild wie Discounter, Drogerien oder Textilketten. Und aus den kleinen, inhabergeführten Läden haben sich teilweise überregionale Ketten entwickelt, die untereinander einen heftigen Preiskampf ausfechten.

Einer der Markführer ist die Alnatura GmbH aus Hessen. Gegründet wurde das Unternehmen 1984 von dem Wirtschaftswissenschaftler Götz Rehn, der bis heute Geschäftsführer ist. Zu Beginn vertrieb Alnatura seine Produkte über die Lebensmittelkette Tegut sowie die Drogeriemärkte DM. Am 1. Oktober 1987 wurde der erste Alnatura Super-Natur-Markt in Mannheim eröffnet. Seitdem geht die Entwicklung steil nach oben. Derzeit gibt es 92 Alnatura Super-Natur-Märkte in 42 Städten sowie 3.750 Filialen von Handelspartnern (darunter dm, tegut und Migros). Mit 2.320 Mitarbeitern ist das Unternehmen derzeit der größte Arbeitgeber in der Bio-Branche.

Hauptkonkurrent ist die Dennree-Gruppe, die 1974 von dem damals erst 22jährigen Münchner Thomas Greim gegründet wurde. Er startete seine Geschäftsaktivitäten mit vier Milchprodukten aus biologisch-dynamischer Landwirtschaft von Bauern aus der Region. 40 Jahre später besitzt das Unternehmen neun regionale Niederlassungen sowie einen eigenen regionalen Bio-Großhandel in Österreich. Auf dem Bio-Lebensmittelmarkt ist Dennree seit 1996 mit der Marke Denn’s Biomarkt vertreten und beschäftigt heute über 1.100 Mitarbeiter. Davon befinden sich über 100 in der Ausbildung. Derzeit gibt es 148 Märkte in Deutschland und 15 in Österreich.

Die beiden Branchen-Führer machen jährlich gemeinsam einen Umsatz von rund 1,2 Milliarden Euro. Andere Mitbewerber wie die Basic-Gruppe oder die Bio-Company machen immerhin noch rund 100 Millionen Euro Umsatz pro Jahr.

Die Grundfrage: Ist Bio überhaupt gesünder?

Einen ungewöhnlichen Ansatz verfolgen die LPG-Biomärkte, die vor allem in Berlin im Stadtbild sehr präsent sind und dort auch Europas größten Bioladen betreiben. Die Namensgebung wurde an die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft der DDR angelehnt. So können Stammkunden im LPG Biomarkt „Mitglied“ werden, womit sie Rabatt erhalten. Die Mitgliedschaft kostet eine einmalige Aufnahmegebühr und einen Monatsbeitrag (derzeit 17,90 Euro). Für Familien, Alleinerziehende, WGs und Geringverdiener bietet der Markt niedrigere Beiträge an und verspricht mit diesem Modell, die Preise bewußt niedrig halten zu können.

Denn noch immer stehen die Öko-Läden im Ruf, zum Teil deutlich teurer zu sein als die herkömmliche Konkurrenz. Doch die Branche unterliegt einem tiefgreifenden Wandel. 2003 war die durchschnittliche Verkaufsfläche gerade einmal halb so groß wie heute. Nur drei Prozent aller Biohändler gehörten damals zu einer Kette. Inzwischen ist es jeder fünfte Händler, und der Trend hält weiter an.

Innerhalb der Biobranche wächst daher auch die Unzufriedenheit. Bio-Einzelhändler klagen, daß Platzhirsche wie Alnatura und Dennree rücksichtlos gegen die Konkurrenz vorgehen würden. In einem offenen Brief wandten sich drei Münchner Biohändler an Alnatura-Chef Götz Rehn: „Sie betreiben Expansion ohne Rücksicht auf jahre- und jahrzehntelange Mitbewerber, die die Marke Naturkost mit aufgebaut haben“, heißt es in dem Schreiben, aus dem die Tageszeitung Die Welt zitiert. Zudem belastet die Branche auch die Tatsache, daß die Erzeugerflächen dem stetigen Expansionskurs nicht gewachsen sind. Laut EU-Kommission vervierfachte sich der Markt für Öko-Erzeugnisse in den vergangenen zehn Jahren, die landwirtschaftlichen Flächen verdoppelten sich aber nur. In Deutschland vergrößerte sich der Anteil der biologisch bewirtschafteten Felder 2012 noch um 0,1 Punkte auf 6,2 Prozent der gesamten Ackerfläche.

Die große Frage, die sich Verbraucher zudem stellen: Ist Bio überhaupt gesünder? Der Infodienst aid des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gibt darüber eine eindeutige Auskunft: Bio-Lebensmittel seien in der Tat gesünder. Sie enthalten weniger Nitrat, mehr Nährstoffe und sind geeigneter für Allergiker. Die Mindestrichtlinien der Bio-Landwirtschaft beinhalten eine artgerechte Tierhaltung, keine Gentechnik und möglichst regionale Vermarktung.

Die Weiterverarbeitung der Nahrungsmittel darf ebenfalls nur mit zulässigen Zutaten geschehen. Auch hier ist keine Chemie erlaubt. Kontrolliert werden Bio-Erzeuger durch unabhängige Kontrollstellen, die vom Staat benannt und zertifiziert werden. Bei aller Wachtstumseuphorie zeigt ein Blick auf die Statistik allerdings auch: Der Marktanteil beträgt nach wie vor nur etwas mehr als vier Prozent. EU-weit machen Bio-Produkte sogar nur zwei Prozent des Lebensmittelumsatzes aus.

Foto: Kunden einer Bioladenkette: „Sie betreiben Expansion ohne Rücksicht auf jahrelange Mitbewerber, die die Marke Naturkost mit aufgebaut haben“

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