© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/15 / 06. Februar 2015

Grüße aus Warschau
Drama um Milchbars
Christian Rudolf

Sie sind nicht im Nachbarland unterwegs, um dann in internationalen Schnellrestaurantketten den Welteinheitsgeschmack serviert zu bekommen, nicht wahr? Sondern suchen das Landestypische? Natürlich. Dann werden Sie die Milchbars kennen und lieben. Die sind etwas urig Polnisches und fehlen in keiner größeren Stadt. In den einfach gehalteten Wirtschaften bekommen Sie traditionelle polnische Gerichte, in einer leicht konsumierbaren Hausmannskostausführung ohne Finessen, aber resolut portioniert, nahrhaft und lecker. Absolut preiswert dazu, was die staatliche Bezuschussung von jährlich etwa fünf Millionen Euro ermöglicht. Die Milchbars sind, obwohl untereinander unabhängige Einzelbetriebe, ein Teil der Volkswohlfahrt. Nur der Ausschank von Alkohol ist von Gesetz wegen verboten, darum die Milch im Namen.

Verwenden die Köchinnen zum Zubereiten etwas Zusätzliches, fällt der Zuschuß ganz weg.

Wann immer meine Wege in die polnische Hauptstadt führen, ist auch immer ein Besuch in der malerisch am Festungsgraben der Altstadt gelegenen Gaststätte „Zur Barbakane“ dabei. Hier sich zu stärken hat in bald 22 Jahren noch immer geklappt. Jetzt im Winter eine kräftige Sauerteigsuppe, als Hauptgericht Hackfleischklopse mit Buchweizen, Spinat und Rohgemüse, dazu ein Glas Kompott, den trinkbaren Fruchtextrakt, und als Nachtisch Eierkuchen mit Zimt und Apfelmus.

Aber was war das nur zu Jahresbeginn! Das Fleisch versalzen, der Eierkuchen fade, und auf die Frage nach Suppen kam ein „Nie ma!“, das polnische „Gibt’s nicht“. Dagegen auf jedem Tisch ein Fläschchen Maggi. Nanu? Der Grund war bald erfragt: Seit dem 1. Januar dürfen für die Zubereitung der Speisen in den Milchbars keine Gewürze mehr verwendet werden, außer Salz. Kein Scherz! So stand es schwarz auf weiß in der alljährlich erneuerten Zutatenliste des Finanzministeriums. Unter den 73 Positionen fehlten Majoran, Nelkenpfeffer, getrocknete Pilze, Knochen für Brühe, ohne die freilich nichts Schmackhaftes gelingen kann. Doch subventioniert werden nur die Betriebe, die ausschließlich aus den aufgelisteten Mitteln zubereiten. Verwenden die Köchinnen etwas Zusätzliches, fällt der Zuschuß ganz weg. Da wär’s beinah zu Ende gewesen mit der Milchbarherrlichkeit. Ein Weichsel-Drama? Eine Polen-Posse? Es dauerte bis in die zweite Monatshälfte, daß sich die staatlichen Schatzmeister zu dem Fehler bekannten. Die Liste sei „unpräzise“ gewesen, die Subventionen blieben selbstverständlich erhalten ...

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