© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/15 / 06. Februar 2015

Ohne zu fragen
Auslandseinsätze: Karlsruhe verhandelt über die Grenzen der Mitbestimmung des Bundestages
Taras Maygutiak

Knapp 21 Jahre ist es her, seit das Bundesverfassungsgericht sich grundsätzlich festgelegt hatte, daß der Bundestag Auslandseinsätzen der Bundeswehr zuvor zustimmen müsse. Lediglich in Eilfällen sei eine nachträgliche Zustimmung zulässig. 2005 wurde dies in ein entsprechendes Gesetz gegossen. Drei Jahre später präzisierte Karlsruhe und stärkte den Bundestag erneut. Das Parlament müsse bereits dann eingeschaltet werden, wenn „greifbare tatsächliche Anhaltspunkte“ bestünden, daß deutsche Soldaten in Kämpfe verwickelt werden könnten.

Bewaffnete Fallschirmjäger an Bord

Im Kern geht es bei dem Organstreitverfahren, das Mittwoch vergangener Woche mündlich in Karlsruhe verhandelt wurde, um Details derselben rechtlichen Fragen wie damals: „Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte dann vor, wenn deutsche Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind“, sagte der Präsident des Gerichts, Andreas Voßkuhle in seiner Einführungserklärung. Was dies genau bedeute, sei in diesem Verfahren zu klären. Weitgehend Einigkeit bestehe lediglich darüber, daß es für die Anwendung des Parlamentsvorbehalts nicht darauf ankomme, „ob bewaffnete Auseinandersetzungen sich schon im Sinne eines Kampfgeschehens verwirklicht haben, sondern darauf, ob nach dem jeweiligen Einsatzzusammenhang und den einzelnen rechtlichen und tatsächlichen Umständen die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinadersetzungen konkret zu erwarten ist“, so der Gerichtspräsident.

Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, die diese Frage als Antragstellerin vom höchsten Gericht geklärt haben will, kritisiert den Evakuierungseinsatz selbst, um den es konkret geht, nicht. Stein des Anstoßes ist, daß die Bundesregierung es nicht für notwendig befunden hatte, nachträglich eine Einwilligung des Bundestags einzuholen. Die Unruhen waren vor knapp vier Jahren in Ägypten und Tunesien in vollem Gange, als Mitte Februar 2011 auch im benachbarten Libyen ein bewaffneter Aufstand gegen den damaligen Machthaber Muammar al-Gaddafi ausbrach. Das Auswärtige Amt, das Bundesministerium der Verteidigung – damals unter Führung von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) – sowie das Einsatzführungskommando der Bundeswehr befaßten sich seit 20. Februar ressortübergreifend in einem Krisenstab mit der Angelegenheit. Es wurden frühzeitig Vorbereitungen getroffen, diplomatische und militärische Evakuierungen deutscher Staatsbürger per Luft oder über See vornehmen zu können. 103 Deutsche wurden zunächst mit zivilen Maschinen einer deutschen Fluggesellschaft aus der libyschen Hauptstadt Tripolis in Sicherheit gebracht.

Diese Maßnahmen sind jedoch nicht Gegenstand der Verhandlung in Karlsruhe. Zeitgleich wurde allerdings ein Einsatzverband aus allen Teilstreitkräften (Heer, Marine und Luftwaffe) zusammengestellt, der für eventuelle militärische Evakuierungsoperationen bereit sein sollte. Die an der Operation „Pegasus“ beteiligten rund 1.000 Soldaten sollten – falls notwendig – isolierte oder bedrohte deutsche Staatsbürger aus Libyen evakuieren und retten.

Am 24. Februar 2011 fiel sowohl im Auswärtigen Amt als auch im Verteidigungsministerium die Entscheidung, Mitarbeiter einer deutschen Firma von der Bundeswehr aus dem – in der Nähe eines Ölfeldes gelegenen – Wüstenort Nafurah im Osten Libyens auszufliegen. Zwei Tage nach der Entscheidung machten sich zwei Transall-Maschinen auf den Weg. An Bord befanden sich bewaffnete Fallschirmjäger. Die Flugzeuge waren mit einer Zusatzausstattung zum passiven Selbstschutz gegen Radarerfassung und Flugabwehrraketen ausgerüstet. Ohne Zwischenfälle wurden 132 Personen, darunter 22 Deutsche, in Nafurah aufgenommen und nach Chania auf Kreta ausgeflogen. Zu weiteren Evakuierungsoperationen der Bundeswehr kam es in Libyen nicht.

Die Grenze zu einem humanitären Einsatz sah der Prozeßbevollmächtigte der Grünen, Christoph Möllers, eindeutig überschritten. Schließlich sei es nicht um den Bau von Brücken oder das Bohren von Brunnen gegangen. Als Hinweis, daß die Soldaten durchaus in eine gefährliche Lage hätten kommen können, werten die Grünen auch die Tatsache, daß die Bundeswehr im Gegensatz zu den Niederlanden von einer Einflugerlaubnis in den libyschen Luftraum ausgegangen war. Zudem seien beim Unternehmen „Pegasus“ im Mittelmeer schließlich extra bewaffnete Verbände zusammengezogen worden. Thomas de Maizière, der kurze Zeit nach dem Einsatz das Verteidigungsministerium übernommen hatte, hatte 2011 entschieden, daß eine nachträgliche Zustimmung des Bundestages nicht notwendig sei.

Das Urteil folgt erst in einigen Monaten

Obwohl er seinerzeit eingeräumt hatte: „Es ist alles gutgegangen, riskant war’s trotzdem.“ Dies hielt ihm auch der Grünen-Abgeordnete Frithjof Schmidt vor. Bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe relativierte der Minister, die „Pegasus“-Verbände seien noch gar nicht einsatzbereit gewesen und somit nicht beteiligt. Die Antragsteller zweifeln allerdings an, daß es ohne die „Pegasus“-Verbände zu der Evakuierungsoperation gekommen wäre. Die Einstellung, „wenn es gut geht, braucht es keine Zustimmung; kommt es zu einem bewaffneten Einsatz, holt man sich diese ein“, wollen die Kläger so nicht stehengelassen haben. Urteilen wird Karlsruhe erst in einigen Monaten.

 

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