© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/15 / 06. Februar 2015

„Unter der Gürtellinie“
Gemeinsam mit Lutz Bachmann gründete Kathrin Oertel Pegida und wurde nach dessen Rücktritt zum Gesicht der Bewegung / Nun kam es zum politischen Bruch / Sie und fünf weitere ehemalige Pegida-Organisatoren starten eine neue Initiative
Moritz Schwarz

Frau Oertel, künftig zwei „Pegidas“ – wie soll das gehen?

Oertel: Das müssen wir sehen. Leider gibt es für uns keine Alternative.

Warum?

Oertel: Bei der letzten gemeinsamen Sitzung hat sich endgültig gezeigt, daß wir – sechs Mitglieder des Orgateams – den Kurs von Pegida nicht mehr teilen.

Es ging zum Beispiel um Lutz Bachmann.

Oertel: Nicht nur, aber auch vor allem. Lutz hat für Pegida viel geleistet, und seine Fotoparodie von Adolf Hitler war keine Verherrlichung, sondern Satire. Doch seine aufgetauchten Facebook-Äußerungen, etwa Ausländer seien „Viehzeug“, sind menschlich unter der Gürtellinie.

Waren Sie überrascht?

Oertel: Auf jeden Fall.

Das Orgateam ist doch ein Freundeskreis, da müßten Sie Bachmann doch kennen!

Oertel: Sie dürfen nicht denken, daß wir ständig zusammen um die Häuser ziehen. Zwar kennen wir uns von Jugend an, haben aber jeder ein eigenes Leben.

Wieso hat er sich derart abfällig geäußert?

Oertel: Hintergrund ist ein Vorfall mit Migranten auf einem Sozialamt, den ich im einzelnen nicht wiedergeben kann. Zwar war Lutz persönlich nicht betroffen, hat sich aber sehr geärgert und dann diesen Fehler gemacht. Übrigens sind die Zitate nicht vollständig in der Presse dargestellt worden. Teile, die den Eindruck modifiziert hätten, wurden nicht publiziert. So hat Lutz uns das dargestellt.

Bachmann sagt auf der Pegida-Facebook-Seite, Grund Ihres Rücktritts seien Drohungen gegen Sie und berufliche Nachteile.

Oertel: Die hat es gegeben, sind aber nicht der Grund für meinen Rücktritt.

Warum behauptet er das dann?

Oertel: Das weiß ich nicht, ich habe ihn seitdem nicht gesprochen.

Drohungen und Diskriminierungen gibt es?

Oertel: Natürlich gibt es die, aber darauf möchte ich nicht eingehen.

Warum nicht?

Oertel: Wir haben beschlossen, das nicht öffentlich zu machen, um der Antifa keine Plattform zu geben.

Folge ist, daß die Öffentlichkeit zwar über anonyme Drohungen gegen Pegida-Gegner informiert ist, nicht aber gegen Pegida.

Oertel: Das stimmt leider.

Die Öffentlichkeit erfährt ergo nicht, welchen Preis Menschen in unserer Gesellschaft zu zahlen haben, die sich in politisch unkorrekter Weise oppositionell betätigen.

Oertel: Leider ist es genau so. Aber hätten wir das öffentlich gemacht, hätten die Medien dies nur instrumentalisiert, um Bürger von Pegida fernzuhalten.

Bachmann ist nach Bekanntwerden seiner Äußerungen vom Vorsitz zurückgetreten. Zunächst hat Ihnen das doch gereicht?

Oertel: Nein, aber in jeder Gruppe muß man Kompromisse machen, so haben wir sechs dem zunächst zugestimmt. Dann aber denkt man erneut nach und merkt, man kann das nicht akzeptieren. Nach diesen Äußerungen war Bachmann auch als einfaches Orgateam-Mitglied nicht mehr tragbar, denn dann würden diese immer auf Pegida zurückfallen. Auch glaubten wir der Öffentlichkeit klarmachen zu können, daß man eine Zehntausende Menschen umfassende Bewegung nicht auf eine Person reduzieren kann. Das war ein Irrtum. Wir mußten erleben, daß genau das getan wurde.

Sind Sie im Streit geschieden?

Oertel: Nein, es wurde sachlich diskutiert und abgestimmt. Wir haben verloren und die Konsequenzen gezogen.

Sie sind also nach wie vor Freunde?

Oertel: Die letzten Monate haben immer mehr Differenzen offenbart. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Der andere Hauptgrund für Ihre Trennung von Pegida ist die Nähe zu Legida, dem Pegida-Ableger in Leipzig.

Oertel: Wir sechs wollten uns auf Pegida Dresden begrenzen, weil wir keine Kontrolle haben, wer sich hinter den Gidas verbirgt, die in anderen Städten entstanden sind und was dort quasi in unserem Namen geäußert wird. Zum Teil sind andere Gidas bereits in die rechtsextreme Ecke gerückt, und wir wurden damit in Verbindung gebracht. Im Mittelpunkt des Problems steht für uns, das stimmt, der Schulterschluß mit Legida.

Der aber auf einer Pegida-Kundgebung verkündet wurde, die Sie eröffnet haben.

Oertel: Ja, allerdings sollte der Legida-Vertreter lediglich ein Grußwort sprechen. Davon, einen Schulterschluß zu verkünden, war nicht die Rede. Außerdem war vereinbart, daß Legida-Mitorganisator Jörg Hoyer das Leipziger Orgateam verläßt, sowie daß Legida das Pegida-Positionspapier annimmt. Diese Abmachungen wurden nicht eingehalten, und damit war eine Kooperation nicht tragbar.

Legida wird von den Medien „radikaler“ genannt. Doch worin besteht diese Radikalität – hat sie vielleicht die gleiche Plausibilität wie die „Islamfeindlichkeit“ Pegidas?

Oertel: „Islamfeindlich“ war Pegida nie. Doch manchem Legida-Anhänger war Pegida zu „weichgespült“.

Legida ist in der Tat radikaler – allerdings im Sinne der eigentlichen Bedeutung des Wortes „Radix“, lateinisch: die Wurzel. Bisher jedoch nicht im Sinne von extremistisch, das geben die Reden und Transparente dort nicht her. Legida und Pegida erinnern an die Anfangszeit der Grünen, wo es früher „Fundis“ und „Realos“ gab.

Oertel: Bei Legida hat einer der Organisatoren eindeutig eine Nähe zum rechtsextremen Spektrum und tritt in einer Art und Weise auf, für die man sich schämen muß und mit der ich nicht in Zusammenhang gebracht werden möchte.

Sie sagen doch selbst, man dürfe Tausende Bürger nicht auf eine Person reduzieren.

Oertel: Stimmt, aber ich fürchte, wenn Organisatoren politisch so gesinnt sind, dann kommen früher oder später entsprechende Themen auch auf den Tisch.

Bisher waren rechtsextreme Töne dort nicht zu hören. Im Gegenteil, ein Legida-Redner erinnerte etwa auch an „die getöteten Juden“, ein anderer nannte Muslime „prächtige Menschen“ – Töne, die man bei Pegida nicht hört. Dort wurde statt dessen ein „schöner Gruß von Geert Wilders“ ausgerichtet, der tatsächlich ein Islamfeind ist. Nicht zuletzt wurden bei Legida auch Europafahnen gezeigt, bei Pegida nicht.

Oertel: Zur Klarstellung: Diese Grüße wurden nicht von einem Mitglied unseres Orgateams bestellt, sondern von einem holländischen Gastredner. Ich unterstelle Leipzig auch nicht, daß die Demo dort rechtsextrem ist, aber ich lehne es ab, die Verantwortung für eine Veranstaltung mit zu übernehmen, auf die ich gar keinen Einfluß habe.

Tatsächlich kam es bei Legida allerdings zu vereinzelten Attacken auf Journalisten.

Oertel: Das lehnen wir zutiefst ab, Pegida war immer unbedingt friedfertig.

Nun heißt es, der „AfD-Flügel“ – gemeint sind Sie und Ihre fünf Mitstreiter – habe sich vom „rechtsextremen“ Flügel getrennt.

Oertel: Unsinn, die Medien haben uns immer wieder eine AfD-Nähe unterstellt, die so einfach nicht zutrifft.

Sondern?

Oertel: Wir sechs betrachten uns als überparteilich und konservativ.

Und das verbliebene Orgateam?

Oertel: Ist nicht rechtsextrem!

Sondern?

Oertel: Ein Extremist ist da niemand, aber man grenzt sich eben auch nicht ausreichend gegenüber Leuten ab, die wir für inakzeptabel halten.

Kritiker meinen, die Forderung nach Trennung von Legida sei auch aus AfD-Kreisen in Pegida hineingetragen worden.

Oertel: Eine solche Beeinflussung gab es nicht, und unsere Entscheidung hat nichts mit Druck durch Dritte zu tun. Die AfD in Sachsen hat Gespräche, aber nicht den Schulterschluß mit uns gesucht – und wir auch nicht mit ihr. Die Medien haben zwar berichtet, Sachsens AfD-Chefin Frauke Petry habe uns in der Sache Rücktritt von Lutz Bachmann beraten. Aber das stimmt nicht, und auch Frau Petry hat inzwischen bestätigt, daß sie dergleichen nie behauptet hat.

Laut „Bild“ haben Sie einen Parteiaufnahmeantrag gestellt, „den wir abgelehnt haben“, so AfD-Chef Lucke.

Oertel: Wie Herr Lucke darauf kommt, ist mir schleierhaft. Ich habe ihn nun aufgefordert, mir diesen Antrag zu zeigen, von dem ich nämlich nichts weiß.

Andere Vermutungen lauten, Sie seien von der CDU zu Ihrem Schritt ermutigt worden. Als Indiz dafür gilt etwa Ihr Gespräch mit Landesinnenminister Markus Ulbig.

Oertel: Erst sollen wir AfD-hörig sein, jetzt CDU-hörig – das eine ist so absurd wie das andere. Das Gespräch war technischer Natur, es ging nicht darum, politische Schnittmengen zu finden, sondern die Sicherheit bei Pegida-Demos.

Laut „Spiegel“ soll Ihnen zudem Dialogbereitschaft signalisiert worden sein, während klargemacht wurde, die Person Lutz Bachmann sei indiskutabel. Einen Tag nach dieser Unterredung verlassen Sie das Orgateam. Es gibt keinen Zusammenhang?

Oertel: Nein, unser Austritt hat damit nicht das geringste zu tun. Es ist unverschämt vom Spiegel, falls er einen solchen Zusammenhang herstellt.

Was ist dran an der Meldung, Geldgeber hätten ihre Gunst von einer Trennung vom alten Orgateam abhängig gemacht?

Oertel: Es gibt ganz normale Bürgerspenden. Von „Geldgebern“ aber kann keine Rede sein, und eine Verbindung von Spenden und politischen Bedingungen würden wir auch nicht zulassen!

Nun wollen Sie mit Ihrer Initiative „Direkte Demokratie für Europa“ ein alternatives „Pegida“-Angebot machen.

Oertel: Legida und Bachmann standen bei unserer Entscheidung, Pegida zu verlassen, wie geschildert im Vordergrund. Genaugenommen aber zeichnete sich der Konflikt schon länger ab. Immer wieder hieß es im Orgateam, Pegida sei zu weichgespült und wir sollten den Kurs verschärfen. Damit konnten wir uns schließlich nicht mehr identifizieren. Zumal wir fürchten, daß sich diese Richtung künftig verschärfen wird und sich folglich immer mehr Menschen der bürgerlichen Mitte abwenden. Diesen Leuten wollen wir ein Angebot machen. Dazu haben uns viele Bürger ermuntert.

Laut „Focus“ soll sich die neue Initiative inhaltlich an der CDU/CSU orientieren.

Oertel: Unsinn. Wir haben Schnittmengen mit allen Parteien, dies spielt aber keine Rolle. „Direkte Demokratie für Europa“ sehen wir vielmehr rechts der Union positioniert, und wir wollen uns künftig auch den Themen Familienpolitik und Meinungsfreiheit widmen.

Die Asylpolitik soll laut Pressemeldungen nicht mehr im Mittelpunkt stehen.

Oertel: Auch das stimmt so nicht, wir sind weiterhin für eine Asylreform und für eine Neuregelung der Einwanderung. Das übergeordnete Ziel allerdings soll sein, daß das Volk wieder eine direkte Stimme in der Politik bekommt.

Sie sprechen von Volksabstimmungen auf Bundesebene?

Oertel: Genau, denn wenn das durchgesetzt ist, werden sich viele Probleme, die jetzt durch die Abgehobenheit der politischen Klasse entstanden sind, sozusagen von alleine lösen.

Was ist mit dem Thema Islamisierung?

Oertel: Der Eindruck, Pegida sei islamfeindlich, ist vor allem entstanden, weil unsere Gegner nicht zwischen Islamisierung und Islam differenziert haben. Sie – vor allem die Medien – und nicht wir haben dadurch erst die Polarisierung in der Stadt erzeugt. Pegida als „islamfeindliche“ Bewegung – das sage ich ganz klar – ist eine reine Erfindung der Medien! Gelernt habe ich daraus, daß wenn man etwas kritisiert, das einem als Feindschaft gegen eine Minderheit ausgelegt werden kann, man als Feind dieser Minderheit dargestellt wird. Das will ich künftig vermeiden. Allerdings sagen wir auch in Zukunft, der politische Islam gehört nicht zu Deutschland.

Machen künftig zwei „Pegidas“ die Bewegung nicht kaputt?

Oertel: Wenn ich etwa sehe, welche wachsende Rolle Hooligans in Leipzig spielen, bin ich sicher, daß unser Schritt richtig war. Und nein, wir verstehen uns nicht als Konkurrenz zu Pegida und werden unsere erste Veranstaltung deshalb auch nicht montags, sondern am Sonntag, den 8. Februar um 14.30 Uhr auf dem Dresdner Neumarkt vor der Frauenkirche durchführen. Im Vordergrund soll die Beendigung des politischen Stillstandes in Deutschland stehen, und dafür sollen so viele Menschen wie möglich auf die Straße gehen.

 

Kathrin Oertel, gründete im Oktober 2014 zusammen mit Lutz Bachmann und weiteren Freunden die Initiative „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, deren Pressesprecherin und Schatzmeisterin sie zeitweilig war. Nach dem Rücktritt Bachmanns übernahm sie den Vorsitz der Pegida-Leitungsgruppe – des sogenannten Orgateams –, bis sie am 27. Januar gemeinsam mit fünf weiteren Orgateam-Mitgliedern Pegida verließ und die Initiative „Direkte Demokratie in Europa“ gründete. Geboren wurde die Selbständige und Mutter dreier Kinder 1978 in Dresden.

Foto: Kathrin Oertel am 18. Januar in der ARD-Sendung „Günther Jauch“: „Der Konflikt zeichnete sich schon länger ab. Im Orgateam hieß es, Pegida sei zu weichgespült und wir sollten den Kurs verschärfen. Doch damit konnten wir uns nicht mehr identifizieren. Unsere Initiative ‘Direkte Demokratie in Europa‘ verstehen wir allerdings nicht als Konkurrenz zu Pegida.“

 

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