© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/15 / 30. Januar 2015

Muttersein als Makel
Die Journalistin Antje Schmelchel über gesellschaftliche Anfeindungen und die Fixierung auf die Erwerbsarbeit
Friederike Hoffmann-Klein

Niemand kann alles gleichzeitig leisten. Genau das wird aber von Müttern erwartet. „Selbstverständlich soll die Mutter ihrem Beruf am besten in Vollzeit nachgehen. In einer hoch arbeitsteiligen Gesellschaft muß ausgerechnet sie alles gleichzeitig leisten“, faßt die Journalistin Antje Schmelcher in ihrem Buch mit dem prägnanten Titel „Feindbild Mutterglück“ die gegenwärtige Situation von Frauen zusammen.

Wenn Frauen sich für Kinder entscheiden sollen, brauchen sie ein Minimum an Zeit, an Spielraum und an Anerkennung. Dieser Spielraum wird jedoch zunehmend geringer. Den faktischen Gegebenheiten werden ideologische Vorgaben gegenübergestellt, die mit ihnen in Widerstreit geraten. Deshalb werden die Fakten entweder ignoriert oder verleugnet. Die ideologische „Überlagerung“ sieht folgendermaßen aus: Eine Frau muß Karriere machen. Auch dann, wenn sie Kinder hat. Kinder sind Privatsache. Mit einem Jahr sollten sie ohnehin eine Krippe besuchen, da dies ihrer Bildung und „Chancengleichheit“ dient.

Nur wenn „frau“ auch einer Erwerbsarbeit nachgeht, ist sie emanzipiert, selbständig und selbstbestimmt. Nur dann leistet sie etwas. Ob sie Kinder hat, zählt hierfür nicht. Das betrifft allein ihr Privatleben. Ebenso könnte man danach fragen, ob sie einen Hund hat oder Hobbys. Während mit diesem Abdrängen ins Private die Erziehungsarbeit bagatellisiert wird, wird auf der anderen Seite die Krippenerziehung überhöht. Die Krippe wird zur Bildungseinrichtung hochstilisiert. Sätze wie der einer rheinland-pfälzischen Staatssekretärin („Keine Mutter kann ihrem Kind das bieten, was eine Krippe bietet“) tragen zur Verunsicherung von Eltern bei.

Wenn Schmelcher diese Frauen als „die größte Baustelle der Gleichstellungspolitik“ bezeichnet, dann bringt sie das Problem auf den Punkt. Hier liegt der eigentliche Grund dafür, warum man den Frauen die Entscheidung nicht überlassen will – sie könnten sich ja, wie schon Simone de Beauvoir befürchtet hat, dafür entscheiden, bei ihren Kindern zu bleiben.

Ein Kind zu bekommen kostet Zeit, die ein Mann nicht „einplanen“ muß. Diese faktische Gegebenheit wird aber nun, indem sie an die Meßlatte der Gleichstellung angelegt wird, ignoriert und damit gegen die Frau gerichtet. Muttersein ist, wie Schmelcher zutreffend schreibt, „ein Makel, der so schnell wie möglich ausgeglichen werden muß“. Deshalb fragt niemand nach dem wirklichen Willen der Mütter. Dabei geben 70 Prozent der nicht erwerbstätigen Mütter mit Kindern unter 15 Jahren in einer Umfrage 2013 an, daß die Betreuungssituation keinen Einfluß auf ihre Entscheidung zur Erwerbstätigkeit hat.

Nicht nur mangelnde Wertschätzung kennzeichnet heute die gesellschaftliche Haltung gegenüber Müttern, sondern offene Feindschaft, wie Schmelcher an Beispielen Berliner Kinderwagenverbotsschilder in Restaurants veranschaulicht. Ihr mutiges Buch stellt den diametralen Gegensatz der Interessen heraus. Auf der einen Seite die Mütter, die sich Teilzeitarbeit, Homeoffice, Anerkennung der Erziehungsarbeit wünschen, auf der anderen Seite die Allianz aus Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Feministen, die genau dies auf jeden Fall verhindern will und deshalb vor der „Teilzeitfalle“ warnt und das Betreuungsgeld zum Feindbild erklärt. Systemkonformen Feminismus nennt Schmelcher das.

Feminismus hat die Mütter aus den Augen verloren

Kann es aber Aufgabe eines demokratischen Staates sein, Vollzeiterwerbsquoten oder ein bestimmtes Rollenmodell vorzugeben? So fragt die Autorin zu Recht. Einen Ausweg aus dem fast unlösbaren Konflikt, dem Frauen heute ausgesetzt sind, sieht Schmelcher in dem Gedanken der Priorität. Die Aussage, Mutterschaft und Arbeit – beides gehört heute zu einem selbstbestimmten Frauenleben, läßt sich treffen und auch dann aufrechterhalten, „wenn Frauen sich nur für eines von beiden entscheiden“.

Daß eine solche Entscheidung gerechtfertigt sein kann, ist nach Schmelcher selbstverständlich: „Die Bedürfnisse von Kindern, besonders von Kleinkindern, und die Anforderungen auf einem globalisierten Arbeitsmarkt liegen weit auseinander. Sie bedingen einander nicht, sondern sie sind exklusiv, sie schließen sich gegenseitig aus.“ Denn sich einem qualifizierten Beruf voll anzupassen bedeute, vollständig flexibel und in Vollzeit verfügbar zu sein. Frauen werden leider, wie Schmelcher bedauert, durch ihr gesellschaftliches Umfeld schnell verunsichert.

Der tiefen Freude über das Kind und das Leben mit ihm darf man sich nicht allzu lange hingeben. Schon heißt es auf die Frage: „Wann arbeitest du wieder?“ eine Antwort zu geben. Das Diktat der mühelosen Vereinbarkeit geht in doppeltem Sinn zu Lasten der Frauen. Sie sollen nun, schreibt Schmelcher, zu Simultanwesen werden, die alles gleichzeitig können. Schmelcher kommt zu dem Schluß, daß es für Frauen heute erneut Denkverbote gibt. „Wir können öffentlich artikulieren, unsere Kinder abgeben zu wollen. Über den Wunsch, bei ihnen zu bleiben, ist eine Verständigung kaum möglich.“

Die Stärke von Schmelchers Darstellung liegt darin, daß sie den Blick auf die Fakten nicht verliert. Daß sie dort weiterfragt, wo feministische Denkverbote strengstens wachen. Der Feminismus hat jedoch die Frauen aus den Augen verloren. „Das alte Korsett aus Kindern, Küche und Kirche ist durch ein neues Korsett aus Kindern, Kita und Karriere ersetzt worden. Eine mutter- und kinderfreundliche Gesellschaft stelle ich mir anders vor.“

Frauen ihrer Generation ist es kaum noch möglich, sich nicht über die Arbeit zu definieren. Als die Autorin selbst ihres Kindes wegen ihre berufliche Stelle zunächst aufgibt, kommt ihr das fast ungeheuerlich vor. Trotzdem fordert sie, daß Frauen genau dieses Recht haben sollen, selbstbestimmt auch diese Entscheidung für ein Leben mit Kindern zu treffen. Antje Schmelchers kluges und in sprachlicher Hinsicht ganz ausgezeichnetes Buch ist ein erfreuliches Beispiel für eine intellektuelle Selbständigkeit, die bereit ist, sich von ideologischen Denkverboten zu befreien.

Antje Schmelcher: Feindbild Mutterglück. Warum Muttersein und Emanzipation kein Widerspruch sind. Verlag Orell Füssli, Zürich 2014, gebunden, 208 Seiten, 16,95 Euro

Foto: Mutterrolle und Karriere in der Erwerbstätigkeit: Das Diktat der mühelosen Vereinbarkeit geht in doppeltem Sinn zu Lasten der Frauen

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