© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/15 / 30. Januar 2015

Ein expandierendes Versteck
Die Geschichte des BND-Sitzes im bayerischen Pullach und seine vielen Geheimnisse
Friedrich-Wilhelm Schlomann

Vor dem Ersten Weltkrieg war Pullach ein unbekanntes Straßendorf mit 20 Häusern, später kamen erste Villen hinzu. An Bedeutung gewann dieser Ort erst in den Jahren nach 1936, als hier unter Leitung von Martin Bormann für die NS-Elite aus dem benachbarten München eine „Reichssiedlung Rudolf Heß“ entstand. Die anfängliche Begeisterung der Gemeinde schwand bald, als die Bevölkerung zu Verkäufen ihrer Flächen unter dem Marktpreis gezwungen wurde. Propagandistisches Ziel war der Bau einer mustergültigen NS-Lebensgemeinschaft mit ernährungspolitischer Autarkie. Nutzgärten und der Besitz von Ziegen, Enten und Kaninchen sollten unabhängig machen.

Bis 1956 war Pullach unter US-Kontrolle

Die Autoren Susanne Meinl und Bodo Hechelhammer verschaffen einen tiefen Einblick in diese Welt hinter hohen Mauern, die sehr wohl im Leben ihrer Bewohner große Unterschiede machte. Als damaliger Stabsleiter des Amtes Heß plante Bormann seine eigene Villa, bei deren Bau Geld keine Rolle spielte, als großzügigen Besprechungs- und Repräsentationsort.

Für Hitlers Sicherheit bei seinen Aufenthalten in München gab es bald ein eigenes Führerhauptquartier (Deckname: „Siegfried“). Chamberlain war dort ebenso Gast wie die Generalfeldmarschälle Keitel und Rommel, aber ebenso Canaris und sogar Mussolini sah man hier. Kurz vor Kriegsende bezog Luftmarschall Alfred Kesselring hier sein Quartier, um gleichzeitig Möglichkeiten zur Teilkapitulation mit der US-Botschaft in Bern zu sondieren. Einige Zeit glaubte die US-Armee, Pullach sei das administrative Zentrum der mythischen Alpenfestung und sei bevölkert von zum Selbstmord bereiten „Werwölfen“ – was indes bloße Phantasie war.

Nach dem Einmarsch der US-Truppen in Pullach Anfang Mai 1945 wurde aus der NS-Mustersiedlung ein Gefangenlager und andererseits eine US-Zensurstelle. Erst Ende Mai hatte sich der Wehrmachts-Generalmajor Reinhardt Gehlen den Amerikanern ergeben, er war ab 1942 Leiter der Abteilung „Fremde Heere Ost“ und bald als Organisator und ebenso guter Analyst bekannt. In Washington, wo man erste Anzeichen eines Gegensatzes zum sowjetischen Alliierten spürte, wurde man auf Gehlen schnell aufmerksam und ließ ihn mit einigen Getreuen bereits im August 1945 in die USA fliegen.

Beide Seiten kamen überein, daß Gehlen seine bisherige Spionage gegen die Sowjetunion fortsetzen solle. Angangs unter Schutzherrschaft der US-Armee, dann der CIA, zog die neue „Organisation Gehlen“ (kurz „Org“) Dezember 1947 in Pullach ein. Arbeiteten in der früheren Siedlung 1949 nur 269 Männer und Frauen, vervielfachte sich ihre Zahl bis 1960 auf sogar 1.150. Bezahlt wurden sie und ihre Spionageaktivitäten in US-Dollar, was damals äußerst attraktiv war. Natürlich mußte sich alle Tätigkeit unter größter Geheimhaltung vollziehen: Oft wußten selbst die Ehefrauen der Gehlen-Mitarbeiter nicht die Wahrheit, jeder Aufenthalt außerhalb der Siedlung bedurfte einer Genehmigung. Telefonkontakte und Empfang von Besuchen waren streng untersagt.

Im Gegensatz zu anderen Nachrichtendiensten erfolgten Beschaffung und Auswertung unter einem Dach, auch kannte man keine Trennung zwischen militärischen und sonstigen Erkenntnissen. 1956 wurde schließlich in Pullach die US-Flagge eingezogen und die deutsche Fahne gehißt: Die „Org“ ging in deutsche Dienste als Bundesnachrichtendienst (BND) über.

Kohl zeigte wenig Interesse am BND

Bedauerlicherweise verschweigt das Buch die vielen Erfolge des Dienstes. Umstritten ist, ob er den exakt genauen Tag der Absperrungen in Berlin 1961 voraussagte. Erschüttert wurde sein Prestige jedenfalls durch den KGB-Spion Heinz Felfe: Der einstige SS-Obersturmführer ließ sich nach 1945 von der Sowjetspionage ködern, arbeitete in deren Auftrag ab 1951 für Gehlen, stieg dann in Pullach zum Leiter der Gegenspionage Sowjetunion auf und verriet bis zur Verhaftung 1961 wenigstens einhundert Agenten im Osten.

Die damalige Spiegel-Affäre führte zu einer Vertrauenskrise zwischen Bundesregierung und Nachrichtendienst: Nur wenig Interesse am BND hatten die folgenden Bundeskanzler Erhardt, Kiesinger und Schmidt (bei letzterem war wohl die eigentliche Ursache sein auf dem BND-Gelände verursachter Autounfall). Das Buch zeigt auch ein Foto Bundeskanzler Kohls mit dem BND-Präsidenten Hans-Georg Wieck. Daß Kohl wenig Interesse an BND-Erkenntnissen und allzu oft Differenzen mit dem BND-Chef hatte, wird indes mit keinem Wort erwähnt.

Nicht zuletzt unter dem Eindruck des Anschlags in New York 2001 beschloß man den Gesamtumzug des BND nach Berlin-Mitte. In Pullach selbst ist längst ein Streit über die Zukunft des Areals entfacht.

Susanne Meinl, Bodo Hechelhammer: Geheimobjekt Pullach. Von der NS-Mustersiedlung zur Zentrale des BND. Ch. Links Verlag, Berlin 2014, gebunden, 288 Seiten, Abbildungen, 34,90 Euro

Foto: Pullach als US-Stützpunkt für die Organisation Gehlen um 1955: Beschaffung und Auswertung der Informationen unter einem Dach; Einfahrt zum Bundes-nachrichtendienst (BND), Pullach 1990: „Spiegel“-Affäre 1962 führte zu Vertrauenskrise zwischen Bundesregierung und Nachrichtendienst

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