© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/15 / 30. Januar 2015

Der Abwärtstrend ist unaufhaltsam
„Lügenpresse“: Der Fall Khaled offenbart die „freiwillige Gleichschaltung“, die zum Auflagenschwund beiträgt
Ronald Berthold

Die etablierten Medien sind ihrer Chronistenpflicht nachgekommen. Sie haben vermeldet, daß ein Landsmann den eritreischen Asylbewerber Khaled B. in Dresden getötet hat. Doch reicht das, um dem Unbehagen, das immer mehr Leser und Zuschauer beschleicht, zu begegnen? Jeder zweite Deutsche sagt laut einer Insa-Umfrage für Focus, Journalisten berichteten „nicht objektiv“ über Pegida.

Der Fall Khaled B. paßt genau in dieses Muster. Bevor die Polizei den Mord aufgeklärt hatte, rückten viele Journalisten ihn in einen Zusammenhang mit den Montagsdemonstrationen. Flüchtlinge wurden gefragt, ob sie sich nach dem Mord und wegen der angeblichen Fremdenfeindlichkeit in Dresden noch aus dem Haus trauten. Diese verneinten herzzerreißend und dienten den Medien dazu, eine Pogromstimmung herbeizuphantasieren, die nicht existiert.

Besonders perfide kam ein Text der Nachrichtenagentur dpa daher: „Mehr als 2000 Teilnehmer demonstrieren am 18.01. in Berlin, um an den erstochenen Asylbewerber Khaled Idris Bahray zu erinnern. Der Flüchtling aus Eritrea war in der Nacht von Montag auf Dienstag nach einer Pegida-Demo in Dresden tot aufgefunden worden.“

Pogromstimmung herbeihalluziniert

Dieser Text enthält keine Lüge, aber er stellt Verknüpfungen her, die mit fairem Journalismus nichts zu tun haben. Insofern bedeutet der Schlachtruf „Lügenpresse“ viel mehr als das Anprangern von Unwahrheiten. Es sind die Verdrehungen, Weglassungen und Spekulationen, mit denen eine Einseitigkeit hergestellt wird, die viele Leser auf Distanz zu Journalisten gehen läßt und die sie als „Lüge“ empfinden.

Als der tatsächliche Tatablauf zu Khaled B. ans Licht kam, konnten ihn die meisten Journalisten nicht übergehen. Ob das nur dem Druck der immer kritischer werdenden Leserschaft, die sich in vielen Forum-Beiträgen zeigt, geschuldet war, bleibt unklar. Was bei den meisten Berichten allerdings völlig fehlte, war die Nachricht, daß Medien und Politik zunächst massiv über einen rassistischen Hintergrund spekuliert hatten. Ohne diese Konstruktion hätte der Todesfall von Dresden niemals eine bundesweite journalistische Relevanz erhalten, und auch die Nachricht von der Aufklärung wäre keine gewesen.

Um die tief erschütterte Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, ist inzwischen weit mehr nötig als das Vermelden des wirklichen Täters. Wo waren die Leitartikel, die sich kritisch mit der Vorverurteilung und der Stimmungsmache der eigenen Branche auseinandergesetzt haben? Wo sind die Kommentare, die mit Scharfmachern wie den Grünen Volker Beck und Özcan Mutlu sowie der Naturfreundejugend abrechnen? Beck hatte Anzeige gegen die Dresdner Polizei erstattet, Mutlu sogar einen Zusammenhang zu den NSU-Morden hergestellt und die Naturfreundejugend zu der Demo aufgerufen sowie angeprangert, daß „die Polizei die Mitbewohner des Ermordeten überhaupt vernommen hatte, anstatt sich auf Nazis zu konzentrieren“, wie die taz berichtet.

Leserstreik und freiwillige Gleichschaltung

Der frühere Chefredakteur der Wirtschaftswoche, Roland Tichy, hat die Gefahr, die sich für die Zunft ergibt, benannt. Er sagt: „Um vorgeführt zu werden, werden Menschen von Journalisten bewußt mißverstanden, werden ihre Aussagen verkürzt und aus dem Zusammenhang gerissen.“

Daher sei es kein Wunder, daß kaum noch Demonstranten Interviews geben wollten. Tichy kritisiert auch die Aufhebung der einst klassischen Trennung von Kommentar und Bericht. Die Tendenz der Berichterstattung gäben linke Trendsetter vor: Politiker oder „aggressive Minderheiten“, denen die „Journalisten folgen, weil die Sichtweise als fortschrittlich oder modern gilt“.

Diese „freiwillige Gleichschaltung“ – wie es Evelyn Roll, eine frühere Redakteurin der Süddeutschen Zeitung (SZ), nennt – führt zur Höchststrafe: Die Leser treten in einen Kaufstreik. Im vierten Quartal 2014 verloren erneut alle überregionalen Tageszeitungen massiv an Auflage. Auffällig: Besonders Blätter mit einer bürgerlichen Leserschaft sind die Leidtragenden: Bild und Welt verloren rund zehn Prozent, die FAZ 7,4. Offenbar ist der Frust, täglich die eigene Auffassung verunglimpft zu sehen, hier besonders groß. Aber auch der Süddeutschen (-4,7 Prozent) und der taz (-7,4) laufen die Kunden davon.

Niemand hat die Größe, Fehler einzugestehen

Der Abwärtstrend der Printmedien scheint unaufhaltsam, die Verluste werden immer größer. Und die Hoffnungslosigkeit in den Chefetagen offenbar ebenfalls. Denn der Umgang mit der immer lauter werdenden Kritik wirkt fast schon grotesk. Ob die Süddeutsche die richtige Anwort auf diese Probleme gefunden hat? Sie schafft im Online-Bereich die Kommentarfunktion für ihrer Leser ab. Tagesschau.de erwägt den gleichen Schritt. Wo es kein Forum mehr gibt, kann es auch keinen Gegenwind mehr geben. Vielleicht wäre es Zeit für eine ehrlichere Lösung. Doch kein führender Kopf in der Medienbranche, die Menschen mit hohem Maß an Eitelkeit anzieht wie kaum eine zweite, stellt das eigene Tun infrage.

Die USA sind da schon weiter. Der Chefredakteur der ebenso gebeutelten wie angesehenen New York Times, Dean Baquet, hat in dieser Woche Fehler seiner Branche und seiner Zeitung nach dem 11. September eingestanden. In einem Interview mit dem Spiegel räumte er ein, „der Mainstream“ habe unter anderem im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg versagt. Über seine Zeitung, sagte er voller Selbstkritik: „Wir waren zu arrogant.“

Foto: IVW-Zahlen: Die Auflagenverluste der Tagespresse sind schmerzhaft

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