© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/15 / 30. Januar 2015

Widerstand gibt es nicht
Ein fast lautloser Vorgang: Michel Houellebecq entwirft die Dystopie einer islamischen Machtübernahme in Frankreich
Karlheinz Weissmann

Selten hat ein belletristisches Buch schon vor Erscheinen so heftige Diskussionen ausgelöst und noch seltener gab es eine derartige Koinzidenz zwischen Fiktion und Realität wie im Fall von Michel Houellebecqs „Unterwerfung“. Was die Diskussionen angeht, löste die das Szenario einer islamischen Machtübernahme im Frankreich des Jahres 2022 aus, möglich gemacht durch das Patt zwischen Marine Le Pen und dem Präsidentschaftsbewerber Mohammed Ben Abbès, hinter dessen „Bruderschaft der Muslime“ sich zuletzt „die erweiterte republikanische Front“ aus Sozialisten und bürgerlicher UMP versammeln würde. Die Koinzidenz folgte aus der Zeitgleichheit von Buchveröffentlichung und dem Anschlag auf die Pariser Satirezeitung Charlie Hébdo, die übrigens gerade ihren Spott über Houellebecq ausgegossen hatte.

Obwohl die Ereignisse des 15. Januar ein besonderes Licht auf die Darstellung des Buches fallen lassen, bleibt zu betonen, daß die „Unterwerfung“ bei Houellebecq ein fast lautloser Vorgang ist. Sie hatte sich längst angekündigt in der ständig wachsenden Zahl der Muslime, deren Präsenz im öffentlichen Leben, der Gewöhnung einer alternden autochthonen Bevölkerung an das, was eben noch fremd war, der stillschweigenden Aufgabe jeder Forderung nach Integration, einer schleichenden Akzeptanz der Forderungen, die die islamischen Lobbygruppen stellen.

Intime Kenntnis der politischen Kleinfamilien

All das hat bei Houellebecq dem Sieg von Ben Abbès vorgearbeitet und der Möglichkeit, die neue Ordnung so rasch und effizient durchzusetzen. Es verschwinden die Bettler und die Kleinkriminellen von den Straßen genauso wie die koschere Abteilung im Supermarkt, die Schulpflicht wird auf sechs Jahre reduziert und der Staatshaushalt ausgeglichen. Das gelingt durch ein ganzes Bündel von Maßnahmen: die Kürzung der Sozialleistungen wie der Subventionen für die Großindustrie, das Arbeitsverbot für Frauen und den Verweis jeder Fürsorge an die Familien.

Widerstand gegen die Regierungsmaßnahmen gibt es nicht. Das liberale Establishment tut alles, um den Eindruck von „Islamophobie“ zu vermeiden, die plötzlich reichlich fließenden Mittel aus den Erdölstaaten des Nahen Ostens einzustreichen und die braune Gefahr zu beschwören. Die Kirche darf erstaunt bemerken, daß man sie im Namen des Antisäkularismus hofiert, und die Intellektuellen stehen unter dem „hypnotischen Zauber“, den Ben Abbès mit seinem Entwurf eines neuen lateinischen Imperiums unter Einschluß Europas und der nordafrikanischen Staaten verbreitet.

Probleme gibt es im Grunde nur mit jenen Extremisten, die Ben Abbès Konzept der „Minderheitsscharia“ nicht akzeptieren und in Frankreich immer noch eine Region im „Haus des Krieges“ sehen, deren ungläubige Bewohner mit allen Mitteln zu bekämpfen sind. Der neuen Führung gelten sie bestenfalls als nützliche Idioten, um den Druck von Fall zu Fall zu erhöhen, sonst aber als Quertreiber, die nicht verstanden haben, welche Möglichkeiten die „offene Gesellschaft“ bietet, wenn man die Geduld und die Demographie auf seiner Seite hat, den Materialismus und den Opportunismus „in unseren noch westlichen und sozialdemokratischen“ Ländern ebenso zu nutzen weiß wie deren Lebensmüdigkeit.

Daß die Ereignisse, die in „Unterwerfung“ geschildert werden, ihren Gang nur nehmen können, weil „Europa (…) bereits an sich selbst zugrunde gegangen“ war, steht außer Frage. Der Ich-Erzähler, ein Literaturdozent an der Sorbonne, ist kaum zufällig Spezialist für Joris-Karl Huysmans, einen der wichtigsten Autoren der décadence am Ende des 19. Jahrhunderts. Für Huysmans gab es allerdings noch die Rückwendung zum christlichen Glauben, in einer sehr ästhetisierenden und sehr katholischen Fassung zwar, aber immerhin. Dagegen konvertiert der Protagonist Houelle-

becqs schließlich zum Islam ohne Hoffnung auf Erlösung – „eine spirituelle Neigung konnte ich an mir so gut wie nicht erkennen“ – nur aufgrund praktischer, mithin pekuniärer, Gründe und um die Vorzüge der Polygamie zu genießen.

Houellebecqs „Unterwerfung“ ist als Dystopie gemeint, ohne daß damit unmittelbar auf die Position des Autors zu schließen wäre. Immerhin fällt dessen intime Kenntnis der politischen Kleinfamilien Frankreichs auf. Es beginnt mit den „katholisch-royalistisch linken Kreisen“, die an einer Stelle erwähnt werden und von deren Existenz diesseits Rheins kaum einer, jenseits nur sehr wenige wissen dürften, denn die Abspaltung der Nouvelle Action Royaliste (NAR) von der ehrwürdigen Action Française (AF) liegt mehr als vierzig Jahre zurück. Und wenn schon dem klassischen Monarchismus im heutigen Frankreich lediglich ein Schattendasein zukommt, so gilt das erst recht für diese Gruppe von Schismatikern und deren ebenso notorische wie unerhebliche Sympathie für sozialistische Kandidaten.

Auf den ersten Blick könnten die Traditionalisten noch marginaler erscheinen als die Anhängerschaft der NAR, aber deren Schulhaupt René Guénon übt in Frankreich bis dato einen wenngleich unterirdischen Einfluß aus. Bei Houellebecq gehört zu den unerwarteten Wendungen des Geschehens, daß der Präsident der „Neuen Universität Sorbonne – Paris III“, ein Konvertit, seine Dissertation über Guénon geschrieben hatte und auch durch dessen Übertritt zum Islam beeinflußt worden war.

Sehr breiten Raum nehmen dann die Identitären ein, Anhänger jener nationalistischen Basisbewegung, die seit einiger Zeit auch in mitteleuropäischen Staaten von sich reden macht, aber ihre Wurzeln in Frankreich hat. Bei Houellebecq erleben die Identitären nicht nur einen dramatischen Bedeutungszuwachs, sie spalten sich nach dem Muster von IRA und ETA auch in einen bewaffneten Arm, der mit der eigenen Analyse des kommenden Rassenkrieges in Europa ernst macht, in den Untergrund geht und die Konfrontation mit den Dschihadisten sucht, und einen zivilen, der – ohne Abstriche an den eigenen Überzeugungen – die Annäherung an den Front National (FN) vollzieht.

Als „graue Eminenz“ dieser zweiten Gruppe fungiert ein junger Kollege des Erzählers, ein „Rechtsintellektueller“ neuen Typs, der sich zwar gemäßigt gibt, aber auf die Zuspitzung der Entwicklung wartet. Die Basis der Identitären – „Royalisten, Nostalgiker, im Grunde Romantiker“ – behandelt er mit einer gewissen Verachtung und erklärt, daß erst deren Selbstverständnis als „Ureinwohner Europas“ jene Dynamik entfaltet habe, das den Sektencharakter sprengen konnte.

Eine ähnliche Mutation hat auch der FN durchlaufen, dessen Anhängerschaft unter Marine Le Pen kaum noch etwas mit der in der Zeit ihres Vaters zu tun hat. Jean-Marie Le Pen konnte zwar mit den Besiegten von 1944, Nationalisten der alten Schule, Algerienfranzosen und katholischen Ultras einen Kern formieren, aber jetzt ist die Zeit gekommen, um sich aller Illusionen über die Bündnisbereitschaft des nach links driftenden Klerus oder die „douce France“ zu entschlagen, und dem „white trash“ und den verstörten und verängstigten laizistischen Mittelschichten ein Angebot zu machen.

Wenn Marine Le Pen sich also nicht mehr auf das Frankreich der Vergangenheit beruft, sondern die Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte von 1793 zitiert, in der vom Revolutionsrecht die Rede ist, und ihre Anhänger mit von jeder unnötigen Schärfe befreiten Slogans wie „Wir sind das französische Volk!“ und „Das ist unsere Heimat!“ demonstrieren, dann erscheint der FN tatsächlich von allen faschistischen Schlacken befreit, eine Art FRAGIDA auf den Champs-Elysées.

Man liest das alles und die atmosphärisch dichten Passagen des Romans mit Interesse und darf sich auch an den mehr oder weniger witzigen Anspielungen Houellebecqs erfreuen. Da ist zum Beispiel Robert Rediker, der erwähnte Rektor der Sorbonne, dessen Name nicht zufällig an den des in den Untergrund abgetauchten Islamkritikers Robert Redeker erinnert, oder Godefroy Empereur, der Chefdenker der Identitären, dessen Name die Erinnerung an den Kreuzzugsführer Gottfried von Bouillon (eine Ikone der klassischen Rechten) mit der Reminiszenz an Napoleon (den Helden der Bonapartisten) kombiniert.

Unmut über die Ignoranz der Medien

Trotzdem bleibt ein gewisses Ungenügen. Das hat nicht nur mit den pornographischen Passagen zu tun, mehr noch mit den Schwächen und Widersprüchlichkeiten der Handlung. Denn der Hinweis auf den „sich seit Jahren verbreiternde[n], inzwischen bodenlose[n] Graben zwischen dem Volk und jenen, die in seinem Namen sprachen“ einerseits, die Allmacht einer linken Oligarchie „in einem immer unverhohlener rechts denkenden Land“ andererseits bleibt genauso folgenlos für das Geschehen wie der Unmut über die Ignoranz der Medien, die die Warnung der „Kassandren“ vor dem kommenden Kulturkampf stets abgetan haben, so lange, bis es zu spät ist.

Oder auch nicht. Denn der schleichende Übergang in ein „Eurabia“ mag vielleicht die Zukunft des Kontinents sein, aber kaum in so naher Zukunft wie Houellebecq sich vorstellt. Selbst eine „von ihrem grundsätzlichen Antirassismus gelähmte Linke“ dürfte kaum den gesellschaftlichen Umbaumaßnahmen zustimmen, die Ben Abbès in Angriff nimmt. Daran könnte auch die im Buch mehrfach als „Rückkehr zur Religion“ apostrophierte Tendenz wenig ändern, solange es dabei nur um das Phänomen geht, daß die Eingewanderten an ihrer Überlieferung festhalten und sie den Indigenen aufnötigen, der Islam aber keine echte Ausstrahlung auf die Ungläubigen gewinnt. Und schließlich bleibt da noch der schlecht motivierte Handlungsstrang, in dem es um die halbherzige und rasch wieder abgebrochene Flucht der Hauptfigur in den Südwesten geht, als alle Anzeichen doch auf den Beginn eines Bürgerkriegs hindeuten, der dann nicht kommt, obwohl im Vorfeld so ausführlich die Stärke und die Militanz des rechten Lagers dargestellt wurde.

Wenn ausgerechnet an diesem Punkt vieles im Ungefähren bleibt, hängt das damit zusammen, daß Houellebecq seiner eigenen Einschätzung nach mit „Unterwerfung“ „nicht weit genug“ gegangen ist. Vielleicht kommen seine Haltungen in den wegwerfenden Äußerungen über sein eigenes als ein „Volk der Königsmörder“ zum Ausdruck, oder in der Überzeugung, daß „das Patriarchat (…) zumindest den Vorzug zu existieren“ hatte, oder in den schwärmerischen Passagen über das noch halbbarbarische aber vitale Frühmittelalter, oder in der offenkundigen Sympathie für Libertinage und elitäres Selbstverständnis, das in der französischen Rechten Tradition hat, aber sicher ist das nicht. Es kann sich durchaus um Vexierspiele handeln, etwas, das angesichts der von Houellebecq skizzierten kulturellen Machtverhältnisse schlau sein mag, aber der Gestaltungskraft eines Autors offenbar auch Grenzen setzt.

Michel Houellebecq: Unterwerfung. DuMont Buchverlag, Köln 2014, gebunden, 280 Seiten, 22,99 Euro

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