© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/15 / 30. Januar 2015

Pankraz,
die Trümmerfrau und die verlorene Zeit

Jeder blamiert sich, so gut er kann. Seit Jahren nun schon kämpft die Partei der Grünen in München gegen den kleinen Gedenkstein für die sprichwörtlichen „Trümmerfrauen von 1945“, den die Stadt im Dezember 2013 am Marstallplatz aufstellen ließ. Vor kurzem war es wieder einmal soweit. Landtagsabgeordnete der Grünen erschienen auf dem Platz und verhüllten den Stein mit einem „Nazi-Überzieher“. Dazu grölten sie: „Kein Denkmal für Altnazis!“ Und: „Spaenle, du betreibst Geschichtsklitterung!“ Ludwig Spaenle ist der bayerische Kultusminister, der die Aufstellung des Steins veranlaßt hatte.

Daß es je in nennenswertem Umfang Trümmerfrauen in München und anderen zerstörten deutschen Städten gegeben habe, sei eine „Mär“, eine schlichte Lüge, behaupten die Grünen. Es habe sich bei den Schuttwegräumern der ersten Nachkriegsmonate und -jahre vielmehr um „Nazis und Nazissen“ gehandelt, die von den alliierten Siegern zwangsrekrutiert worden seien. Denen sei also nur verdiente Strafe widerfahren, es gebe nicht den geringsten Grund, ihrer in Dankbarkeit zu gedenken oder ihnen gar Denkmale zu errichten.

Eine solche Behauptung ist derart dummdreist und widerlich, daß man sie nicht einmal als Geschichtsklitterung bezeichnen mag. Allein in München wurde durch die Bombenangriffe jedes zweite Gebäude schwer beschädigt oder zerstört. Über fünf Millionen Kubikmeter Schutt galt es wegzuräumen. Dazu brauchte es wahrhaftig mehr als einige frontbefreite NSDAP-Mitglieder. Weiteste Kreise der Bevölkerung mußten herangezogen werden, natürlich überwiegend Frauen, denn die meisten einsatzfähigen Männer waren abwesend, im Krieg gefallen oder in Gefangenenlagern.

Die „Trümmerfrau“ war also keineswegs eine bloße Symbolgestalt, ein nachträglich verklärendes „Narrativ“, wie man heute sagen würde. Sondern sie war nach 1945 härteste Realität, in München ebenso wie in Dresden oder Hamburg, Berlin oder Köln. Und es ging dabei nicht nur um das Beiseiteräumen von Schutt, es ging buchstäblich ums nackte Überleben und die völlige Neuorganisation elementarster Lebensumstände. In der „Trümmerfrau“ verkörperte sich ein Frauentyp, dem man zumindest solidarische Anteilnahme und hohen Respekt entgegenbringen sollte.

„Unsere verlorenen Jahre“ hieß denn auch ein voluminöser Dokumentenband aus der Sammlung Luchterhand, in dem das schwere Schicksal der Trümmerfrauen in größter Ausführlichkeit beklagt wurde und der reißenden Absatz fand. Nichts, so liest man dort, hätten diese Frauen vom Leben gehabt, nichts als körperliche Schwerarbeit, Sorge um den Mann an der Front oder in der Gefangenschaft, Sorge um die Kinder mit ihren hungrigen Mäulern, keine schönen Kleider, keine schicken Lokale zum Ausgehen, keinen Trost in einsamen Nächten.

Der Tatbestand ist präzise geschildert, dennoch wehrt sich Pankraz spontan gegen den Titel „Verlorene Jahre“. Haben die Trümmerfrauen wirklich „Zeit verloren“? Was ist das denn, „verlorene Zeit“? Soll damit gesagt sein, daß die betreffende Zeit für die Erinnerung verloren ist, so daß man sich im Alter nicht mehr an ihr wärmen kann? Oder handelt es sich um einen Verlust an Lebensintensität während der verbrachten Zeit selbst, um ein bitteres Verfehlen des gelebten Augenblicks?

Beides ist nicht identisch, nicht einmal kongruent. Zeiten der Erfüllung haben einen geringeren Erinnerungswert als Zeiten der Entbehrung und der Not. Gerade an seine schwersten Jahre erinnert man sich nach einigem Abstand am intensivsten, und zwar nicht nur deshalb, weil man dabei den Triumph und das Glück der schließlichen Überwindung nachschmecken kann, sondern auch und vor allem weil schwere Zeiten die Menschen viel enger zusammenschweißen und weil sie Tugenden und Überlebenskräfte mobilisieren, von denen man sich sonst nicht träumen läßt.

So kommt es, daß Vergnügungsreisen in friedlichen Zeiten in der Regel allenfalls oberflächliche Urlaubsbekanntschaften begründen, Kriegs- und Nachkriegserlebnisse hingegen Freundschaften und Soldidargemeinschaften, die weit in Friedenszeiten hineinreichen und ein Leben lang halten. Sogar äußerlich ganz ereignis- und tatenlose Jahre der Gefangenschaft stiften enge Gemeinschaft, und für den Einzelhäftling gewinnen sie nach der Befreiung oft ein eigentümlich bedeutsames, manchmal sogar verführerisches Leuchten, das den aus der Fülle schöpfenden „Normalalltag“ ohne weiteres verdunkeln mag.

Was aber das Erlebnisniveau der von Luchterhand so ausführlich bedauerten Trümmerfrauen betrifft, so lag es ohne Zweifel hoch. Jeder Tag war für diese Frauen eine gewaltige Herausforderung all ihrer körperlichen und seelischen Energien, ihrer Phantasie, ihres Witzes, ihres Überlebenswillens. Hinzu kam das Bewußtsein, die fehlenden Männer vertreten zu müssen, und hinzu kam bald die spürbare Genugtuung des Sieges über Sisyphus. Zumindest in Westdeutschland sahen die Trümmerfrauen nach 1945, daß es dank ihrer Arbeit tatsächlich aufwärtsging. Sie sahen, daß sie keine Zeit zu verlieren hatten – und sie verloren keine.

Wenn heute etablierte Politiker das Andenken an die Trümmerfrauen bewußt in den Schmutz ziehen und dabei nicht einmal vor dümmlichster Denkmalschändung zurückschrecken, so scheint als Antrieb mehr als nur das übliche Hecheln nach öffentlicher Aufmerksamkeit und wohlfeile Antifa-Rhetorik dahinterzustecken. Hinzu tritt ein tiefer Neid, den diese Kräfte gegenüber ihren Schmäh-Objekten empfinden. Während sie, die Neider, ihre beste Zeit verplempern mit sinnlosem Herumgezappel und eitler Wichtigtuerei, haben die Beneideten ihre Zeit in glorioser Weise genutzt! So etwas macht kleine Geister wütend, treibt sie in den Haß.

Aber wie spricht schon Kly-tämnestra bei Äschylos? „Wer unbeneidet wandelt, ist nicht beneidenswert.“ Die Trümmerfrauen vom Marstallplatz haben also keinen Grund, sich irgendwie zu beklagen.

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