© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/15 / 30. Januar 2015

Reformen sind nicht in Sicht
Saudi-Arabien: Nach dem Tod von König Abdullah setzt dessen Nachfolger Salman auf Kontinuität
Marc Zöllner

Kaum waren die Fahnen an der Westminster Abbey gestrichen, meldete sich Glenn Greenwald zu Wort. „Großbritannien verfügt, für heute seine Flaggen für König Abdullah auf Halbmast zu hängen“, schrieb der US-amerikanische Journalist, der insbesondere aufgrund seiner Enthüllungen zu Edward Snowden zu internationaler Bekanntheit gelangte, auf Twitter. „Ab morgen möchte man jedoch damit fortfahren, der Welt Demokratie zu lehren.“

Doch nicht nur Westminster Abbey, die Begräbnisstätte unzähliger englischer Monarchen, steht mit ihrer Entscheidung zur Kondolenzbekundung für den vergangenen Freitag verstorbenen saudi-arabischen Regenten Abdullah ibn Abd al-Aziz al Saud in öffentlicher Kritik. Auch die Anreise von François Hollande aus Frankreich, Prinz Charles aus England sowie des US-Präsidenten Barack Obama, der zuletzt aufgrund seines Fehlens beim Gedenken an die Opfer des Anschlags auf die Satirezeitung Charlie Hebdo negativ in die Schlagzeilen rutschte, betrachtet das Gros der Journalisten und Menschenrechtler mit Argwohn.

Kaum ein Herrscher polarisierte in öffentlichen Debatten derart intensiv wie Saudi-Arabiens König Abdullah. Auf der einen Seite stand er als Garant für Stabilität und Wohlstand, für rasanten Wirtschaftswachstum und intensiven Güteraustausch gerade mit dem Westen.

Die Schattenseite seiner Regentschaft offenbarte jedoch ein absolutistisches System mit drakonischen Strafen für politische Oppositionelle und religiöse Abweichler: Der Fall des Bloggers Raif Badawi, der im vergangenen Mai aufgrund seiner Beiträge zum interkulturellen Verständnis zu zehn Jahren Haft und 1.000 Stockschlägen verurteilt worden war, sorgt wieder medial für Aufregung.

Bis zu 30.000 politische Häftlinge sollen in den Gefängnissen des ölreichen Wüstenstaats inhaftiert sein. Körperliche wie seelische Folter, Auspeitschungen, Verstümmelungen sowie öffentliche Hinrichtungen, zumeist Enthauptungen mit dem Schwert, sind an der Tagesordnung. 2012 wurden über 79 Todesurteile vollstreckt – zumeist ohne Anspruch auf internationale Kontrolle der Prozesse.

Doch Saudi-Arabien stellt auch einen wichtigen strategischen Verbündeten des Westens dar: Mit Hilfe seiner Petro-Dollar und westlicher Technologie rüstet der Ölstaat nicht nur moderate Milizen im Bürgerkriegsland Libyen aus. Neben der Türkei und Katar dient die saudische Wüste als Trainingslager für syrische, gegen Baschar al-Assad sowie islamistische Gruppierungen kämpfende Rebellen.

Die dritte Saud-Generation steht in den Startlöchern

Im Krieg gegen den Islamischen Staat (IS), welcher durch Selbstmordkommandos immer wieder versucht, auf saudischen Boden vorzudringen, und zuletzt Anfang Januar mit Odah al-Balawi gar einen hochrangigen saudischen General ermordete, zieht die saudische Königsfamilie persönlich zu Felde: namentlich mit Khaled bin Salman, dem Sohn des von Abdullah designierten Thronfolgers Salman ibn Abd al-Aziz, als von der einheimischen Presse gefeierten tapfersten Kampfpiloten der Monarchie.

Diesbezüglich stand die Bundesregierung auch vor der klammen Frage, wen sie zur staatsmännischen Kondolenz nach Riad entsenden sollte. Angela Merkel schob ihre Wintergrippe vor; Bundespräsident Gauck seinen 75. Geburtstag. Lediglich Christian Wulff, seines Zeichens Präsident a.D., wurde zur Trauerfeier beordert. Für Berlin galt es, den schmalen Grat zwischen öffentlicher Meinung und wirtschaftslobbyistischer Interessenlage blessurlos zu überwinden. Denn nach China und den USA ist Deutschland nicht nur in Rüstungsexporten drittwichtigster Handelspartner der autokratischen Monarchie. Bei einem Handelsvolumen von elf Milliarden Euro verdiente die deutsche Wirtschaft 2013 gut 7,5 Milliarden Euro am Austausch mit Saudi-Arabien; prozentual betrachtet so viel wie mit keiner zweiten Nation dieser Welt.

Mit dem Tod des saudischen Regenten neigt sich keine Ära dem Ende entgegen. Nur einen Tag benötigte der Leitindex sämtlicher an Riads Tawadul-Börse gelisteter Aktienkurse, um sich von seiner anfänglichen Schockstarre zu lösen. Die Ankündigung Salmans, des 79jährigen Bruders des verstorbenen Abdullah, auch weiterhin am Vorhaben seines Vorgängers festzuhalten, noch in dieser Jahreshälfte den umgerechnet rund 370 Milliarden Euro werten saudischen Aktienmarkt für Ausländer zu öffnen, beruhigte die Investoren rasch.

Auch sozialpolitisch wird die Wüstenmonarchie weiter auf Kontinuität setzen. Der neue König Salman gilt als pragmatischer Technokrat ohne reformistische Ambitionen. Bewährt hatte er sich insbesondere in der Planung der Hauptstadt Riad, deren Bürgermeister und späterer Gouverneur er seit seinem 19. Lebensjahr an war und welche unter seiner Ägide vom verschlafenen Einhunderttausend-Seelen-Ort zur pulsierenden Metropole mit knapp fünf Millionen Einwohnern gewachsen ist.

Doch die Zeit zog nicht spurlos an Salman vorüber: Mehrere Schlaganfälle lähmen die linke Hälfte seines Körpers, überdies soll er mittlerweile an fortgeschrittener Demenz leiden. Seine wichtigste Reform könnte daher die Ernennung des 1959 geborenen Prinzen Mohammed bin Nayef bin Abdulaziz al Saud zum ersten Thronfolger der dritten Generation bleiben, einem innen- wie außenpolitischen Hardliner, der seit einem Attentat der Terrorgruppe al-Qaida auf sein Leben rigoros gegen Dissidenten und Islamisten agiert.

König Salmans Regentschaft wird nur einen Übergang darstellen; dessen sind sich viele Analysten bewußt. Doch bis zur Beantwortung der Frage, wie und unter wem die Macht im Königreich neu zu verteilen ist, dürften Monate ins Land ziehen. Bis dahin ergeht man sich in Staatstrauer – zumindest außerhalb Saudi-Arabiens. Denn die wahhabitische Auslegung des Islam verbietet dem saudischen Staat die Personenhuldigung.

Golfmonarchien bekunden ihre Anteilnahme

Dafür bekunden die umliegenden arabischen Nationen ihre Kondolenz. Selbst das kleine Katar, der geopolitisch eifrigste Kontrahent König Abdullahs, unterbricht drei Tage lang das Rundfunkprogramm, um Koranverse zu rezitieren. In Ägypten herrscht sogar eine ganze Woche lang Totenruhe. Abd al-Fattah as-Sisi, der im Juli 2013 mit saudischer Hilfe gegen die Muslimbruderschaft putschte und von Abdullah anschließend zehn Milliarden Euro Soforthilfe überwiesen bekam, sagte überdies alle Feierlichkeiten zum vierjährigen Jubiläum des Aufstands gegen den damaligen Diktator Hosni Mubarak ab.

Nur Bahrain zeigt sich noch dankbarer: Vierzig Tage lang hängen die Flaggen auf Halbmast. Immerhin war es König Abdullah, dessen im Inselstaat einmarschierende Panzer verhindert hatten, daß die manamaische Königsfamilie vom Arabischen Frühling im März 2011 beinahe hinfortgefegt worden wäre.

Foto: Prinz Nayef, Kronprinz Muqrin und König Salman (v.l.) empfangen Kondolenzbesuche : Alle drei wollen die wahhabitische Staatsräson fortsetzen

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