© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/15 / 30. Januar 2015

Das System Merkel beginnt zu bröckeln
CDU/CSU: Mit dem Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ bringt die Bundeskanzlerin ihre Partei gegen sich auf
Paul Rosen

Es ist 14 Jahre her, daß der damals frischgebackene CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer über seine Parteivorsitzende Angela Merkel einen bezeichnenden Satz losließ: „Noch einen Fehler kann sie sich nicht erlauben.“ Merkel stand in der Kritik: Ihr vorheriger Generalsekretär Ruprecht Polenz hatte sich als unfähig erwiesen. Meyer brachte mit seiner Bemerkung zum Ausdruck, daß die Summe der Fehler, die sich ein Politiker leisten kann, begrenzt und das Maß schneller voll ist, als man gemeinhin glaubt. Dieser Zustand wird bei Merkel, nachdem sie ein Jahrzehnt beinahe ungefährdet regieren konnte, bald erreicht sein.

Politiker in Deutschland können sicher sein, vom Funktionärskader unterstützt zu werden, solange sie Wahlen gewinnen. Da sieht es für Merkel schlecht aus. Zuletzt ging für die CDU in Thüringen die Regierung verloren; in Thüringen, Brandenburg und Sachsen ist mit der AfD eine bürgerliche Formation in die Parlamente eingerückt, im Europaparlament ebenso. Bei den beiden Wahlen in diesem Jahr in Hamburg und Bremen dürfte die CDU keinen Stich machen. Das kostete und kostet gut bezahlte Mandatsträger ihre Diäten und Privilegien. Dadurch steigt die Unzufriedenheit, mögen die Umfragen noch so gut sein. Aber Umfragen garantieren keine Abgeordnetensitze.

Risse im Fundament der Bundesrepublik

Die Fehler häufen sich. Merkels Aussage, die Euro-Rettung sei „alternativlos“, dürfte ein schicksalhafter Langzeitfehler gewesen sein, der das Gebälk des deutschen Parteiensystem bereits bersten ließ. In der Wirtschaftspolitik wirft die von Merkel verordnete Energiewende das Industrieland Deutschland auf den Status eines Schwellenlandes zurück. Außenpolitisch richtete Merkel mit ihrer Haltung gegenüber Rußland einen diplomatischen Scherbenhaufen an. Ohne jeden Zwang attackierte sie den russischen Präsidenten Wladimir Putin direkt: „Das Vorgehen Rußlands stellt die europäische Friedensordnung in Frage und bricht internationales Recht.“ Solche Brüskierung eines anderen Staatsoberhauptes wäre weder Gerhard Schröder noch Helmut Kohl oder Helmut Schmidt passiert.

Nach ersten Pegida-Demonstrationen in Dresden kam die Kanzlerin in ihrer in früheren Jahren an Langeweile kaum noch zu übertreffenden Neujahrsbotschaft zur Sache: „Folgen Sie nicht denen, die dazu aufrufen.“ Das kam einem amtlichen Aufruf gegen das Demonstrationsrecht gleich. Eine starrsinnige Haltung gegen enttäuschte und verärgerte Bürger ist wohl die ungeschickteste Position, die eine Regierung einnahmen kann. Selbst Innenminister Thomas de Maizière (CDU), einen Vertrauten Merkels, beschleicht die Ahnung, daß hier nicht nur ein spontaner Protest im Gange ist, vielmehr sei „da etwas aufgebrochen“. In der Tat sind Pegida und andere erste Risse im Fundament der Bundesrepublik Deutschland. Die Frage ist, ob die Politik das Fundament noch stabilisieren kann oder ob die Risse breiter werden. De Maizerès Aussage, der Gesprächsfaden sei abgerissen, heißt nichts anderes, als daß die CDU-Vorsitzende Merkel den Dialog mit den Bürgern versäumt hat.

Der jüngste schwere Fehler unterlief Merkel mit ihrer Islam-Bemerkung. Schon 2010 hatte sie das einwanderungskritische Buch des Bundesbank-Vorstandsmitglieds Thilo Sarrazin („Deutschland schafft sich ab“) als „absolut nicht hilfreich“ abgekanzelt, ohne es gelesen zu haben, Sarrazin wurde entlassen. Wie in der Wirtschafts- und Sozialpolitik versuchte Merkel in der Zuwanderungsfrage, der linken Konkurrenz das Thema abzujagen und griff nach den Terroranschlägen von Paris ein Wort des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff auf: „Der Islam gehört zu Deutschland.“ Dies brachte die bisher lammfromme CDU/CSU-Bundestagsfraktion am Dienstag der letzten Woche auf die Barrikaden. Statt wie üblich in die Sitzung zu rauschen, mürrisch um sich zu blicken und nach kurzer Zeit wortlos zum nächsten Termin zu eilen, mußte sich Merkel einer Debatte mit den Abgeordneten stellen. So etwas hatte es nicht einmal gegeben, als sie 2003 den Abgeordneten Martin Hohmann rauswerfen ließ, den sie wegen seiner konservativen Haltung als Hemmnis auf dem Weg in die Regierung empfand. Droht ein Sturz der Kanzlerin?

In der Folge erlebten Beobachter Ungewohntes, ja Sensationelles im Bundestag. Als Merkel vergangene Woche dort ihr Islam-Bekenntnis wiederholte, rührte sich in der ersten Reihe der CDU/CSU-Fraktion keine Hand. Die

Claquere hielten still. Und nicht nur das. Es gab offizielle Gegendarstellungen. So erklärte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) unmittelbar vor Merkels Rede: „Die gut gemeinte Erklärung, man dürfe den Islam nicht mit dem Islamismus verwechseln, reicht nicht aus – und sie ist auch nicht wahr, ebensowenig wie die beschwichtigende Behauptung, die Kreuzzüge hätten nichts mit dem Christentum zu tun und die Inquisition auch nicht oder die Hexenverbrennungen.“ Das ging direkt gegen Merkel.

Und auch der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder, bisher ein fanatischer Merkel-Anhänger, setzte sich ab. Die Muslime gehörten zwar zu Deutschland, der Islam sei in Deutschland aber keine kulturprägende Kraft. Die CDU-Abgeordnete Erika Steinbach wurde in der Welt mit dem Hinweis zitiert, Merkels Islam-Bekenntnis werde von zwei Drittel der Unionsabgeordneten nicht geteilt.

Die Stimmung verschlechtert sich rapide in Fraktion und Partei. Merkels Kanzlerkandidatur 2017 ist alles andere als sicher. Noch einen Fehler kann sie sich nicht erlauben.

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