© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

Pimp die Predigt
Kirche leer? Mach den „Preacher Slam“! Engagiert-witzige Kurzreferate stehen für ein neues liturgisches Experiment, das wieder mehr „Lust auf Glauben“ machen soll
Bernd Rademacher

Eine Handvoll Literaten geht auf die Bühne, jeder hat zehn Minuten Zeit, seinen Text vorzutragen, wer den meisten Applaus bekommt, gewinnt. Mit dem „Poetry Slam“ hat sich der Dichterwettstreit als Kultur-Event landesweit etabliert. Das Format wurde erfolgreich auf die Wissenschaft übertragen: Beim „Science Slam“ müssen junge Akademiker ihr Forschungsgebiet in wenigen Minuten möglichst allgemeinverständlich und unterhaltsam erklären. Das Publikum entscheidet, wer als Hauptpreis „Das goldene Gehirn“ bekommt. In Uni-Städten ein Besuchermagnet.

Jetzt geht der Slam in die Kirche: Gemeinden experimentieren mit dem „Preacher Slam“ – Publikumspunkte für die Predigt! Das Prinzip funktioniert wie bei den Jungliteraten in der Studentenkneipe: Die Teilnehmer versuchen, die Zuhörer durch Wortakrobatik und Pointen zu begeistern.

Eigentlich ideal für eine Predigt. Schon 1883 rockte Pfarrer Hermann Josef Kappen in Münster die Gemeinde: „Herr, laß die Leute kein falsches Geld machen und das Geld keine falschen Leute. Nimm den Ehefrauen das letzte Wort und erinnere die Männer an ihr erstes. Schenke unseren Freunden mehr Wahrheit und der Wahrheit mehr Freunde. Bessere solche Geschäftsleute, die wohl tätig, aber nicht wohltätig sind. Gib den Regierenden ein gutes Deutsch und den Deutschen eine gute Regierung ...“

Vergleich Gottes mit Pippi Langstrumpf

Was schon damals gut ankam, soll heute die Gotteshäuser wieder voller machen. Erste Versuche verliefen vielversprechend. Beim ökumenischen Kongreß „Kirche hoch zwei“ in Hannover traten vier Geistliche gegen vier Poetry-Slammer an. Vorgegebenes Thema: „Wieviel Glaube braucht der Mensch?“

400 Menschen hören zu. Christina Brudereck, Theologin aus Essen, siegt mit ihrem Vergleich Gottes mit Pippi Langstrumpf („Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt ...“), der Geranien extra für bayerische Hotels erschafft. Volle Punktzahl. Als Gewinn bekommt sie – eine Flasche Klosterfrau Melissengeist.

In Berlin traten zwei protestantische Pfarrer wie beim Hip-Hop zum „Predigt-Battle“ an. Wer zieht die Gemeinde stärker in den Bann? Marita Lersner und Florian Barth gaben alles. Erste Disziplin: eine vorbereitete Predigt, dann je zweimal vier Minuten Improvisation. Die Berlinerin hebt an: „Mit dem Reich Gottes ist es wie mit dem Großflughafen BER: Der Flughafen ist schon da – aber eben noch nicht im vollen Sinne Wirklichkeit geworden.“ Die Neuköllner Magdalenenkirche tobt. Jetzt kriegen beide einen Zettel mit dem Thema „Brauchen wir heute noch Gott?“ Ein Orgellied lang können sie überlegen. Nun punktet Barth: „Nein! Gott braucht uns – um sein Werk zu vollenden!“ Satz und Sieg.

„Kabarett ist zu wichtig, um es Atheisten zu überlassen“

Auch im katholischen Münster meldeten sich fünf Prediger zum Slam in der Universitätskirche. Hier überzeugte Urs von Wulfen vor vollem Gotteshaus mit der Aussage „Glauben heißt Gott sei Dank nicht wissen“. Der Vierzigjährige produziert auch Youtube-Videos, in denen er auf witzige Art Glaubensinhalte erklärt. Er sagt: „Kabarett ist zu wichtig, um es den Atheisten zu überlassen.“

Preacher Slams fanden inzwischen auch in Hannover, Lübeck und Hildesheim statt. Interessierte bewerben sich mit einem einminütigen Video-Selfie. Die Idee soll der Marburger Theologieprofessor Thomas Ende zusammen mit dem Literaten Bo Wimmer für die Predigtseminare der Priesterausbildung entwickelt haben.

Natürlich gibt es auch Kritik. Soll die Kirche jedem Zeitgeisttrend hinterherhecheln und krampfhaft versuchen, „cool“ zu wirken? Ist nicht die Liturgie alter Schule mit Weihrauch der echte Stoff und das „Aggiornamento“ nach dem Zweiten Vaticanum mit Singegruppen am Altar und Rausreißen der Kommunionbänke voll in die Binsen gegangen? Wie man auch darüber denkt – wenn die Predigten mit diesem Training besser werden, ist schon etwas erreicht.

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