© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

Ein Mann des Krieges mit Schreibtalent
Vor fünfzig Jahren starb der britische Jahrhundertpolitiker Winston Churchill
Heinz-Joachim Müllenbrock

Als Winston Churchill am 24. Januar 1965 starb, hielt ein Land den Atem an. Die Trauerfeierlichkeiten wurden zur Huldigung für den Mann, der als Kriegspremier seit Mai 1940 die Last des Widerstandes gegen Hitler über ein Jahr lang allein auf seinen Schultern getragen hatte.

Der Weg in das Amt des Regierungs-chefs war voller Turbulenzen gewesen. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges galt Churchill nicht wenigen als gescheiterter Politiker, dem der Ruch des Wendehalses anhaftete – er hatte zweimal die Partei gewechselt: von den Konservativen zu den Liberalen und zurück – und der von vielen Seiten mit Mißtrauen beäugt wurde. „Brillant, aber unsolide“, lautete das Urteil über Churchill, der im Rufe stand, ein Mann des Krieges zu sein.

Als Sohn von Lord Randolph Churchill, einem jüngeren Sohn des Herzogs von Marlborough, 1874 in Blenheim Palace geboren, entstammte Churchill der Hocharistokratie, ohne jedoch aufgrund seines hyperaktiven Temperaments und ungezügelten Ehrgeizes das Ideal eines dezenten englischen Gentleman zu verkörpern; durch seine aus der New Yorker Plutokratie stammende Mutter war ihm auch ein robuster amerikanischer Einschlag eigen.

Auf der Public School Harrow erzogen und in Sandhurst für die militärische Laufbahn ausgebildet, machte sich Churchill seit den neunziger Jahren als Kriegsreporter einen Namen. Im Burenkrieg wurde er durch seine aufsehenerregende Flucht aus einem Internierungslager sogar zum Helden des Tages. Bereits im Herbst 1900 wurde der unverhohlen politische Ambitionen zu erkennen gebende Churchill ins Unterhaus gewählt.

Im politischen Abseits wurde er zum Schriftsteller

Nach seinem 1904 erfolgten Wechsel zu den Liberalen wurde Churchill schon bald mit hohen Ämtern betraut und 1908 unter dem Premierminister Herbert Asquith Handelsminister. Churchill hat in seinem langen politischen Leben nahezu alle Kabinettsposten innegehabt – bezeichnenderweise nie den des auf moderates Agieren ausgerichteten Außenministers. Für das Gallipoli-Fiasko im Jahr 1915 verantwortlich gemacht, mußte der mit Feuereifer den Kriegseintritt befürwortende First Lord of the Admiralty (Marineminister) zurücktreten. Nach dem Krieg setzte sich Churchill als virulenter Kritiker des Bolschewismus in Szene, den er als eine furchtbare Art geistiger und moralischer Krankheit brandmarkte. 1924 zur Konservativen Partei zurückgekehrt, amtierte Churchill als Schatzkanzler.

Als Baldwin 1931 mit MacDonald eine nationale Regierung bildete, blieb Churchill wegen seiner vehementen Gegnerschaft zu der konzessionsbereiten britischen Indienpolitik ohne offizielles Amt. Auch während der anschließenden Alleinregierung der Konservativen unter Baldwin seit 1935 und Neville Chamberlain seit 1937 wurde dem als unberechenbar geltenden Churchill, dessen berserkerhafte Energie nicht immer von einer gediegenen Urteilsbildung untermauert schien, der Wiedereintritt ins Kabinett verwehrt.

Ins Amt des Premierministers gelangte Churchill auch später nur, weil Lord Halifax vor dieser Herausforderung zurückschreckte. Aus der immer offenkundigeren Distanz zur Regierung betrieb er als unabhängiger Parlamentarier eine Kampagne für die Wiederaufrüstung Englands und wurde zum ungestümen und unbequemen Warner vor den vom nationalsozialistischen Deutschland ausgehenden Gefahren. Nach dem Münchener Abkommen im September 1938 brach er endgültig mit Chamberlain.

Im politischen Abseits der dreißiger Jahre reaktivierte Churchill seine beträchtlichen schriftstellerischen Fähigkeiten. Seine meisterhafte Beherrschung der englischen Sprache ist keineswegs nur literarisch von Belang, sondern auch für sein politisches Wirken auf dem Höhepunkt unmittelbar relevant. Nachdem er seine historiographische Kompetenz schon mit „The World Crisis 1911–1918“ (1923–27) gezeigt hatte, legte er jetzt mit „Marlborough: His Life and Times“ (1933–38) einen weiteren Klassiker der Geschichtsschreibung vor. Die sechsbändige Biographie seines Ahnherrn, des ersten Herzogs von Marlborough, der als Feldherr im Spanischen Erbfolgekrieg den hegemonialen Ambitionen Ludwigs XIV. von Frankreich erfolgreich entgegengetreten war, aber später mit ansehen mußte, wie England die Früchte seiner Siege durch den in seinen Augen faulen Frieden von Utrecht (1713) wieder verlor, legte aktuelle Bezüge nahe. Churchills an Gibbon und Macaulay geschulte Prosa zeichnet sich durch einen hohen, pathetisch-packenden Stil aus. Für seine von einem ähnlich dramatischen Stilwillen durchdrungene Darstellung „The Second World War“ (1948–54) sollte er den Nobelpreis für Literatur erhalten.

Churchills weltgeschichtliches Auftreten als Widersacher Hitlers ist mit seiner rhetorischen Begabung eng verquickt. Es war seine Bestimmung, den nationalen Willen in eine sorgfältig geformte, aber zugleich einprägsame, allen verständliche Sprache zu kleiden, und in der Stunde von Englands größter Not wurde seine rhetorische Brillanz zu seiner schärfsten Waffe, mit der er in seinen mitreißenden Reden im Sommer 1940 die Widerstandskraft seiner schwer geprüften Landsleute anfachte. So wurde Churchill, den die Karikaturisten schon bald als Kopf auf dem Körper einer Bulldogge zeichneten, zur Personifikation englischer Selbstbehauptung.

Allein die Frage, ob Hitler den Krieg ohne den hartnäckigen Widerstand Churchills gewonnen hätte, ist ein Gradmesser für dessen Bedeutung. Gegen Ende seines Lebens war sich Churchill allerdings schmerzlich bewußt, daß er für das wirtschaftlich ruinierte England, das ins zweite Glied zurücktreten mußte, nur einen Pyrrhussieg errungen hatte. Bemerkenswerterweise sind in seinem epischen Rechenschaftsbericht „The Second World War“ Bezugnahmen auf die Diskussion des Kriegskabinetts über einen Verhandlungsfrieden mit Deutschland, der nüchternem britischen Interessenkalkül eher entsprochen hätte, vollständig unterdrückt worden.

Die lange fast hagiographische Bewunderung Churchills ist in der revisionistischen Geschichtsschreibung einer kritischeren Beurteilung seines politischen Wirkens gewichen. Neben der Schwächung Englands durch den es überfordernden Krieg hat man auf den illusionären Charakter seiner hohen, leicht romantischen Erwartungen an die besondere Bindekraft der anglo-amerikanischen Beziehungen hingewiesen. Auch die Tatsache, daß der Ausgang des Zweiten Weltkrieges die Sowjetisierung ganz Osteuropas nach sich zog, ist der Erfolgsbilanz des Kommunistenhassers Churchill abträglich. Ebensowenig ist die militärisch überflüssige Vernichtung Dresdens ein Ruhmesblatt. Daß Churchill nach der deutschen Kapitulation an eine Fortsetzung des Krieges dachte, um die Rote Armee zurückzudrängen, und nach Ausbruch des Kalten Krieges sogar mit dem Gedanken des Abwurfs einer Atombombe auf Rußland spielte, unterstrich noch einmal die abenteuerlich-verwegene Komponente, die Churchills politischem Handeln stets eigen war.

Obwohl die Ironie der Geschichte es wollte, daß Churchill, der nach seinen eigenen Worten nicht des Königs Erster Minister geworden war, um der Liquidation des Britischen Empire zu präsidieren, eben diese unglückliche Rolle zufiel, wird er im nationalen Gedächtnis als trotziger Verfechter englischer Größe fortleben.

 

Prof. Dr. Heinz-Joachim Müllenbrock ist emeritierter Ordinarius für Anglistik an der Georg-August-Universität Göttingen. In der JUNGEN FREIHEIT schrieb er zuletzt über Sir Walter Scott (JF 29/14).

Foto: Winston Churchill, britischer Premierminister und frisch gekürter Literatur-Nobelpreisträger, mit dem schwedischen König Gustav VI. Adolf, London 1953: Rhetorische Brillanz war eine seiner schärfsten Waffen

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