© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

Den USA das Wasser abgraben
Der Große Nicaragua-Kanal: Chinas Mammutprojekt soll dessen Weltmachtstatus manifestieren
Michael Johnschwager

Als gigantisch empfinden die Menschen in Nicaragua den jüngsten chinesischen Coup, in ihrem Land Atlantik und Pazifik durch einen Kanal zu verbinden. Nach einer fünfjährigen Planungsphase sieht die Machbarkeitsstudie einen Durchbruch von 280 Kilometer Landmasse vor. Die neue Schiffahrtsroute ist damit zwar dreimal länger als der bewährte Canal Interoceánico, der durch den Isthmus von Panama verläuft.

Trotz Verbreiterung der Schleusen auf 32 Meter, wird er im Zuge eines zunehmenden Güteraustauschs schon bald an seine Grenzen stoßen. Denn bei den neuen Container-Riesen geben chinesische Reedereien auch hier die Linie vor.

Unter der Flagge der China Container Shipping Line verkehrt zwischen Asien und Europa der weltgrößte Frachter „Globe“ – über 400 Meter lang und 60 Meter breit. Bei voller Last türmen sich die 19.100 Container bis zur Höhe eines 20geschossigen Gebäudes auf.

Die neue Wasserstraße dient Chinas Bestreben, einerseits den Absatz seiner Produkte auf dem lateinamerikanischen Markt – der traditionellen Einflußsphäre seines stärksten Rivalen USA – zu forcieren. Andererseits unterstreicht er den Anspruch Pekings, sich als global player zu etablieren.

Als solcher zeigen sich die Chinesen generös. So gewährten sie Venezuela im Rahmen eines Petrodeals vier Milliarden US-Dollar und rangieren damit auf Platz zwei nach den USA als Abnehmer des venezolanischen schwarzen Goldes. Desgleichen ist China daran interessiert, Eisenerz aus Brasilien in Mega-Bulk-Schiffen nach China zu holen.

Wer sind nun die Köpfe hinter diesem Mammutprojekt? Es ist die Hong Kong Nicaragua Canal Development Investment Company. Unter dem Dach dieser HKNG Group brachte deren Vorsitzender Wang Jing die jede bisherige Größenordnung sprengende Summe von 40 Milliarden US-Dollar auf. Die Konzession erfolgte im Juni 2013 ohne Gebot und ist auf 50 Jahre ausgelegt. Eine Regierungsbeteiligung hingegen bestreitet Wang Jing entschieden. Allerdings ließ sein Sprecher Lu Dong Fragen nach den Investoren unbeantwortet; mit ihnen sei Stillschweigen vereinbart worden.

Die Befürworter versprechen sich vom Gran Canal de Nicaragua (GCN) eine Abkehr von Lethargie und Arbeitslosigkeit im zweitärmsten Land des Subkontinents. Um den Kanal zu verwirklichen, werden cirka 50.000 Arbeiter benötigt, die allein in Nicaragua nicht zu rekrutieren sind. Aber auch nach Fertigstellung und Übergabe soll der GCN Arbeitsplätze generieren, die in angegliederter Industrie sowie einer Freihandelszone, Feriendomizilen und einem Flughafen für internationale Flüge entstehen.

Bevor er im Verlauf eines Jahrhunderts stufenweise bis zu 100 Prozent in den Besitz Nicaraguas übergeht, soll er dem mittelamerikanischen Kleinstaat über die Dauer von zehn Jahren Einnahmen von jährlich zehn Millionen Dollar verschaffen.

Die betroffene Bevölkerung hingegen steht dem größten Entwicklungsprojekt Lateinamerikas weniger enthusiastisch gegenüber. So müssen zur Umsetzung an die 30.000 Nicaraguaner umgesiedelt werden. Viele fühlen sich übergangen, da der linksgerichtete Präsident Daniel Ortega das GCN-Projekt mit einem Parforceritt durchs das Parlament trieb. In teilweise gewalttätigen Protestkundgebungen wird Ortega persönliche Bereicherung vorgeworfen.

Dessen ungeachtet knüpfen interkontinental operierende Schiffahrtslinien hohe Erwartungen an Nicaraguas Großen Kanal. Eine Studie der SeaIntel Maritime Analysis geht bei Transporten zwischen China und der US-Ostküste via Nicaragua von einer Reduzierung des Treibstoffverbrauchs von bis zu 30 Prozent aus. Auch US-Reedereien profitierten demnach von einer um etwa 800 Kilometer verkürzten Distanz auf der Route zwischen New York und Los Angeles. Zudem würde der Panamakanal entlastet. Somit bräuchten die Kapitäne künftig nicht mehr so lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Seit Jahren stehen sie nämlich an den Kanaleinfahrten in Panama City und Colón im Stau.

Bei aller Euphorie dürfen tiefgreifende Einschnitte in das Ökosystem nicht verkannt werden. Die Planer nutzen den südlichen Teil des Nicaraguasees, um weniger Landmasse bei der Errichtung bewegen zu müssen. Umweltschützer äußern Besorgnis, daß wegen der geringen Tiefe des Sees eine Fahrrinne für die Ozean-Liner ausgebaggert werden müsse. Unvermeidlich gehe damit eine Kontaminierung durch Salzwasser einher.

Im sogenannten Indio Maíz finden sich 500 Jahre alte Wälder im Urzustand. Doch GCN-Chefprojektberater Bill Wild beschwichtigt: „Der Schutz des Indio Maíz ist nicht nur der Schlüssel, sondern der einzig zielführende Weg.“

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