© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

Die Armee schützt die Heimatfront
Ausnahmezustand in Belgien: Das Land ist zu einer Hochburg des Islamismus geworden
Mina Buts

Fallschirmjäger stehen an den Straßenecken, die Waffe im Anschlag. Ohne Namensschilder an den Uniformen. Etliche Polizeiwachen, vor allem in Randbezirken, sind geschlossen, die Terrorwarnstufe wurde von zwei auf drei erhöht: Belgien befindet sich im Ausnahmezustand, mindestens bis zum 26. Januar, eine Verlängerung ist nicht ausgeschlossen.

Hintergrund sind die Vorfälle in der vergangenen Woche, bei denen im ostbelgischen Verviers eine Dschihadistenzelle ausgehoben wurde. Zwei der Männer, die erst vor kurzem aus dem Nahen Osten zurückgekehrt waren, wurden dabei von der Polizei erschossen. In deren Wohnung fand sich ein ganzes Arsenal von Kriegswaffen, Kalaschnikows vom Typ AK-47, dazu eine große Menge belgischer Polizeiuniformen, Funksprechgeräte, Munition und Sprengstoff. Die Polizei, von einer Brüsseler Spezialeinheit verstärkt, hatte die Innenstadt und den Bahnhof der Kleinstadt Verviers, nahe der Grenze zu Aachen, nur provisorisch abgesperrt, um den potentiellen Attentätern keine Verdachtsmomente zu liefern.

Bei der Erstürmung eröffneten die Syrien-Rückkehrer sofort das Feuer und schossen auch noch um sich, als sie schon am Boden lagen. Zeitgleich fanden an zehn weiteren Orten in ganz Belgien weitere Razzien mit Festnahmen statt. „Diese Gruppe wollte Polizisten auf der Straße oder in Kommissariaten töten“, so Staatsanwalt Eric van der Sypt in Brüssel, „der Einsatz diente dazu, eine Terrorzelle und ihr logistisches Netzwerk zu zerschlagen.“ Offenkundig habe ein Anschlag unmittelbar und vermutlich schon in den nächsten Stunden bevorgestanden.

Erschüttert zeigte sich der Bürgermeister von Verviers, Marc Elsen: „Mit so etwas haben wir hier nicht gerechnet. Unsere Stadt ist sicher kein Zentrum des Islam.“ In der Tat, bislang wurden eher die Hauptstadt Brüssel sowie Vilvoorde, Antwerpen, Mechelen, Kortrijk, Gent und Genk wegen ihres hohen islamischen Bevölkerungsanteils beäugt – Städte, die allesamt auf flämischem Gebiet liegen. Verviers zählt nur 57.000 Einwohner, davon ist allerdings jeder zehnte ein Moslem. Die größte Moschee Walloniens, die Assahaba-Moschee, steht hier. Es gibt einige Viertel, in denen überwiegend langbärtige, weißgewandete Männer und verschleierte Frauen zu sehen sind. Und das, obwohl das Burkatragen in der Öffentlichkeit in Belgien seit 2011 verboten ist und mit einem Ordnungsgeld von fast 140 Euro geahndet wird.

Konvertiten spielen in Belgien keine Rolle

In den vergangenen Jahren hat sich Belgien fast unbemerkt zur europäischen Hochburg des Islamismus entwickelt. Von den elf Millionen Einwohnern sind mehr als eine Million Einwanderer, überwiegend Moslems marokkanischer Herkunft. Gemessen an der Einwohnerzahl hat Belgien auch die höchste Zahl an gewaltbereiten Rückkehrern aus Syrien und dem Irak. In einer Studie hat der Journalist Guy Van Vlierden gemeinsam mit dem Islamwissenschaftler Pieter Van Ostaeyen dargelegt, daß auf eine Million Einwohner in Belgien 40 Rückkehrer kommen; im Vergleich dazu sind es in Frankreich 16. Für diese auffällig hohe Zahl wird die Organisation „Sharia4Belgium“ verantwortlich gemacht. Auf deren Konto geht auch die Ermordung des US-Journalisten James Foley im August 2014 in Syrien.

Anders als beispielsweise in Deutschland spielen Konvertiten keine Rolle; auffällig viele der Rückkehrer kommen aus ethnisch gemischten Familien oder sind gar adoptiert, so die Studie. Eine Überwachung der Rückkehrer ist unmöglich. 24 Polizeibeamte wären pro Person nötig, um diese rund um die Uhr zu beschatten.

Daher stehen seit vergangener Woche auch militärische Eliteeinheiten bereit, um sensible Orte zu schützen. In Antwerpen beispielsweise sind 50 Soldaten stationiert, um im jüdischen Viertel und im Diamantenviertel, in denen über 20.000 orthodoxe Juden leben, Präsenz zu zeigen. Sie sollen die Synagogen, die jüdischen Schulen und den Hauptbahnhof schützen. Für Polizei- und Gerichtsgebäude werden sie nicht eingesetzt. Allen ist noch der Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel vom Mai vergangenen Jahres im Bewußtsein, bei dem der Attentäter Mehdi Nemmouche vier Menschen umbrachte. Der 29 Jahre alte Algerier mit französischer und algerischer Staatsangehörigkeit wurde später in Marseille verhaftet und nach Belgien ausgeliefert.

Die Zahl der Soldaten kann auf bis zu 300 aufgestockt werden. Der belgische Innenminister Jan Jambon (von der konservativen N-VA) verteidigt den Einsatz: „Die Wahl, die Armee einzusetzen, ist eine Frage des gesunden Menschenverstandes. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Null Risiko gibt es nicht, aber es ist die Aufgabe des Staates, die Menschen zu schützen.“ Warum, so fragt er, sollten die Fallschirmjäger in Kabul, aber nicht im eigenen Land eingesetzt werden. Es ist nur ein schwacher Trost, wenn der Sicherheitsexperte Brice De Ruyver darauf hinweist, daß man zwar nicht jeden überwachen und nicht alles untersuchen könne, daß die Situation aber in den anderen westeuropäischen Ländern ebenso sei.

Vergleichbar ist die Situation dennoch nicht, denn die tiefe Zerrissenheit des Landes erschwert die Justizarbeit. Oft arbeiten flämische, wallonische, Brüsseler und Staatsbehörden eben nicht Hand in Hand. Als Lehre aus der Affäre Dutroux, die Belgien 1996 erschütterte, wurde zwar das Polizeiwesen umstrukturiert, eine tiefgreifende Justizreform blieb jedoch aus. Ob die vom belgischen Justizminister Koen Geens angestellte Überlegung, die 35 in belgischen Gefängnissen einsitzenden gewaltbereiten Salafisten in zwei Justizanstalten zusammenzufassen, um eine „Ansteckung“ anderer Häftlinge zu vermeiden, durchgesetzt werden kann, ist daher mehr als fraglich.

Vlaams Belang fühlt sich in Warnungen bestätigt

Für den Vlaams Belang sind die vereitelten Terroranschläge eine Bestätigung ihrer Dauerwarnung vor dem Islamismus. „Wir befinden uns in einem Kriegszustand. Die Ereignisse der vergangenen Woche haben vielen Flamen die Augen geöffnet“, so Filip Dewinter, Antwerpener Abgeordneter der Partei. Von den 500.000 Einwohnern der Stadt sind 20,5 Prozent Moslems, 47 Moscheen gibt es allein dort. Dewinter fordert, Moscheen, in denen Gewalt gepredigt wird, zu schließen. Er geht auch davon aus, daß der Vlaams Belang, der von jeher das Einwanderungsproblem benannt hat, bei den nächsten Wahlen wieder mehr Zustimmung finden wird.

Mittlerweile hat sich via Facebook eine „Pegida Flandern“-Gruppe zusammengefunden. Bei mehr als 5.000mal „Gefällt mir“ sollte eigentlich die erste Demonstration stattfinden. Mittlerweile ist der „Gefällt mir“-Knopf fast 7.000mal angeklickt worden. Für den 26. Januar ist eine erste Demonstration in Antwerpen angemeldet, Pegida Wallonien-Brüssel hat schon angekündigt, dem Demonstrationsaufruf ebenfalls zu folgen.

Foto: Polizeiabsperrung am Einsatzort im ostbelgischen Verviers: In der 57.000-Einwohner-Stadt steht die größte Moschee Walloniens

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