© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

Tiefempfundene Vorbehalte gegen die da oben
Pegida: Eine erste Studie zu den Dresdner Demonstrationen zeigt, daß vor allem die gut ausgebildete Mittelschicht auf die Straße geht
Paul Leonhard

Pegida bewegt. Nicht genug, daß bis zum vorläufigen Aus für die islamkritische Demonstration wegen einer Terrordrohung (siehe auch Seite 5) jede Woche Tausende Bürger in Dresden auf die Straße gegangen sind. Plötzlich bewegt sich auch etwas in der Diskussion: Asyl, Integration und Zuwanderung sind in Dresden nun ein Thema, zu dem die sächsische Staatsregierung mit der Bevölkerung ins Gespräch kommen will. Für Mittwoch hatte Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) zu einem Dialog-Forum „Miteinander in Sachsen“ ins Congress-Center 300 Bürger eingeladen. Die Teilnehmer wurden zwei Tage zuvor ausgelost. Auch die Dresdner Tageszeitungen vollziehen einen Kurswechsel: Neuerdings dürfen sich auch Pegida-Anhänger äußern.

Die Sächsische Zeitung präsentierte am Wochenende unter der Schlagzeile „Vier aus Tausenden“ vier Sachsen, die öffentlich sagen durften, warum sie auf die Straße gehen. Vier Seiten weiter wurden Leserbriefe unter Überschriften wie „Kontrollierte Zuwanderung ist kein Rassismus“, „Von Lobbyisten gelenkte Politik regiert am Land vorbei“ und „Probleme sind nicht durch ‘Unser Land bleibt bunt’-Schilder lösbar“ abgedruckt. Das ist schon deswegen erstaunlich, weil dieselbe Zeitung noch zwei Tage vorher auf ihrer Titelseite indirekt behauptet hatte, daß „die Pegida-Demos für ein Klima in Dresden verantwortlich“ seien, das „rassistische Übergriffe“ begünstige.

Islamismus und Abendland spielen nur eine Nebenrolle

Ursache für diese neue Offenheit sind – neben Abokündigungen und Protestbriefen – dreizehn Balkendiagramme, erstellt vom Lehrstuhl für Theorie und Ideengeschichte der Technischen Universität Dresden. Politikwissenschaftler Hans Vorländer wollte wissen, wer warum zu Pegida-Demonstrationen geht. Insgesamt 400 Interviews wurden geführt. Auch wenn knapp zwei Drittel der Befragten eine anonyme Befragung zu ihren Beweggründen, an den Pegida-Demonstrationen teilzunehmen, ablehnten, ist das Ergebnis so, daß es das politische Establishment im schwarz-rot regierten Sachsen aufrüttelt: Denn der „typische“ Pegida-Demonstrant entstammt der Mittelschicht. Er ist gut ausgebildet und berufstätig. 38 Prozent der Befragten haben einen Realschulabschluß, 28 Prozent einen Hochschulabschluß.

81 Prozent der befragten Demonstranten, die zu 75 Prozent Männer waren, sind zwischen 20 und 69 Jahren alt und zu 73 Prozent konfessionslos. Es handelt sich mehrheitlich um Arbeiter oder Angestellte, die laut Studie über ein für sächsische Verhältnisse leicht überdurchschnittliches Nettoeinkommen verfügen.

62 Prozent fühlen sich keiner politischen Partei verbunden. Weitere 17 Prozent sympathisieren mit der Alternative für Deutschland, neun Prozent mit der CDU, vier beziehungsweise drei Prozent mit der NPD oder der Linken. Nur 15 Prozent der Befragten sind nicht in Sachsen zu Hause.

Daß es den meisten der Pegida-Anhänger überhaupt nicht vordergründig um den Schutz des Abendlandes vor der Islamisierung geht, dürfte die Regierung in Dresden und die Landtagsabgeordneten besonders aufschrecken. 54 Prozent der Demonstranten gaben an, montags auf die Straße zu gehen, weil sie mit der Politik unzufrieden sind. Weitere 20 Prozent protestieren so gegen die einseitige und tendenziösen Berichterstattung der Medien und die öffentliche Diffamierung der Pegida-Bewegung, fünf Prozent gegen religiös oder ideologisch motivierte Gewalt. Lediglich fünf Prozent der Befragten haben grundlegende Vorbehalte gegenüber Zuwanderern und Asylbewerbern. Von diesen wiederum äußern 42 Prozent Vorbehalte gegen Muslime oder den Islam. Jeweils 20 Prozent haben Angst vor hoher Kriminalität durch Asylbewerber beziehungsweise vor sozialökonomischer Benachteiligung, 18 Prozent vor eigenem Identitätsverlust oder Überfremdung.

Interessant ist, daß die Studie bei der Frage nach der Unzufriedenheit mit der Politik nachhakt. 23 Prozent geben, detaillierter befragt, an, allgemein eine Distanz zwischen Politik und Volk zu empfinden. 18 Prozent sind unzufrieden mit dem politischen System in Deutschland, 20 beziehungsweise 14 Prozent sind mit der Asylpolitik beziehungsweise der Zuwanderungs- und Integrationspolitik nicht einverstanden. Weitere sechs Prozent sind mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik unzufrieden, vier Prozent mit der Außen- und Sicherheitspolitik.

Die Befragung erfolgte an drei Montagen zwischen dem 22. Dezember und 12. Januar. Die Ergebnisse der empirischen Umfrage hätten ihn überrascht, sagte Vorländer bei der Präsentation. Es gebe offenbar „tiefempfundene Vorbehalte gegen die da oben, also gegen Presse, Politik und sämtliche Eliten“.

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