© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/15 / 16. Januar 2015

Der Flaneur
Es gibt kein nächstes Mal
Paul Leonhard

Die beiden Männer eilen die Rolltreppe empor, atmen auf. Der Zug steht da, die Türen öffnen sich. Schnaufend stehen sie im Wagen. Dann blicken sie sich suchend um. Ein Abteil weiter steht der Schaffner. „Wir hatten keine Zeit zum Entwerten, sind froh, den Zug noch bekommen zu haben.“ Der Blauuniformierte wehrt ab. Draußen auf dem Bahnsteig würden Entwerter stehen. „Und der Zug wartet auf uns?“ fragt einer der Männer. „Nee“, grinst der Schaffner. „Sie müssen einfach mehr Zeit fürs Umsteigen planen oder eben den nächsten Zug nehmen.“

Eine Entgegnung, die den Mann nach Luft schnappen läßt. „Männeken“, berlinert er auf einmal los und rückt zentimeterdicht an den sächsischen Bahner. „Ick bin ja froh, daß Sie überhaupt mal fahren, aber für Ihre knappen Anschlüsse kann ich nichts. Jetzt stempeln Sie schon.“ Der Schaffner sieht ringsherum in schadenfrohe Gesichter. Er entwertet die Fahrkarten, aber ohne ein „rechtens ist das nicht“ geht es nicht.

Ob er damit andeuten wolle, ihr Mann lüge? „Ich deute gar nichts an“, zischt der Schaffner.

Kaum haben sich die Berliner verdrückt, stehen zwei ältere Ehepaare vor ihm. „Wir hätten gern zwei Tickets.“ Er schaut mürrisch. „Die müssen Sie vor Fahrtantritt am Automaten kaufen. Wenn Sie’s nicht gemacht haben, sind Sie für mich Schwarzfahrer.“ Der Automat habe nicht funktioniert und vor dem anderen eine Schlange gestanden. „Sie können mir viel erzählen“, brummt der Schaffner. Ob er damit andeuten wolle, ihr Mann lüge, mischt sich eine der beiden Frauen ins Gespräch. „Ich deute gar nichts an“, zischt der Zugbegleiter und blickt scheel zu den beiden Berlinern, die von ihren Sitzen das Gespräch verfolgen. Schließlich zückt er doch sein Fahrkartendruckgerät, berechnet den Preis, nimmt die Scheine, gibt Wechselgeld und Fahrkarten.

„Das nächste Mal kaufen Sie aber vor Fahrtantritt die Fahrkarten, wie es festgelegt ist“, droht er. Das sei heute die absolute Ausnahme gewesen. Es wird aber kein nächstes Mal geben. Die Deutsche Bahn hat die Ausschreibung für die Strecke verloren. Beim siegreichen privaten Mitbewerber gibt es die Fahrkarten nur im Zug.

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