© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/15 / 16. Januar 2015

Als Allah das Erbe Lenins antrat
Vor 25 Jahren wurden Hunderte Menschen Opfer der antiarmenischen Pogrome im aserbaidschanischen Baku
Wolfgang Kaufmann

Ermutigt durch Glasnost und Perestroika begannen muslimische Separatisten Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts, von der Loslösung ihrer heimatlichen Sowjetrepubliken aus dem Staatenverbund der UdSSR zu träumen – darunter nicht zuletzt solche maßgeblichen Anführer beziehungsweise Ideologen der Volksfront-Partei von Aserbaidschan wie Abdaf Abdullahow und Hamid Cherischi. Sie forderten den Zusammenschluß aller turkstämmigen Muslime im Kaukasus, dem Wolgagebiet und Mittelasien sowie die Gründung einer „unabhängigen, freien, türkischen Republik“, welche diese Regionen umfaßt.

Dafür erhielten sie viel Beifall von seiten der damaligen Führung in Ankara. Ebenso schaltete sich der südlich an Aserbaidschan angrenzende Iran ein. So beklagte der oberste geistliche Führer des Mullah-Regimes, Ajatollah Ali Chamenei, die Verfolgung der sowjetischen Muslime durch „gottlose Kräfte“ in Moskau, woraufhin dann der Ruf nach einer Vereinigung des schiitischen Volkes der Aseri, das nicht nur in Aserbaidschan, sondern auch dem nordwestlichen Iran zu Hause ist, laut wurde.

Blutiger Streit um die Region Bergkarabach

Parallel hierzu eskalierte der Konflikt zwischen den Sowjetrepubliken von Aserbaidschan und Armenien um den Besitz der Region Bergkarabach im Kaukasus: Obwohl Moskau das umstrittene Gebiet am 12. Januar 1989 wegen der permanenten Gewaltausbrüche dort unter eigene Verwaltung gestellt hatte, proklamierten sowohl der Oberste Sowjet in Eriwan als auch der in Baku den formellen Anschluß von Bergkarabach, wobei die diesbezügliche armenische Erklärung aber erst am 1. Dezember 1989, also mehrere Monate nach der aserbaidschanischen, abgegeben wurde.

Dennoch kam es in Reaktion hierauf zu „spontanen“ Pogromen gegenüber den Armeniern in Aserbaidschan – allerdings fielen den Massakern bald auch andere Nichtmuslime wie Russen und Juden zum Opfer. Besonders brutal wütete der von der Volksfront aufgehetzte Mob dabei in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku, wo zwischen dem 12. und 20. Januar 1990 mehr als hundert Menschen den Tod fanden. Über das Vorgehen der Täter informiert ein später erstellter UN-Bericht, in dem es unter anderem heißt: „Tagelang (…) wurde die armenische Bevölkerung (…) ermordet, gefoltert, ausgeraubt und erniedrigt. Schwangere Frauen und Säuglinge wurden belästigt, kleine Mädchen wurden vor den Augen ihrer Eltern vergewaltigt, christliche Kreuze wurden auf ihre Rücken gebrannt, und sie wurden aufgrund ihres christlichen Glaubens mißbraucht.“

Der dezidiert antichristliche Charakter der Ausschreitungen ist zudem aus dem Umstand ersichtlich, daß die muslimischen Terrorbanden auch die Armenische Apostolische Kirche in Baku niederbrannten, wobei weder die örtliche Feuerwehr noch die Miliz Anstalten machten, dies zu verhindern.

Angesichts der Ausschreitungen sowie der immer lauter werdenden Rufe nach einem unabhängigen islamischen Aserbaidschan verhängte das Präsidium des Obersten Sowjets in Moskau am 19. Januar den Ausnahmezustand über Baku. Außerdem erging ein Befehl des Partei- und Staatschefs Michail Gorbatschow an den Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte der UdSSR, Armeegeneral Walentin Warennikow, umgehend Truppen zu entsenden, um das Töten am Kaspischen Meer zu beenden. Daraufhin rückte noch am Abend ein 26.000 Mann starkes Kontingent der Roten Armee in der aserbaidschanischen Hauptstadt ein. Dem folgten nächtliche Straßenschlachten mit Volksfront-Anhängern, bei denen 93 Insurgenten und 29 Sowjetsoldaten fielen. In den nächsten Tagen evakuierte das Militär der Zentralregierung dann 24.000 Armenier; ebenso wurden alle in Baku lebenden Russen in Sicherheit gebracht.

Heute spricht man im nunmehr unabhängigen und muslimisch dominierten Aserbaidschan, das für seine ausufernde Korruption und desolate Menschenrechtssituation bekannt ist, vom „Schwarzen Januar“, in dessen Verlauf der Kreml versucht habe, die nationale Unabhängigkeitsbewegung in der Sowjetrepublik niederzuschlagen. Das heißt, die Mörder von einst sonnen sich jetzt in der Opferrolle.

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