© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/15 / 16. Januar 2015

Fanatisch gegen alle Seiten gekämpft
„Held der Ukraine“ oder Anführer einer „faschistischen Mörderbande“? Viele Jahrzehnte nach seiner Ermordung ist Stepan Bandera immer noch heftig umstritten
Jürgen W. Schmidt

Man muß anerkennen, daßMoskau mit seiner ganzen Konsequenz und seiner Unaufrichtigkeit bei der Verfolgung seiner imperialen Ziele immer wieder neue Wege zum Ziel ausfindig macht, wenn sich die alten als ungangbar erweisen. Das kann man besonders deutlich bei den Versuchen erkennen, die Zugehörigkeit der Ukraine zum russischen Imperium zu einer ewigen zu gestalten.“

Diese Worte könnten von US-Präsident Obama oder Bundeskanzlerin Merkel stammen, wurden aber von Stepan Bandera 1957 in einer, in der Bundesrepublik erscheinenden, ukrainischen Exilantenzeitung geschrieben. Keine zwei Jahre später war Bandera tot. In München ermordete ihn ein KGB-Spezialist für „nasse Sachen“, der bereits den jüdischstämmigen Exilukrainer und vormaligen Auschwitzhäftling Lew Rebet auf dem Gewissen hatte.

Ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise, Mitte August 2014, wurde das Grab von Bandera auf dem Münchener Waldfriedhof brutal verwüstet. Man geht nicht fehl in der Annahme, daß chauvinistische Russen hinter der Tat stehen, wie denn auch heute noch auf Russen der Name von Bandera und seinen „Banderowzy“ als sprichwörtliches „rotes Tuch“ wirkt.

Selbst in der heimatlichen Ukraine ist Stepan Bandera umstritten. Der prowestliche Präsident Viktor Juschtschenko ernannte Bandera im Januar 2010 offiziell zum „Helden der Ukraine“, während zwei Monate später der neue prorussische Präsident Viktor Janukowitsch diesen Erlaß gleich wieder außer Kraft setzte. Die politischen Gegenspielerin Julia Timoschenko, deren Rückenschmerzen Kanzlerin Merkel und ganz Deutschland einst mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte um sie dann total zu vergessen, kritisierte diesen Entschluß von Janukowitsch seinerzeit heftig. Hieraus ist zu entnehmen, daß man viele Jahrzehnte nach Banderas Tod mit seinem Schicksal in der Ukraine immer noch politisch zu punkten versucht. Der Freiheitskämpfer der einen Seite ist dabei ein Mörder und Terrorist für die andere Seite.

Bandera erlitt nach 1918 polnische Unterdrückung

Die Stereotype des Freiheitskämpfers wie des Terroristen und Mörders bediente Stepan Bandera während seiner 50 Lebensjahre wie kaum kein anderer. Als österreichisch-ungarischer Untertan in Galizien in der Familie eines nationalbewußten griechisch-katholischen Geistlichen geboren, entwickelte sich der junge Mann wie viele seiner Generation schnell zum überzeugten ukrainischen Nationalisten. Wohnten die Ukrainer vor 1914 entweder im russischen oder österreichisch-ungarischen Imperium, so mutierten sie ab 1918 ohne ihr Einverständnis zu Bewohnern der Sowjetunion, Polens und der Tschechoslowakei.

Der nur 1,59 Meter große, ungemein willensstarke Stepan Bandera wurde aufgrund seines Wohnorts unfreiwillig polnischer Staatsbürger. In Polen unter drückte man die ukrainische Nationalbewegung heftig, und er haßte deshalb den polnischen Staat grimmig. In der sich Mitte der zwanziger Jahre bildenden Kampforganisation „OUN“ (Organisation Ukrainischer Nationalisten) nahm der Student Bandera schnell eine führende Stellung ein und drängte auf „Kampfmaßnahmen“. Nach der Ermordung des polnischen Innenministers Bronislaw Pieracki 1934, an welcher Bandera maßgeblich beteiligt war, verurteilte man ihn zum Tode. Zwar wurde er anschließend zu lebenslanger Haft begnadigt, doch sollte der glühende Kämpfer für die Unabhängigkeit der Ukraine nun bis zu seiner Ermordung (außer kurzzeitig 1939) die Heimat nicht wiedersehen.

Die OUN richtete ab 1934 ihre Terrorattacken nicht allein mehr gegen Polen, sondern zunehmend auch gegen die Sowjetunion. Die Exilukrainer der OUN setzten dabei auf die deutsche Karte, denn der Feind des eigenen Feindes ist bekanntlich immer ein Freund. Deutsche Geheimdienste stellten 1938/39 einige Sabotage- und Diversionseinheiten aus Exilukrainern auf, welche aber weder gegen Polen 1939 noch gegen die Sowjetunion 1941 irgendwelche ernsthaften Aufgaben erfüllten. Im Gegenteil, als nationalistische Ukrainer voller Hoffnung beim deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 einen eigenen ukrainischen Staat proklamierten, gesellte sich jetzt Deutschland zu den Unterdrückern der ukrainischen Nationalbewegung.

Sein Vater wurde 1941 von Stalins NKWD erschossen

Die Partisanen der OUN führten deswegen von 1941 bis 1945 einen Kampf gleich an drei Fronten: gegen Polen, Russen und nunmehr gegen die Deutschen. Banderas Vater wurde 1941 vom NKWD erschossen, seine Schwestern saßen jahrzehntelang in sibirischer Verbannung, und zwei seiner Brüder starben im deutschen KZ Auschwitz. Obwohl man Bandera für diesen Zeitraum persönlich kein Blut an den Händen nachweisen kann– immerhin saß er von 1939 bis 1944 in deutscher Haft –, führten seine OUN-Fanatiker den Kampf gegen ihre Feinde mit einer brutalen Härte, die an die Halsabschneider des heutigen IS erinnert. Polen, Russen, Juden und Deutsche, ganz gleich ob Zivilisten oder Militärs, wurden gnadenlos niedergemetzelt. Man gab keine Gnade und begehrte auch keine.

Der bewaffnete Kampf in der Sowjetukraine kam erst Mitte der fünfziger Jahre zum Erlöschen und das Gedenken an die Kämpfer der OUN geriet im ukrainischen Volk bis heute nicht in Vergessenheit. Besonders in der westlichen Ukraine gilt Bandera als ein Volksheld, während in der russisch geprägten östlichen Ukraine Bandera den blutrünstigen, faschistischen Kollaborateur verkörpert. Je nach Sichtweise scheiden sich hier die Geister und eine Aussöhnung scheint ausgeschlossen.

Foto: Demonstration ukrainischer Nationalisten mit Bandera-Bild, Kiew 2013: Aussöhnung ausgeschlossen

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