© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/15 / 16. Januar 2015

Herbert Marcuses neue Aktualität: Wutbürger stehen gegen das System auf
Wider den liberalen Totalitarismus
(wm)

Wie die jüngsten Krisen des Finanzkapitalismus und die sozialen „Kollateralschäden“ der neoliberalen Globalisierung den Analytiker Karl Marx rehabilitierten, so könnten „Wutbürger“, die in Europa immer offensiver gegen das realexistierende System aufbegehren, dem in Vergessenheit geratenen Neomarxisten Herbert Marcuse (1898–1979) neue Resonanz verschaffen. Diese Aktualität des Kämpfers gegen den „liberalen Totalitarismus“ glaubt jedenfalls der US-Historiker Eric D. Weitz wahrzunehmen (Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/2014). Für Marcuse, der wie der junge Marx und wie sein Lehrer Martin Heidegger im deutschen Idealismus wurzle, habe außer Frage gestanden, daß die liberal-demokratischen Gesellschaften des Westens genauso Manifestationen der den Keim des Totalitarismus bergenden ökonomisch-technischen Rationalität seien wie der NS-Staat oder Stalins Sowjetunion. Denn die demokratisch verfaßte Industriegesellschaft, ihre Technologie und Medien entmachteten und manipulierten den Menschen in ähnlicher Weise wie diktatorische Regime. Wie Marx und Heidegger argumentiere Marcuse, daß in der bürokratisierten Moderne das funktionalisierte Individuum die Fähigkeit verliere, über sich selbst zu bestimmen. Eine Theorie, die für Weitz „heute noch relevanter“ ist als um 1970, als Marcuse den Zenit seines Ruhms erreicht hatte.

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