© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/15 / 16. Januar 2015

Die Akte Ulrich Meyer
Der Sat1-Moderator unterhält seit 20 Jahren das Fernsehpublikum, als Buchautor ist er eher ungeeignet
Christian Schreiber

Ulrich Meyer hat ein Buch geschrieben. Rechtzeitig vor Weihnachten natürlich, damit es noch pünktlich in die Auslagen der stark frequentierten Einkaufszentren kam. Die PR-Abteilung des Riva-Verlags hat mächtig die Werbetrommel gerührt. Im eigenen Informationsschreiben wird er als jemand dargestellt, der „Klartext redet“ und als der „vornehmere Sarrazin“ vorgestellt.

„Das läuft schief in unserem Land – Ein Plädoyer für mehr Herz, Anstand und Verantwortung“, heißt das Werk, und nach der Lektüre der 284 Seiten steht fest: Der TV-Journalist hat nicht wirklich viel Neues erzählt. Seit fast 20 Jahren ist Ulrich Meyer mit seiner Sendung „akte“ auf Sat1 zu sehen. „Aus dieser langen Erfahrung heraus wollten wir einen Blick auf den inneren Zustand Deutschlands werfen“, schreibt er, aber er kommt schon zu Beginn nicht über Allgemeinplätze hinaus. Investigativ-Journalist Meyer hat dabei festgestellt, daß es Menschen gibt, die mit zwei Autos vier Parkplätze blockieren, ein anderer stellt doch glatt die Kreuzung zu, weil er noch rechtzeitig über die Ampel kommen wollte.

In 14 Kapiteln hat der 58jährige, dem eine ausgeprägte Nähe zur SPD nachgesagt wird und der in zweiter Ehe mit der früheren taz-Chefin Georgia Tornow verheiratet ist, sein Buch unterteilt, und manches liest sich wie aus einem SPD-Parteiprogramm abgeschrieben. Meyer beklagt einen Raubtierkapitalismus und daß es kaum noch fürsorgliche Arbeitgeber gebe. Er erzählt von seinem Vater, der nach dem Krieg für ein US-Unternehmen arbeitete, und von seinem Onkel Ulrich, der sich als Journalist bei der Neuen Osnabrücker Zeitung verdingte. Nach dem Motto „Früher war alles besser“ schwelgt er in Erinnerungen und kommt zu dem Schluß, „daß es wieder fairer zugehen muß“.

„Fair“ ging es nach Meyers Darstellung früher auch zu, als er mit seiner Mutter zur Bank ging. Der Bankbeamte sei so konzentriert gewesen, daß er den Eindruck erweckt habe, er müsse sein eigenes Geld auszahlen. Doch auch mit dieser Herrlichkeit ist es nun vorbei, Meyer stellt fest, „daß Banker in den vergangenen 15 Jahren durch die Wirtschaftskrise massiv an Ansehen verloren haben“. Welche Neuigkeit!

Vor 20 Jahren ist Meyer mit „akte“ bei Sat1 auf Sendung gegangen. Das Jubiläum war auch der Anlaß für das Buch: „Wir haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten weit über 100.000 Mails, Faxe und Briefe bekommen. Dadurch wissen wir, wo es in Deutschland rumpelt. Wir brauchen aber nicht mehr Gesetze und Regelungen, sondern ein bißchen mehr Nachdenken, Vorausdenken und Menschen, die Verantwortung übernehmen“, erklärt er und fügt hinzu: „Früher hatten die Menschen Angst vor Räubern oder Einbrechern. Mittlerweile schlägt die Lastschrift-Mafia über das Telefon zu. Glücksspiel-Abos werden so verkauft, Kontostände in beliebiger Höhe abgebucht. Die Menschen werden bei sich zu Hause betrogen, ohne auch nur einen Fuß vor die Tür gesetzt zu haben.“

Doch es gibt auch den anderen Meyer, der sich Gedanken um Recht und Ordnung macht. So erinnert er sich an seine Schulzeit mit dem Worten: „Das, was die Lehrer uns überhaupt nicht beibringen wollten, war Benehmen. Das setzten sie einfach von zu Hause voraus.“ Heute sei Lehrer dagegen ein Beruf, in dem man gute Nerven, große Motivation und viel Ausdauer bräuchte. Um der Schule wieder mehr Renommee zu verleihen, plädiert Meyer gar für die Einführung von Schul-Uniformen.

Eurokrise, Arbeitslosigkeit und wachsender Populismus

Allerdings spricht hier wieder der Sozialdemokrat aus dem TV-Journalisten, schließlich sei es für manche Eltern nicht leicht, ihren Kindern angemessene Kleidung anzuschaffen. „Es kann nicht angehen, daß alleinerziehende Mütter, die zwei Kinder zu versorgen haben und in zwei Jobs arbeiten, sich mit der Frage beschäftigen müssen, ob ihre Jungs die angesagtesten Sneakers brauchen.“ Fragen, die die Welt bewegen.

Auch um die Frauenquote hat sich Meyer nachhaltige Gedanken gemacht. Die meisten Mädels findet er derart clever, „daß sie so etwas nicht brauchen“. Ihn sorgen eher die jungen Männer in dieser Republik. „Junge Männer wollen mitreden, viel Geld verdienen, angesehen sein.“

„Aber bis zu 40 Prozent einer Altersgruppe haben nicht ansatzweise die Voraussetzungen dafür, diese selbst gestellten Ansprüche jemals umsetzen zu können. Wir müssen uns fragen, was wir mit diesen Männern machen, die dann auf die Nase fallen und sich womöglich extremen politischen Strömungen anschließen.“ Die Sorge um (rechte) extreme politische Strömungen spricht Meyer in seinem Buch gleich mehrfach an, die Alternative für Deutschland (AfD) nennt er nicht explizit, aber es wird klar wen er meint, wenn er von Eurokrise, Arbeitslosigkeit und davon profitierenden Populisten spricht.

Das Buch endet, wie es angefangen hat: mit der Feststellung, „daß vieles im argen liegt“. Aber immerhin bringe Deutschland genug Voraussetzungen mit, um die aktuellen Herausforderungen zu meistern. Und das ist nun wirklich auch keine Neuigkeit.

Ulrich Meyer: Das läuft schief in unserem Land. Ein Plädoyer für mehr Herz, Anstand und Verantwortung. Riva, München 2014, gebunden, 288 Seiten, 19,99 Euro

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